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DEUTSCHLAND: Meckern, mosern, murren: Im Land der Nörgler

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Meckern, mosern, murren: Im Land der Nörgler

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    Chef-Nörgler: Waldorf (links) und Statler aus der „Muppet Show“. Die zwei alten Herren lästerten und schimpften sich von ihrer Theaterloge aus zu großer Berühmtheit.
    Chef-Nörgler: Waldorf (links) und Statler aus der „Muppet Show“. Die zwei alten Herren lästerten und schimpften sich von ihrer Theaterloge aus zu großer Berühmtheit. Foto: Foto: Cinetext

    Sind wir nicht zum Brüllen, wir Deutschen, mit all den kleinen und großen Meckereien, die wir uns leisten? Da gibt es beispielsweise besonders Kreative unter uns, die beim Kundenservice des Internet-Reiseportals lastminute.de anrufen und sich beschweren, weil in ihrem Hotelzimmer die Bettwäsche nicht exakt dieselbe Farbe hat wie die Vorhänge. Man kann das Ganze natürlich auch von der ernsten Seite betrachten und sich einfach nur wundern. Darüber, dass sich noch nie so viele deutsche Soldaten über die Bundeswehr beschwert haben wie im abgelaufenen Jahr. Dass so viele Verbraucher über die Qualität von Produkten und Dienstleistungen klagen, mitunter zu Recht, wie jeder weiß. Dass Patienten über Ärzte schimpfen und Mandanten über Rechtsanwälte. Dann fragt man sich unweigerlich: Was um Himmels willen ist denn los in diesem Land?

    Anja Braun arbeitet für den größten deutschen Reiseveranstalter TUI. Spricht man sie auf das Thema Beschwerden an, holt sie tief Luft und sagt: „Also . . .“ – um dann ein ganzes Paket an hauseigenen Verarbeitungsinstanzen aufzuzählen. Im Mittelpunkt: die Vororthilfe. In der TUI-Sprache nennt sich das „Zügige Abhilfe und Kompensation“, kurz ZAK. Die Anlaufstelle, wenn der Kellner zu pampig, die Matratze zu weich oder die Stechmücken zu aufdringlich sind. Dann schlägt die Stunde der Reiseleiter, die Gesandten des Veranstalters, die sprichwörtlichen Mädchen für alles. Dauereinsatz bis zum Bettenwechsel am Samstag. Schließlich das ganze Prozedere wieder von vorn.

    Woran reiben sich die Urlauber nun besonders? Ganz klar: am Hotel. Drei von vier Reklamationen gehen in diese Richtung. „Das A und O für einen gelungenen Urlaub sind zuvorkommende Mitarbeiter“, sagt TUI-Sprecherin Braun. Dann kommen das Essen, der Zustand der Hotelanlage und die Qualität des Zimmers. Deshalb ZAK, möglichst zack, zack. 85 Prozent der klagenden Gäste könne man während der Reise zufriedenstellen. Bei den anderen müsse man nacharbeiten.

    Schließlich die Gretchenfrage: Wird alles immer schlimmer? Da will sich Anja Braun lieber nicht aufs Glatteis führen lassen. So etwas wie mit der Bettwäsche und den Vorhängen habe sie noch nie gehört. Die Zahl derer, „die die Ecken mit Taschenlampen absuchen und fotografieren“, sei „sehr gering“. Und überhaupt: Selbst wenn manches nach purer Nörgelei aussehen mag: „Aus Sicht des Kunden sind alle Beschwerden berechtigt.“

    Hübsch ist in diesem Zusammenhang eine Umfrage des Online-Portals ab-in-den-urlaub.de. Danach nimmt sich unter 30 Urlaubern einer schon zu Hause vor, am Ferienort gezielt nach Mängeln zu suchen und diese zu reklamieren – mit der Absicht, vom Hotel oder Veranstalter Geld zurückzufordern oder ein besseres Zimmer zu bekommen.

    Anja Braun geht so weit zu sagen: „Kunden, die sich beschweren, sind treuere Kunden. Denn wer sich nicht beschwert und seinen Ärger behält, bucht in der Regel kein zweites Mal.“ Und am Ende doch eine Zahl: Die Reklamationsquote bei TUI liege „unter zwei Prozent“, die Zahl der Klagen gegen den Konzern sei sogar so gering wie nie.

