Am Ende wollte Mariamu Judy gar nicht mehr gehen lassen, hielt ihre Hand fest umklammert. Und auch Judith „Judy“ Rakers konnte sich kaum von Mariamu trennen. Seit acht Jahren unterstützt Miss Tagesschau als Worldvision-Patin das zwölfjährige Mädchen. Jetzt besuchte sie ihr Patenkind erstmals in Tansania. Aus dem anonymen Mädchen mit der Nummer TZA-172807-1738 ist so ein Mensch geworden, den Judith Rakers vermissen wird.
„Am liebsten würde ich sie ja einfach einpacken und mit nach Hamburg nehmen, aber ich weiß natürlich, dass ich sie nicht einfach aus ihrem Umfeld reißen kann“, sagt Judith Rakers, als sie sich am späten Nachmittag von ihrer Mariamu verabschiedet. Drei Stunden zuvor hatte sie dem Mädchen mit dem zunächst so scheuen Blick erstmals die Hand gegeben.
„Judy ist eine Freundin. Ich weiß, dass sie mich schon lange unterstützt. Es ist so schön, dass sie mich jetzt besucht“, erzählt Mariamu im Schatten eines Baumes. Auch wenn Mariamu und Judith Rakers sich nur mit Hilfe eines Dolmetschers unterhalten können, spürt das kleine, aufgeweckte Mädchen mit dem zerschlissenen blauen Schuluniform-Rock und den kurz geschorenen Haaren sofort, dass die elegante Frau mit den langen blonden Haaren sie gerne mag. Als Judys Vater Rashid Juma der Besucherin aus Deutschland erzählt, dass sein jüngstes Enkelkind, Mariamus Neffe, im Krankenhaus liegt, schießen nicht nur dem Bauern, sondern auch der Tagesschau-Sprecherin die Tränen in die Augen.
Judith Rakers macht keinen Charity-Tourismus, ihr Engagement kommt von Herzen, das spüren die Menschen. Rakers übernachtet in einem einfachen Gästehaus, in dem das kalte Wasser nur sehr spärlich aus der Dusche tröpfelt. Von Kindern, die noch nie lange, glatte, helle Haare gesehen haben, lässt sie sich die blonden Strähnen streicheln.
Wie „Die weiße Massai“
Von einem stolzen Massai lässt sie sich schöne Augen machen. „Da fühlte ich mich schon etwas an „Die weiße Massai“ erinnert, aber mein Mann muss sich keine Sorgen machen“, lacht Judith Rakers. Auch als ihr kurz darauf ein Baby auf den Schoß pinkelt, nimmt sie es mit Humor. „Plötzlich wurde es nass. Massai-Babys tragen eben keine Windeln“, erzählt Miss Tagesschau.
„Ich habe schon vor acht Jahren als Studentin die Patenschaft für Mariamu übernommen. World Vision hat mir jedes Jahr einen Bericht geschickt, wie es Mariamu geht. So habe ich sie aufwachsen sehen. Ihre Fotos habe ich zu denen meiner Familie gestellt“, erzählt Rakers. Mariamu wusste hingegen so gut wie nichts über ihre Unterstützerin aus Deutschland, die sich auch ehrenamtlich für die Hamburger Obdachlosenzeitschrift „Hinz und Kunzt“ und das UNICEF-Projekt „Schulen für Afrika“ engagiert.
„Ich wollte nicht, dass Mariamu eine emotionale Abhängigkeit zu mir aufbaut, vielleicht sogar hofft, dass ich sie irgendwann zu mir nach Deutschland hole“, begründet die Moderatorin ihre Zurückhaltung. Bislang wusste Judith Rakers aus den Berichten nicht viel mehr, als dass Mariamus Gesundheitszustand „zufriedenstellend“ ist, dass sie gerne singt, später einmal Grundschullehrerin werden möchte und vier Schwestern und einen Bruder hat.
