Südafrikas beinamputierter Sportstar Oscar Pistorius ist gleich zu Beginn seines Mordprozesses in die Klemme geraten: Die erste Zeugin widersprach am Montag Pistorius' Schilderung vom gewaltsamen Tod seiner Freundin Reeva Steenkamp am Valentinstag vor einem Jahr. Der 27-Jährige selbst bezeichnete sich vor dem Gericht in Pretoria als „nicht schuldig“ im Sinne der Mordanklage. Staatsanwalt Gerrie Nel hingegen betonte, Indizien und Zeugen würden klar die Schuld des südafrikanischen Paralympics-Stars belegen.
Pistorius' Nachbarin Michelle Burger belastete ihn schwer. Sie sagte, sie habe in der Tatnacht zunächst Schreie eines Mannes, dann einer Frau und danach Schüsse gehört. „Sie schrie furchtbar und rief um Hilfe“, berichtete Burger. Sie habe den Eindruck gehabt, dass sich die Frau in Lebensgefahr befunden habe. Zwischen den Schüssen später habe es eine größere Pause gegeben. Die Nacht sei „sehr traumatisch“ gewesen.
Mutter des Opfers in erster Reihe
Die Wirtschaftsprofessorin schwächte ihre Schilderung auch in einem zweistündigen Kreuzverhör des Pistorius-Verteidigers Barry Roux nicht ab. Sie sagte, sie habe zunächst an einen Überfall im Haus des berühmten Nachbarn geglaubt. Burgers Haus liegt nach Unterlagen der Polizei 177 Meter vom Domizil des Angeklagten entfernt.
Burger berichtete, sie und ihr Mann seien kurz nach drei Uhr morgens „von den schrecklichen Schreien einer Frau geweckt worden“. Wenig später habe sie wieder Schreie gehört. „Es war schlimmer als vorher. Sie war sehr verängstigt“, sagte Burger, deren Mann ebenfalls auf der Zeugenliste steht. „Ich wusste, dass etwas Schreckliches passieren würde.“ Danach habe sie vier Schüsse gehört; nach dem ersten Schuss habe es eine Pause gegeben, die weiteren drei seien dann schnell gefolgt, fügte Burger hinzu. Dies entspricht der Zahl der Schüsse, die Pistorius auf seine Freundin abfeuerte. Die Verteidigung äußerte Zweifel an Burgers Glaubwürdigkeit. Ihr Mann habe von „fünf oder sechs Schüssen“ berichtet, sagte Anwalt Barry Roux. „Ich spreche nicht im Namen meines Mannes“, antwortete die Zeugin, die gleichwohl versicherte, ihr Mann sei „ehrlich“.
Pistorius hatte bisher stets behauptet, er habe in der Tatnacht am 14. Februar 2013 keinen Streit mit seiner Freundin Steenkamp gehabt. Auch will er die Schüsse kurz hintereinander abgefeuert haben. Als er durch die geschlossene Badezimmertür schoss, habe er dahinter einen Einbrecher vermutet – und nicht das blonde Mannequin.
Wie zur Mordanklage erklärte der Paralympics-Star auch zum Vorwurf, er habe gegen das Waffengesetz verstoßen, er sei „nicht schuldig“. Sein Co-Verteidiger Kenny Oldwage verlas eine Erklärung, in der Pistorius seine Unschuld beteuert und die Schilderungen der Anklage als unwahr bezeichnet: „Sie könnten nicht weiter von der Wahrheit entfernt sein.“
Zuvor hatte Staatsanwalt Nel den 27-Jährigen des vorsätzlichen Mordes an dem Model Steenkamp beschuldigt. Der behinderte Profisportler habe seine Freundin mit Absicht und gezielt erschossen, sagte Nel. Im voll besetzten Gerichtssaal saßen viele Verwandte und Freunde des Angeklagten und des Opfers. Erstmals überhaupt traf dabei die Mutter des Opfers, Jane Steenkamp, auf den Angeklagten. Die 67-Jährige saß schwarz gekleidet in der ersten Reihe. Sie hatte in einem Interview betont, sie wolle „Pistorius in die Augen sehen“. Als Pistorius den Saal betrat, schaute er meist zu Boden, wirkte ernst und bedrückt. Die Mutter des Opfers hatte erklärt, sie könne sich vorstellen, Pistorius zu verzeihen. „Ich werde bereit sein, ihm zu vergeben“, sagte sie der Zeitung „The Star“. „Aber zuvor will ich ihn zwingen, mich anzublicken, damit er den Kummer und den Schmerz sieht, die er mir bereitet hat.“
Der Prozess ist auf 15 Verhandlungstage angesetzt. Der erste Tag unter dem Vorsitz der Richterin Thokozile Masipa begann nach Gerichtsangaben wegen der Abwesenheit eines Übersetzers mit 90 Minuten Verspätung. Der Prozess soll am Dienstagmorgen fortgesetzt werden.
Der Fall O. J. Simpson
Ein berühmter Sportler, ein mysteriöser Kriminalfall und ein aufsehenerregender Indizienprozess – so manches im Fall des südafrikanischen Paralympics-Stars Oscar Pistorius erinnert an die spektakulären Doppelmord-Prozesse gegen den früheren US-Football-Star Orenthal James „O. J.“ Simpson. Am 12. Juni 1994 waren dessen ehemalige Ehefrau Nicole und ihr Freund in Los Angeles ermordet worden. Nach einer Verfolgungsjagd im Auto, die Millionen Zuschauer live im Fernsehen verfolgen konnten, ergab sich Simpson der Polizei und plädierte vor Gericht auf unschuldig. Zeugen gab es nicht, die Tatwaffe wurde nicht gefunden. Das Gericht sprach Simpson nach einem neunmonatigen Strafprozess im Oktober 1995 überraschend frei: Die Beweise reichten nicht aus. In einem von den Angehörigen der Opfer angestrengten Zivilverfahren hingegen sprach ihn eine Geschworenenjury im Februar 1997 schuldig – anhand von Beweisstücken, die im ersten Verfahren noch nicht vorgelegen hatten. Simpson wurde zur Zahlung von insgesamt 33,5 Millionen US-Dollar Schadensersatz verurteilt. Text: dpa