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UNTERFRANKEN: Kartoffelkäfer: Der Feind aus der Neuen Welt

UNTERFRANKEN

Kartoffelkäfer: Der Feind aus der Neuen Welt

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    Dramatische Meldungen waren im Juni 1939 wahrlich keine Seltenheit – schließlich ging es auf den Krieg zu, den Deutschland keine drei Monate später beginnen sollte. Da schreckte die Unterfranken eine weitere Meldung auf: „Kartoffelkäfer in Mainfranken gefunden“, stand am 28. Juni im „Würzburger Generalanzeiger“ zu lesen. „In Haibach bei Aschaffenburg, in Unfinden bei Hofheim und neuerdings in Randersacker wurde in den letzten Tagen je ein Kartoffelkäfer gefunden.“ Aus heutiger Sicht klingt es nicht nach einer Katastrophe, wenn man eines dieser recht hübschen, aber gefräßigen Tierchen findet. Aber damals schrillten die Alarmglocken, war doch die Kartoffel im Deutschen Reich das wichtigste Nahrungsmittel.

    Auf Anweisung der „Kartoffelkäfer-Abwehrdienststelle“ sollte jeder „dieser Schädlinge an unserer Volksernährung“ in ein Fläschchen mit Benzin, Petroleum oder Spiritus gesteckt werden, und der Bürgermeister sollte den Abwehrdienst informieren. Ein wöchentlicher Suchdienst durchkämmte fortan alle Kartoffelfelder nach dem Käfer. Mit dem Tonfilm „Achtung, Kartoffelkäfer“ und der offenbar für Kinder geschriebenen „Kartoffelkäfer-Fibel“ wurde die Bevölkerung auf den Abwehrkampf eingestellt. Doch es half nichts, der Käfer breitete sich Jahr für Jahr weiter aus.

    Der Kartoffelkäfer stammt aus Nordamerika, aus einer Region im Südwesten der USA. Zunächst hat er sich dort an den Hängen der Rocky Mountains aber gar nicht von Kartoffeln ernährt, sondern von der Büffelklette, ebenfalls ein Nachtschattengewächs. Die Kartoffel kannte der Käfer ursprünglich gar nicht, da sie zunächst nur in Südamerika vorkam. Erst als diese auch in den USA angebaut wurde, lernte der Kartoffelkäfer sie kennen – und Mitte des 19. Jahrhunderts kam er auf den Geschmack. Das Problem: Der Käfer und vor allem seine nimmersatten Larven fressen die Blätter der Staude, ohne die sich keine Knollen bilden. Der Käfer verbreitete sich massenhaft und zerstörte Felder.

    Während der ungeliebte Käfer in Südamerika noch immer nicht verbreitet ist, machte er sich in den Vereinigten Staaten Mitte des 19. Jahrhunderts, vom Wind unterstützt, mit einer Geschwindigkeit von rund 170 Kilometern jährlich nach Osten breit. Im Westen waren anfangs noch die Rocky Mountains ein Hindernis. 1860 war er in der Mitte der USA angelangt. Zehn Jahre später, als der Käfer im Norden schon bis zur kanadischen Grenze vorgedrungen war, haben deutsche Zeitungen zum ersten Mal über die „neue Landplage“ berichtet. Riesige Schwärme zogen in Richtung Ostküste, die sie 1874 erreichten.

    Der Kartoffelkäfer muss den Amerikanern damals wie eine biblische Plage vorgekommen sein. Ganze Ernten vernichtete der Kartoffelkäfer, der sehr fruchtbar, zäh und ein ausgezeichneter Flieger ist. Flüsse sollen regelrecht bedeckt gewesen sein von den Käfern. An der Ostküste flogen sie dann auch hinaus aufs Meer, wo sie in Massen umkamen. Im September 1876 sind in Connecticut solche Mengen von toten Käfern angespült worden, dass die Luft wie verpestet gewesen sei, während Dampfer ihre Luken schließen mussten, um die Käfer abzuwehren. In den Seebädern zertraten die Menschen sie bei jedem Schritt. Eine Eisenbahn konnte nicht weiterfahren, weil die Schienen auf einer Strecke von mehr als einer Meile mit den Käfern bedeckt war.

    In Europa fürchtete man, dass es der zähe Käfer, der wochenlang ohne Nahrung auskommen kann, mit Saatkartoffeln oder einfach an Bord von Schiffen über den großen Teich gelangen könnte. Die Befürchtungen waren nicht unberechtigt. Trotz eines 1875 erlassenen Importverbots für amerikanische Kartoffeln in Deutschland vermeldeten schon im Jahr darauf die „Entomologischen Monatsblätter“ sarkastisch: „Der Kartoffelkäfer ist glücklich und wohlbehalten in Deutschland angelangt.“ Am Bremer Weserbahnhof war ein Exemplar herumgekrochen. Im Jahr darauf tauchten Käfer in Liverpool, Rotterdam, in Mühlheim an der Ruhr und im sächsischen Torgau auf. Wo der Kartoffelkäfer in Europa auftrat, wurde er oft mit rabiaten Mitteln bekämpft, etwa mit dem arsenhaltigen „Schweinfurter Grün“ oder mit Rohbenzol, mit dem die Felder getränkt wurden. Die abziehenden Gase des Rohbenzols aber schädigten auch Blätter von Runkelrüben, Gurken und Bohnen in der Nähe. Aber immerhin 60 Jahre lang konnte der Käfer in Deutschland so abgewehrt werden.

