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Lernen mit dem Partnerkind

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Lernen mit dem Partnerkind

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    Groß hilft Klein: Die Zweitklässlerin Jasmin Zimmermann (stehend) unterstützt ihr Partnerkind Justine „Tini“ Taillefer aus der ersten Klasse im Unterricht.
    Groß hilft Klein: Die Zweitklässlerin Jasmin Zimmermann (stehend) unterstützt ihr Partnerkind Justine „Tini“ Taillefer aus der ersten Klasse im Unterricht. Foto: Fotos: Thomas Obermeier

    Tini kommt mit der Schultasche über der Schulter in ihren Klassenraum in der kleinen, rot gestrichen Grundschule in Rödelsee (Lkr. Kitzingen) und setzt sich auf ihren Platz in der ersten Reihe. Als Erstklässlerin hat sie in der jahrgangskombinierten Klasse einen der kleineren Tische und auch einen der kleineren Stühle. Noch bevor der Unterricht um 8.10 Uhr beginnt, holt das blonde Mädchen seinen orangefarbenen Wochenplan für Klasse eins unter der Schreibtischunterlage hervor und schaut mit prüfendem Blick nach, was noch nicht abgehakt ist. Dann zieht die Sechsjährige ein Arbeitsblatt aus ihrem Schulranzen und beginnt, lauter große und kleine Y zu malen.

    Der Wochenplan ist an der Grundschule in Rödelsee eine typische Arbeitsweise im jahrgangskombinierten Unterricht: Erst- und Zweitklässler bekommen dadurch (unterschiedliche) Vorgaben, was in den verschiedenen Fächern innerhalb einer Woche in Stillarbeit zu erledigen ist. „Wann sie was machen, ob sie also mit Mathe anfangen oder mit Deutsch, das können die Kinder selbst entscheiden“, erklärt Klassenlehrerin Susanne Adler – und fügt hinzu: „Das lehrt die Kinder, sich selbst einzuteilen und selbstständig zu arbeiten.“

    82 Kombiklassen in Unterfranken

    Eben diese Fähigkeiten sowie das mit- und voneinander lernen sollen in den 82 jahrgangskombinierten Klassen, die es in diesem Schuljahr in Unterfranken gibt, gefördert werden. Dass die Schüler die besondere Arbeitsweise gewohnt sind und sich ganz selbstverständlich helfen, zeigt sich, als Selina plötzlich vor Tinis Tisch steht und ihr ein Arbeitsblatt unter die Nase hält: „Kannst du mir mal sagen, was ich da machen muss?“, fragt sie und sagt schüchtern: „Ich bin Erstklässlerin, deshalb frage ich Tini, denn die ist auch Erstklässlerin!“ Als die gerade ihr Blatt herauskramt, will Frau Adler wissen, wie weit die beiden mit ihren Wochenplänen sind. Es fehlt noch einiges – und das, obwohl schon Donnerstag ist. „Na, dann helfen euch mal Lena und Emilia, die sind nämlich schon fertig“, sagt Susanne Adler freundlich und gibt den beiden Zweitklässlerinnen Bescheid.

    Zwei Räume weiter setzen sich die vier Mädchen an einen Gruppentisch. Tini und Selina beginnen mit der Arbeit. „Du weißt ja, wie das geht, gell?“, fragt Emilia und schaut auf Selinas Arbeitsblatt. „Ja klar!“, sagt die und fängt an, Wortpaare zu suchen. Gegenüber tippt Lena streng auf Tinis Blatt, wenn die sich nicht ranhält, sondern stattdessen lieber quatscht. „13 plus vier macht was, Tini?“ Tini streicht sich die Haare aus dem Gesicht, stützt das Kinn in die Hand. „Oh Gott, das geht ja babyleicht!“, ruft sie wenig später. „Na, dann dreh mal das Blatt um und kontrollier' dein Ergebnis! Aber nicht spicken, Tini, ich hab' dich im Auge“, warnt Lena streng und grinst. Die Zweitklässlerin ist stolz, dass sie den Jüngeren helfen kann, schließlich weiß sie, wie das ist: „Als ich in der ersten Klasse war, haben mir die Älteren ja auch geholfen, und da hab' ich alles besser verstanden und bin schneller vorangekommen.“

