Mit dem Aufwärtstrend des vergangenen Jahrzehnts ist es vorbei. Das ist die wesentliche Aussage der neuen Pisa-Studie, die Bildungspolitiker und Schulen alle drei Jahre wieder mit Spannung und etwas ängstlich erwarten. Seit dem „Pisa-Schock“ 2001 hatten die deutschen Schüler im berühmtesten Vergleich der weltweiten Bildungssysteme kontinuierlich aufgeholt.
Am Dienstag nun stellten Wissenschaftler der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in Berlin die neuen Ergebnisse vor, für die im vorigen Jahr 540 000 Schüler in 72 Ländern getestet worden waren. Danach scheint der Schwung der Reformen im deutschen Bildungssystem aufgebraucht, denn seit Pisa 2012 haben sich die Schüler nur im Lese- und Textverständnis etwas verbessert. In Mathematik und Naturwissenschaften fielen sie sogar leicht zurück.
Deutschland zählt im internationalen Vergleich weiter zum oberen Drittel und liegt mit Platz 16 von 72 Plätzen durchweg über dem OECD-Schnitt; aber für die Spitzengruppe reicht es nicht. Singapur schafft es in allen getesteten Bereichen mit großem Abstand zur Bundesrepublik auf den ersten Platz. Im Schwerpunktfach Naturwissenschaften liegt der Stadtstaat vor Japan und Estland.
Bildungssystem „sehr altmodisch“
„Die zweite Raketenstufe hat in Deutschland nicht gezündet“, sagte Pisa-Chefkoordinator Andreas Schleicher am Dienstag in Berlin. Trotz aller Neuerungen seit 2001 sei das Bildungssystem hierzulande „sehr altmodisch“. Er kritisiert den Fokus auf bloßes „Paukwissen“ und findet, dass Lehrer bei Reformen mehr mit einbezogen werden sollten. Im Siegerland Singapur etwa bereiten Lehrer ihren Unterricht in professionellen Arbeitsgruppen vor, jeder Lehrer hat 100 Stunden Weiterbildung im Jahr.
Dennoch habe sich seit der ersten Pisa-Studie „enorm viel verändert“. Damals hatte Deutschland viel schlechter abgeschnitten als erwartet und investierte danach Milliarden in den Ausbau der frühkindlichen Bildung und des Ganztagsunterrichts. Das ebenfalls als Reaktion auf Pisa eingeführte G 8 ist heute nicht nur in Bayern überholt.
Bessere Chancen zum Aufstieg
Die Reformen haben laut den Bildungsforschern dazu beigetragen, dass Schüler aus den unteren Gesellschaftsschichten jetzt bessere Chancen haben, den sozialen Aufstieg zu schaffen: Am unteren Ende des Leistungsspektrums habe sich nachhaltig etwas verändert, sagt Pisa-Chef Schleicher. Jeder Dritte aus stark benachteiligten Milieus hat demnach eine Chance, ins leistungsstärkste Viertel vorzudringen. Vorher war es nur jeder Vierte gewesen. Dennoch zeigt die Statistik auch, dass bei der Chancengleichheit Potenzial nach oben ist. Schüler mit Migrationshintergrund liegen im Schnitt ein Schuljahr hinter den Leistungen deutscher Jugendlicher.
Zahlen für die Bundesländer gibt es nicht. Bayerns Kultusministerium signalisierte aber Handlungsbedarf – neben der Entkoppelung von Schulerfolg und Herkunft wolle man gezielt an der Nutzung digitaler Medien und an der Förderung leistungsstarker Schüler arbeiten. Mit dpa und afp
Das ist die Pisa-Studie Stichprobe: In Deutschland nahmen rund 6500 Schüler im Alter von 15 Jahren an der Studie teil. Insgesamt wurden in den 72 OECD-Ländern 540 000 Schüler getestet. Verfahren: Die Schüler beantworteten am Computer Fragen zu Naturwissenschaften, Mathematik und Lesekompetenz – teils mussten sie ankreuzen, teils Antworten formulieren. Kritik: Gegner bemängeln, dass Pisa nur einen kleinen Ausschnitt des Schülerwissens testet. Deshalb seien die Ergebnisse schwer zu verallgemeinern. sari/az