    Wahrscheinlich waren es amerikanische Transporte am Ende des Ersten Weltkriegs, die den Käfer in den Kriegswirren versehentlich in die Gegend um Bordeaux schleppten. 1922 waren dort schon 250 Quadratkilometer befallen, ohne natürliche Feinde war schnell ein Viertel Frankreichs heimgesucht. 1923 erließ die deutsche Regierung aus Angst vor dem Schädling ein Einfuhrverbot für französische Kartoffeln, Tomaten, Auberginen und Johannisbeersträuchern. Der Kartoffelkäfer hatte solch ein Schreckpotenzial, dass ihn Erpresser im Jahr 1931 für sich entdeckten. Sie drohten, die Tiere auf Felder bei Magdeburg loszulassen, wurden aber geschnappt und verurteilt.

    Doch war es nur eine Frage der Zeit, bis der Kartoffelkäfer auch in Deutschland in großen Mengen einfiel. Im warmen Sommer 1938 war es soweit, da rückte der Käfer auf einer Länge von über 100 Kilometern über den Rhein nach Deutschland, den damals größten Kartoffelproduzenten der Welt, vor. So nimmt es nicht wunder, dass er 1939 auch in Unterfranken auftauchte, 1945 die Elbe und fünf Jahre darauf die Oder erreichte. Weder der mit großem Aufwand betriebene Abwehrdienst noch der Einsatz von Chemie hielten ihn langfristig auf.

    Sowohl die Nazis als auch die DDR-Führung schlachteten die Ausbreitung des Kartoffelkäfers propagandistisch aus und schoben sie den Amerikanern in die Schuhe. Sie behaupteten, die Amerikaner hätten den „Ernährungsfeind Nr. eins“ mit Flugzeugen über Deutschland abgeworfen. Bertolt Brecht hat dem „Amikäfer“ und der These sogar ein Kinderlied gewidmet. Dabei war es die Wehrmacht, die begann die Käfer zu züchten, um diese irgendwann millionenfach über England abzuwerfen. Daraus wurde dann doch nichts. Im Ersten Weltkrieg hatte es aber wohl tatsächlich Pläne von Engländern und Franzosen gegeben, den Käfer als Waffe gegen Deutschland einzusetzen. 1948 fanden sich angeblich auf Kartoffelfeldern in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen Beutel mit Kartoffelkäfern, die von Flugzeugen unbekannter Herkunft stammen sollten. Dies war wohl der willkommene Anlass der DDR-Führung, den Amerikanern die Schuld zu geben.

    Nach dem Krieg wurde der Käfer in Deutschland von ganzen Schulklassen abgesammelt und dann vor allem mit dem heute verbotenen DDT bekämpft, das für den Menschen noch als ungiftig galt, aber schon damals verheerende Folgen auch für andere Insekten hatte. Mehrere internationale Kartoffelkäfer-Konferenzen beschäftigten sich mit dem Käfer aus Amerika. Der ist zwar heute bis nach Sibirien verbreitet, aber Großbritannien ist, genauso wie Skandinavien, weiterhin kartoffelkäferfreie Zone. In Deutschland macht er seit Mitte der 50er Jahre aufgrund von Pflanzenschutzmitteln kaum noch von sich reden, außerdem ging die Kartoffelanbaufläche zurück.

    „Das heißt aber nicht, dass er ausgestorben ist“, sagt Gerhard Reiser, Fachberater Pflanzenbau beim Landwirtschaftsamt in Kitzingen. Wenn man keine Insektizide einsetzt, könne man schon große Probleme kriegen. Manchmal lasse man den Käfer aber auch bewusst gewähren. Um zu verhindern, dass ein Virus vom Blatt in die Knolle wandert, oder in Jahren mit einem guten Wachstum, das zu viele Kartoffeln in kundenunfreundlicher Übergröße hervorbringen würde, werde das Kartoffelkraut abgemäht oder abgeschlegelt. „Wenn es grad richtig passt, machen das dann die Kartoffelkäfer“, so Reiser.

    Seine Bedeutung als Schädling behielt der Käfer im biologischen Anbau. Gesteinsmehl mildere den Befall zwar ein wenig, „weil es staubig schmeckt“, aber sonst gebe es kaum natürliche Mittel, sagt Reiser. So war Birkenfeld im Landkreis Main-Spessart im August 2009 Schauplatz einer Invasion von Kartoffelkäfern. Sie krabbelten an Hauswänden, drangen in Keller ein und fraßen sich durch die Gärten. Als Ursache machten die Birkenfelder damals große Kartoffelfelder aus, die in der Nähe biologisch angebaut wurden. Nachdem die Käfer die Biokartoffeln nahezu völlig entlaubt hatten, fielen sie über die Gärten her. „Da hilft nur Absammeln“, sagt Reiser.

    Aber Pflanzenschutzmittel bereiten neue Probleme: „Da wo der Kartoffelkäfer häufig chemisch behandelt wird, wird er langsam resistent gegen Insektizide.“ Profis wüssten damit umzugehen, meint Reiser. „Das Problem bleibt beherrschbar.“

    In den USA gibt es jedoch bereits Regionen, wo die Käfer starke Resistenzen gegen Pflanzenschutzmittel entwickelt haben.

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