    Also alles halb so schlimm? Beispiel zwei: die Bundeswehr. Zum Jahreswechsel fasste Hellmut Königshaus die Stimmung unter den Soldaten mit Worten zusammen wie: „Viele fühlen sich von ihrem Dienstherrn allein gelassen.“ Königshaus ist Wehrbeauftragter des Bundestages, im Volksmund so etwas wie der Beschwerde-Onkel der Truppe. Bei ihm können Soldaten auf direktem Weg Dampf ablassen – unabhängig vom internen Beschwerdeweg der Bundeswehr.

    In dieser Woche debattierte der Bundestag über die Lage der Soldaten im Jahr 2012. Details für 2013 will Königshaus der Öffentlichkeit am 28. Januar vorstellen. Vorab verriet er der Nachrichtenagentur dpa schon mal, dass bis Weihnachten 5061 Beschwerden eingegangen sind, 17 Prozent mehr als im Vorjahr. Gemessen an der Zahl der Soldaten ist das der höchste Stand seit Beginn der Erfassung 1959.

    Grund für den Frust seien vor allem die vielen Versetzungen; schon weit mehr als 50 Prozent seien Pendler. Viele ärgerten sich über die Wehrreform mit den vielen Standortschließungen und -umstrukturierungen. Die individuellen Bedürfnisse der Soldaten seien zu wenig berücksichtigt worden, sagt Königshaus.

    Beispiel drei: die Deutsche Bahn. Auch die für Bahnfahrer zuständige Schlichtungsstelle meldet für 2013 Rekordwerte. Bis 30. Dezember sind demnach 3306 Beschwerden von Fahrgästen eingegangen. Der Großteil richtet sich gegen die Bahn. Im Vorjahr waren es noch gut 2100. Ganz oben auf der Klageliste: Ärger über Verspätungen, Zugausfälle, Probleme mit der Fahrkarte, schlechter Service.

    Deutschland – das Land der Nörgler und Neider? „So weit würde ich nicht gehen“, sagt Professor Ulrich Wagner. Dass sich in Sachen Beschwerdekultur aber etwas im Land verändert hat, glaubt der Sozialpsychologe von der Universität Marburg schon. Der Fachmann auf dem Gebiet gesellschaftlicher Konflikte sagt: „Nicht die Deutschen sind unzufriedener geworden, sondern die Strukturen haben sich verändert.“

    Was er meint ist: Viele Unternehmen haben inzwischen ein umfangreiches Beschwerdemanagement aufgebaut. Es gibt Telefon-Hotlines, es werden Statistiken geführt, „die Beschwerden sind sichtbarer als in früheren Zeiten“, stellt Wagner fest.

    Hinzu kommen Gesetze und Gerichtsurteile auf europäischer Ebene. In vielen Bereichen sind die Rechte der Verbraucher und ihre Ansprüche auf Entschädigungsleistungen ausgeweitet worden – für Fluggäste beispielsweise, im Internethandel, bei unlauteren Geschäftspraktiken. Das heißt: Wo es mehr Möglichkeiten zu Beschwerden gibt, da gibt es logischerweise auch eine stetig zunehmende Zahl an Beschwerden.

    Und Wagner führt noch ein Argument ins Feld: „Überall da, wo es Monopole gibt, ist die Neigung, sich zu beschweren, größer als in Bereichen mit einem funktionierenden Wettbewerb.“ Dort könne man vergleichsweise schnell den Anbieter wechseln. „Das geht bei der Bahn nicht und schon gar nicht bei der Bundeswehr“, sagt der Experte.

    Man kann ja auch die Frage stellen, ob es denn so schlimm ist, wenn sich immer mehr Deutsche beschweren? Lässt sich daraus nicht auch eine positive Erkenntnis ziehen – in der Art, dass die Leute sich heute eher trauen, auch mal den Mund aufzumachen? Professor Wagner sagt: „Die neuen Strukturen führen vielleicht auch dazu, dass die Menschen selbstständiger werden“ – allerdings mit dem negativen Nebeneffekt, dass manch einer diese Plattform als „nörgelnder Trittbrettfahrer“ nutzt.

    Tatsächlich gibt es sowohl in der Wirtschaft als auch bei öffentlichen Einrichtungen eine Vielzahl an Stellen, die sich als „Anwalt des Kunden“ vorstellen. Solche Leute nennen sich Ombudsmänner oder -frauen – bei Banken, der Bundesrechtsanwaltskammer, der Schufa. Oder man nennt sich „Schlichtungsstelle“ – für die Energiebranche, den Luftverkehr, das Baugewerbe.