    Nebenan, im eigentlichen Klassenraum, herrscht eine ruhige und konzentrierte Arbeitsatmosphäre. Alle Schüler bearbeiten selbstständig verschiedene Aufgaben. Manche sitzen vertieft an ihrem Platz, andere machen Partnerarbeit. Susanne Adler geht umher, schaut allen Kindern über die Schulter. „Hast du das Gedicht denn auch schon gelesen, das du da zusammenklebst?“, fragt sie den siebenjährigen Flo. „Nö“, antwortet er und grinst schelmisch. „Na, dann lies es mir mal laut vor“, bittet Frau Adler und beugt sich zu dem Erstklässler hinunter. Sie sagt: „Der große Vorteil am Kombi-Unterricht ist, dass ich die Kinder individuell fördern kann. Gerade beim Lesen haben manche Kinder Hemmungen vor der ganzen Klasse – und so picke ich sie mir einzeln raus, damit jeder das übt, was er braucht.“

    Seelenruhig liest Flo sein Gedicht vor, auch wenn um ihn herum ständig Kinder durch den Raum laufen – zur Leseecke, zur Blätterbox oder zum Partnerkind. Dabei ist es aber auch so leise, dass Susanne Adler ihre Schüler nur selten zur Flüsterlautstärke ermahnen muss. „Wer lauter reden will, geht eben raus“, erklären zwei Mädchen und packen ihre Sachen zusammen. Auf der Fensterbank im Flur breiten sie sie wieder aus und beugen sich im Stehen über ihre Arbeiten. „So schlafen einem wenigstens die Beine nicht ein und man kann aus dem Fenster gucken“, sagen die Freundinnen vergnügt.

    Als es um 8.55 Uhr zur zweiten Stunde klingelt, kehren die Kinder aus allen Ecken in den Klassenraum und an ihre Plätze zurück. Tini macht noch schnell einen Umweg über das bunte Hüpfekästchen am Rand des Klassenraums, springt singend auf einem Bein von der eins bis zur zehn und rennt dann wieder an ihren Platz. Die Bewegung brauchte sie, um nun im zweiten Teil des Kombi-Unterrichts wieder besser still sitzen zu können – im Stuhlkreis neben ihrem großen Partnerkind aus der zweiten Klasse. Gleich werden die Kinder unter der Anleitung von Frau Adler gemeinsam ihr Wissen über Wiesenblumen sammeln, denn darüber wissen schließlich Erst- wie Zweitklässler Bescheid. Da können also alle voneinander lernen.

    Kombiklassen

    Jahrgangskombinierte Klassen sind in Bayern bereits seit Bestehen der Grundschule möglich, doch erst seit fünf Jahren wächst das Interesse an diesem Konzept im Freistaat kontinuierlich: Gab es im Schuljahr 2004/05 lediglich 14 Kombiklassen in ganz Unterfranken, sind es im laufenden Schuljahr bereits 82. Für das Schuljahr 2011/12 rechnet die Regierung von Unterfranken mit einer Verdopplung auf 153 solcher Klassen.

    Das Konzept der Jahrgangsmischung ist im Freistaat umstritten. Gegner sind der Meinung, dass es sich dabei um reine Sparmaßnahmen handelt. Die Regierung von Unterfranken betont, dass 75 Prozent der Kombiklassen aus pädagogischen Gründen eingeführt würden. Nur 25 Prozent seien systemtechnischen Gründen geschuldet, also der gerechten Verteilung von Lehrern und Stunden auf die Schulen.

    Für die 153 Kombiklassen im Schuljahr 2011/12 würden sogar 15 zusätzliche Lehrer benötigt, teilt die Regierung von Unterfranken mit. 1500 Lehrkräfte sind nach Angaben des BLLV derzeit arbeitslos und könnten nach Angaben des BLLV-Präsidenten Klaus Wenzel gut in Kombiklassen eingesetzt werden. Text: kli

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