Icon Menü
Icon Schließen schliessen
Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

BAYREUTH: Interview: Mediziner warnt, Crystal Meth zu verharmlosen

BAYREUTH

Interview: Mediziner warnt, Crystal Meth zu verharmlosen

    • |
    • |
    Roland Härtel-Petri
    Roland Härtel-Petri Foto: Foto: Roland Härtel-Petri

    Im Zweiten Weltkrieg hieß der Stoff Panzerschokolade, Stukka-Tablette, Göring-Pille. Eine Wunderwaffe zum Schlucken, verabreicht zur körperlichen Ertüchtigung deutscher Soldaten und zur Beseitigung der Angst. Denn gegen die Furcht vor dem Feind half Pervitin: ein Dragee zur Dämpfung von Phobien bei gleichzeitiger Erhöhung der Schlagkraft. Hauptbestandteil von Pervitin war Metamphetamin. Neu ist der Stoff also nicht. Aber heute lässt er als Crystal Meth die Alarmglocken schrillen – auch bei Suchtmedizinern wie dem Bayreuther Psychotherapeuten Roland Härtel-Petri.

    Frage: Allein die Menge machte Schlagzeilen: Der Polizei gelang jüngst ein Schlag gegen die Produzenten von Crystal Meth – 2,9 Tonnen Chlor-Ephedrin, ein Vorprodukt, wurden sichergestellt. Ein Zeichen, dass die Kooperation zwischen deutschen und tschechischen Ermittlungsbehörden funktioniert?

    Roland Härtel-Petri: Durchaus, das ist ein Zeichen dafür, dass die Polizei in beiden Ländern seit einigen Jahren tatsächlich kooperiert und oftmals nur Schwierigkeiten hat, weil die Gesetzgebung jenseits der Grenze eine andere ist.

    In Tschechien ist der Besitz von Kleinstmengen nicht strafbar, sondern lediglich eine Ordnungswidrigkeit. Zwei Gramm ist den Behörden keine Strafverfolgung wert.

    Härtel-Petri: Im Fall Crystal ist das keine Kleinstmenge. Das sind 20 Konsumeinheiten, wenn es als Droge eingenommen wird. Das ist eine enorm hohe Menge, die da frei ist. Das ist eine Dosis, die einem Abhängigen über mehrere Tage reicht.

    Sie haben als Suchtmediziner seit vielen Jahren direkt mit Drogenkonsumenten zu tun. Was ist das Drastische an Crystal verglichen mit anderen Substanzen?

    Härtel-Petri: Das, was für uns Psychiater das Gravierende ist, sind die Nervenzellschädigungen im Gehirn. Das bedeutet, die Betroffenen haben Gedächtnisstörungen, sie können sich nicht konzentrieren, sind leicht ablenkbar. Auch die Psychosen sind besonders dramatisch. Ein solcher Mensch ist nicht mehr in der Lage zu unterscheiden, ob der, der an der Tür klingelt, der nette Postbote ist oder der Drogendealer, dem er Geld schuldet. Da ist die Gefahr groß, dass derjenige vor der Haustür aus für ihn heiterem Himmel attackiert wird.

    Zunächst aber kommt es beim Gebrauch doch zu Hochgefühlen…

    Härtel-Petri: Oh ja, für den Konsument ist das der vermeintliche Superkick. Egal, was er tut: Es macht alles Spaß. Die Menschen können mit Akribie einen Kugelschreiber hundertmal zerlegen.

    Crystal gilt als Droge der gehobeneren Schichten. Michael Hartmann, SPD-Bundestagsabgeordneter, gab zu, er habe 2013 Crystal genommen, um sich fit zu machen für die Koalitionsverhandlungen. Wie bewerten Sie das?

    Härtel-Petri: Die Einlassung von Herrn Hartmann ist eine Katastrophe. Seine Behauptungen kann jeder, der sich mit der Materie befasst, mühelos entkräften. Seine Dealerin behauptete, er habe binnen 30 Tagen drei Mal ein Gramm gekauft, also 3000 Milligramm. Das wären für 30 Tage 100 Milligramm pro Tag. Wenn er das Metamphetamin als Substanz zur Leistungssteigerung genommen hätte, wie er behauptet und so wie Menschen das früher mal mit Pervitin als Stimulanz getan haben, dann hätte er Crystal in Dosierungen genommen von drei bis fünf, maximal zehn Milligramm pro Tag. Das wäre eine Art Kaffee-Ersatz gewesen.

    Bei Bundestagsabgeordneten hieß es ja immer spöttisch, die würden auf der Toilette koksen. Koks und Crystal: Wo liegt der Unterschied?

    Härtel-Petri: Kokain führt schneller zu Herzproblemen. Es wird aber, so weit wir das sagen können, nicht in die Nervenzelle aufgenommen. Deshalb sterben die auch nicht ab. Wer Kokain absetzt, kann darauf hoffen, dass sich sein Körper relativ schnell und komplett erholt. Bei Crystal aber dauert das viel länger. Ich denke übrigens nicht, dass viele Politiker Kokain einnehmen, schon gar nicht für eine echte Leistungssteigerung.

    Als eine der Einflugschneisen für das kristalline Pulver gilt Oberfranken, der Stoff kommt unter anderem von den grenznahen „Vietnamesen-Märkten“ ins Land. Wenn das die Behörden wissen: Warum lässt sich zumindest diese Quelle bisher nicht trockenlegen?

    Härtel-Petri: Gute Frage. Fakt ist aber auch: Ich habe viele Jugendliche erlebt, die von ihren Eltern zu Besuchen auf besagten Märkten mitgenommen wurden. Dort haben sich Mama und Papa die gefälschten Marken-Handtaschen, Uhren und Musik-CDs gekauft und natürlich die Billig-Zigaretten. Die Jugendlichen haben also gleich mal gelernt, dass das sich Eindecken mit zweifelhaften Gütern offenbar normal ist und man sich nicht groß um Gesetze scheren muss. Die Händler werden als vertrauenswürdig wahrgenommen – und das auch im Bezug auf Drogen. Die USA sind übrigens in der Lage, mittels Satelliten nach Abfallstoffen im Boden zu fahnden. Diese Stoffe stehen irgendwo in der Nähe dieser Labore und ließen sich aufspüren. In der Tat verstehe ich nicht, warum die Großlabore bei unseren tschechischen Nachbarn noch nicht ausgehoben wurden.

    Die Droge Crystal

    Bei Crystal handelt es sich um einen pulverigen Stoff, der aussieht wie Schneekristalle (daher die Bezeichnung). Er wird in der Szene oft mit einem wesentlich höheren Reinheitsgehalt (90 Prozent) gehandelt als Amphetamin/Speed, das meist gestreckt ist und nur zehn bis 20 Prozent Wirkstoffgehalt hat. Crystal wird meist geschnupft; dabei tragen beigemengte winzige Glassplitter dazu bei, Verletzungen in der Schleimhaut zu verursachen, über die es schneller ins Blut gelangt. Text: JN

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden