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Leben im Raketenhagel

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Leben im Raketenhagel

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    Bangen vor der Bodenoffensive: Ein Mann blickt aus einem Fenster seiner Wohnung in Ashkelon. Die israelische Stadt wurde am Samstag mit Raketen beschossen.Foto: dpa
    Bangen vor der Bodenoffensive: Ein Mann blickt aus einem Fenster seiner Wohnung in Ashkelon. Die israelische Stadt wurde am Samstag mit Raketen beschossen.Foto: dpa

    Itzik Shmuli war gerade beim Sabbatessen. Die Familie des 32-jährigen Studenten war am Freitag eigens in die südisraelische Stadt Aschdod gefahren, um dem alten Onkel Efraim beizustehen, der seit mehreren Tagen im Raketenhagel der Hamas seinen Lebensabend fristet. Das ist gefährlich: Drei Israelis fanden durch den Beschuss bereits ihren Tod, zig andere wurden verletzt. „Draußen Explosionen und Sirenen, drinnen sangen wir unsere traditionsreichen Lieder“, erzählt Itzik Shmuli.

    Da klingelte das Handy, seine Verbindungsoffizierin war dran. Sie gab ihm den Befehl, sich umgehend bei der Panzereinheit zu melden, zu der er als Reservist gehört: „Ich gab Omer, meinem neuen Neffen, noch einen Kuss auf die Stirn, dann raste ich mit dem Auto nach Hause, um meine Sachen zu packen.“ Noch letzten Sommer forderte Shmuli den Rücktritt seines Premiers Benjamin Netanjahu, war einer der charismatischen Anführer der größten Protestwelle in Israels Geschichte. Doch nun folgte nicht nur Shmuli dem Netanjahus Befehl: Mehr als 75 000 Reservisten will Israels Regierung für eine Bodenoffensive in Gaza einziehen, mehr als doppelt so viele wie in den großen Militäraktionen in Gaza 2008 oder im Libanon 2006. Zehntausende Lehrer, Rechtsanwälte, Ärzte und Sozialarbeiter, Väter und Mütter ließen alles stehen und liegen, um dem Marschbefehl Folge zu leisten: „Es ist eine Frage der Solidarität“, so Shmuli. Alle hoffen sie Israels Süden, der seit mehr als zehn Jahren mit Raketen beschossen wird, mit einer Invasion ein wenig Ruhe bescheren zu können.

    Auf Iyad al Bayary im Flüchtlingslager Jebalyah in Gaza macht das keinen Eindruck. Bis Sonntagabend kamen 50 Palästinenser ums Leben, die Mehrheit von ihnen Hamas-Aktivisten, die von Israel gezielt getötet wurden. Dennoch hat Bayary keine Angst: „Diesmal greifen die Israelis keine Zivilisten an, sondern nur die Raketenbasen der Hamas.“ Trotzdem hat er seine Ehefrau und seine fünf Jahre alte Tochter vorsichtshalber zu Verwandten in Gaza-Stadt geschickt, falls die Israelis einmarschieren sollten. Dabei ist er überzeugt, diesmal sei „alles anders, die Gleichung hat sich geändert“, so der 36 Jahre Mann, der als Aufseher der Krankenpflege im Gesundheitsministerium in Gaza arbeitet. „Die Israelis werden nicht kommen, die Widerstandsorganisationen sind zu stark geworden.“

    Premier Netanjahu gab sich am Sonntag unerbittlich: Zwar würde er einem Waffenstillstand zustimmen, falls die Hamas bedingungslos ihr Feuer einstellte und sich verpflichtete, nicht wieder auf israelische Städte zu schießen, sagte der Premier in Gesprächen mit Staatschefs aus aller Welt. Sollte sie das aber nicht tun, „ist unsere Armee dazu bereit, die Aktion weiter auszudehnen“. Minister in seiner Regierung fordern den Einmarsch, um eine Entscheidung herbeizuführen. Auch die Hamas hätte nichts gegen einen Waffenstillstand, nur knüpft sie daran Bedingungen: Premier Ismail Haniyah forderte internationale Garantien dafür, dass Israel in Gaza keine Präventivschläge mehr durchführt, und eine Erleichterung der Ausfuhrbeschränkungen aus dem belagerten Landstrich.

    Keiner der Beteiligten will also wirklich die Bodenoffensive. Sie zu verhindern, wurde am Wochenende Aufgabe des ägyptischen Präsidenten Muhammad Mursi. Deutschland und die USA drängten den ehemaligen Muslimbruder, seinen Einfluss auf die Hamas geltend zu machen. Die Versuche, die Forderungen Israels und der Hamas auf einen Nenner zu bringen, schienen Sonntagabend jedoch aussichtslos. Netanjahu und Haniyah glauben an einen Sieg – und wollen jetzt nicht nach dem Waffengang als Verlierer dastehen.

    High-Tech und Low-Tech: Wie unterschiedlich Israel und die Hamas ausgestattet sind

    Der Journalist Arye Gurdus ist in Israel normalerweise für seine trockenen und akkuraten Berichte bekannt. Doch am Samstag konnte er seine Begeisterung nicht im Zaun halten: „Wir sind einfach ein Volk von Genies!“, frohlockte der sonst so selbstkritische Gurdus in einer Live-Schaltung. Seine Ekstase wurde von zwei Feuerbällen ausgelöst, die über seinem Büro im Himmel von Tel Aviv aufflammten. Wieder einmal hatte das Raketenabwehrsystem „Iron Dome“ zwei palästinensische Raketen, die den Stadtkern von Israels wichtigster Metropole treffen sollten, in der Luft pulverisiert.

    Kurz nach Beginn der Operation „Säulen der Verteidigung“ gegen die radikal-islamische Hamas in Gaza steht in Israel bereits ein Kriegsheld fest: Begeistert feiert das Land seine neue Luftabwehr. Dabei verfügt die Armee (IDF) über eine ganze Palette neuer Waffen: Bei mehr als 1000 Luftangriffen kamen im Gazastreifen bis Sonntagmittag 50 Palästinenser ums Leben, weniger als die Hälfte Zivilisten. Diese vergleichsweise verschwindend niedrige Opferzahl ist die Folge monatelanger Vorbereitung durch den Geheimdienst, punktgenauer Aufklärung mit unbemannten Drohnen und dem Einsatz hochpräziser Munition.

    Der technologischen Überlegenheit der Israelis begegneten die Palästinenser hauptsächlich mit Quantität. In vergangenen Jahren schmuggelte die Hamas Tausende Kurz- und Mittelstreckenraketen in den Landstrich. Unter anderem die sechs Meter große iranische „Fajer-5“, mit einer Reichweite von über 70 Kilometern. So können sie erstmals auch Tel Aviv und Jerusalem beschießen. Um sich vor der israelischen Aufklärung zu schützen, vergrub die Hamas Tausende Raketen in getarnten, unterirdischen Abschussrampen, die teilweise per Fernbedienung aktiviert werden.

    Beide Seiten können Erfolge feiern: Der Hamas gelingt es Israel zu beschießen, das tötet mit hoher Genauigkeit Hamas-Aktivisten und wehrt die Mehrheit der Raketen ab. Folge ist eine Pattsituation, die beide Seiten den Sieg auf einem anderen Schlachtfeld suchen lässt: Elektronik und Medien. So zählten israelische Behörden über 44 Millionen Cyberattacken auf Regierungswebseiten. Israels Armee kaperte ihrerseits das offizielle Hamas-Radio und übermittelte den Bewohnern Gazas eine Nachricht: „Die Hamas spielt mit Feuer und Eurem Leben! Haltet Euch von Hamas Einrichtungen und Aktivisten fern!“ Text: Yaron

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