    Es geht noch viel weiter: Sich zu beschweren, ist ein Grundrecht. Die bayerische Verfassung sieht schon seit 1946 die Möglichkeit von Petitionen vor. Bürger können sich direkt an den Landtag wenden, wenn sie ein Problem mit politischen Entscheidungen haben. Wobei der Landtag nicht für alles auch zuständig ist. „Für das Wetter zum Beispiel“, sagt Parlamentssprecher Zoran Gojic. Der Großteil der Eingaben spiegelt die Themen wider, die zum jeweiligen Zeitpunkt in der Öffentlichkeit gespielt werden: Raucherschutz, Studiengebühren oder Energiewende. Rund 2500 Beschwerden gehen pro Jahr ein, eine vergleichsweise konstante Größe, sagt Gojic.

    Schließlich: die Gesundheitsbranche. Die Politik hat schon vor Jahren die Förderung von Einrichtungen zur Verbraucher- und Patientenberatung im Sozialgesetzbuch festgeschrieben. So entstand etwa die Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD). Sie wird vom Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung finanziert und betreibt ein deutschlandweites Netz an Beratungsstellen. In Bayern sind das München (mit Außenstelle in Augsburg), Landshut und Nürnberg.

    Ein Großteil der rund 14 500 Beschwerden, die im vergangenen Jahr bei der UPD eingingen, richtete sich gegen niedergelassene Ärzte und Krankenkassen, heißt es im letzten Rechenschaftsbericht. Patienten klagen über Behandlungsfehler, darüber, keine Einsicht in Krankenunterlagen zu erhalten, oder dass die Kasse Leistungen nicht bezahlen will. Die UPD ersetzt zwar keinen Anwalt und will in erster Linie „Hilfe zur Selbsthilfe“ geben. Trotzdem glauben Experten, dass die Nachfrage nach solchen Beratungsstellen in den kommenden Jahren deutlich steigen wird. Irgendwann, man sieht es schon vor sich, wird sich der Alltag allein mit dem Abarbeiten der deutschen Beschwerde-Maschinerie bestreiten lassen. Nur: Was bleibt, wenn am Ende vielleicht gar nichts Zählbares herausspringt?

    Mancher hat ein eher ungewöhnliches Ventil für seinen Ärger gefunden. „Beschwerdechor“ nennt sich das. Eine Horde an Menschen rottet sich auf öffentlichen Plätzen zusammen, stampft mit den Füßen auf und – kein Witz – nörgelt gesanglich ihren ganzen Frust heraus. Diese Form des Klageliedes geht bis in die Antike zurück und erfährt in Europa gerade so etwas wie eine kleine Wiedergeburt. Im Fall eines Dresdner Laienchors führt das so weit, dass selbst Intimes nicht ausgespart wird. „Meine Partnerin ist so völlig inaktiv“, lautet die Klage aus der Männersektion des Chores. Und die Frauen antworten mit ihren Sopran- und Altstimmen: „Mein Freund will immer Sex.“

    Kuriose Beschwerden von Urlaubern

    Zwar beschweren sich Urlauber oft zu Recht über Reisemängel – doch einige Hotelgäste übertreiben es wohl ein bisschen. Das Online-Reservierungsportal HRS hat vor einiger Zeit eine Auswahl kurioser Kundenbeschwerden bei seinen Partner-Hotels zusammengestellt:

    So wollte ein Hotelgast an der Ostsee absolut nicht einsehen, warum er Kurtaxe bezahlen soll – schließlich sei er doch gar nicht damit gefahren. Dass es sich bei der Kurtaxe nicht um ein Taxi handelt, erklärten ihm daraufhin die Mitarbeiter des Hotels. Geduldig, wie es heißt.

    In Bayern beschwerten sich Hotelgäste über die Berge. Diese würden das Tal, in dem das Hotel lag, derart verengen, dass man kaum noch Luft bekomme. Ebenfalls in Bayern verlangte ein Gast nach einer Übernachtung sein Geld zurück, weil er wegen des Wetters nicht schlafen konnte. Bei Regen, sagte er, fürchte er sich immer so, dass er kein Auge zubekomme.

    Eine Frau wollte den Zimmerpreis wegen Lärmbelästigung mindern. Schuld war allerdings weder eine stark befahrene Straße, noch feiernde Hotelgäste, sondern ihr eigener Ehemann. Der habe zu laut geschnarcht und so ihre Nachtruhe gestört. Beschwerden anderer Frauen waren noch unglaublicher: Gleich mehrmals sei es vorgekommen, dass weibliche Hotelgäste behaupteten, sie seien durch das Schwimmen im Swimmingpool schwanger geworden. Text: dpa

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