Jetzt hat Rakers mit eigenen Augen gesehen, dass Mariamu sich in einer aus Holz, Lehm und Wellblech zusammengezimmerten Hütte mit einer ihrer älteren Schwestern das Bett teilt, weder Strom noch fließend Wasser hat und trotzdem viel lacht. „Ich habe Mariamu Wachsmalstifte mitgebracht. Wir haben zusammen ein Bild gemalt, das ich mir zu Hause aufhängen werde. Ich werde ihr in Zukunft schreiben und hoffe, dass sie zurückschreibt“, sagt sie.
Doch hilft Judith Rakers mit ihrer Spende nicht nur einem einzigen Kind, das so möglicherweise sogar den Neid der anderen Kinder aus ihrem Dorf am Fuße der tansanischen Usambara-Berge auf sich zieht? „Nein“, sagt Christoph Waffenschmidt, Geschäftsführer von World Vision Deutschland, der Rakers auf ihrer Tansania-Reise begleitet. „Die Spendengelder der Paten kommen nicht nur dem Kind, sondern der ganzen Projektregion zugute“, sagt Waffenschmidt. In Mariamus Heimat zeigt World Vision den Bauern, wie sie ihre Reisfelder so bewässern, dass sie auch während Dürren genug zu essen haben. Die Hilfsorganisation führte ein Kleinkreditsystem ein, das es Familien ermöglicht, eine Kuh für die Milchproduktion anzuschaffen; baute mit Kuhmist betriebene Mini-Biogasanlagen, die Gas zum Kochen liefern und so eine Abholzung der bedrohten Wälder verhindern sollen.
Viele der Projekte hat Judith Rakers sich persönlich angesehen. Mit Massai-Frauen, die gegen weibliche Genitalverstümmelung kämpfen, tanzte sie unterm Olekuruki-Baum; mit Bauern, die Bienen züchten, stapfte die Imker-Enkelin zu den Bienenkörben; bei einer von World Vision finanzierten Schulspeisung gab sie mittags aus einem riesigen Topf selbst Bohnen und Mais aus. „Seitdem alle 400 Schüler bei uns ein warmes Mittagessen bekommen, wird kaum noch geschwänzt. Die Eltern schicken ihre Kinder zur Schule, anstatt sie zur Feldarbeit mitzunehmen“, erklärt Lehrerin Maria Peter.
Judith Rakers ist zufrieden. „Ich habe mich ganz bewusst für eine Patenschaft bei World Vision entschieden. Ich bin kein Freund von Reissacklieferungen, wenn es eigentlich schon zu spät ist. Mit meiner Patenschaft kann ich einerseits ein Kind langfristig unterstützen und gleichzeitig vielen Menschen Hilfe zur Selbsthilfe geben. Nachdem ich mir die Projekte angeguckt habe, bin ich überzeugter denn je“, sagt die Tagesschau-Sprecherin.
Von der Armut beschämt
Trotzdem macht es Judith Rakers traurig, unter welchen Umständen ihr Patenkind trotz ihrer Zuwendungen lebt. „Auf den Fotos, die ich bekommen habe, hatte Mariamu immer ihrer bestes Kleid an. Tatsächlich hat sie kaum etwas Vernünftiges zum Anziehen. Auch wenn ich im Job natürlich schlimmere Fernsehbilder von Armut auf der ganzen Welt sehe, beschämt es mich ein bisschen, wie Mariamu lebt“, seufzt Rakers.
Kurz zuvor hatte die kleine Mariamu sie gefragt, ob sie selber Kinder habe. „Nein, ich habe nur zwei Katzen und einen Mann“, und zeigte ihrem Patenkind ihr Hochzeitsfoto auf dem iPhone. Mariamu musste laut lachen. Eine erwachsene Frau, die keine eigenen Kinder hat, das kann das Mädchen mit den fünf Geschwistern sich kaum vorstellen.
Wie sieht es bei der Patin mit eigenen Kindern aus?
„Ich habe jetzt schon manchmal gerne ein Kind auf dem Arm, aber eigene will ich noch nicht. Mein Mann und ich sind immer noch frisch verliebt und uns selbst genug“, sagt Rakers.