Ulrich Schneider fühlt sich bestätigt. Seit Jahren schon prangert der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, der sich selber als Lobbyist für die Kranken und Schwachen dieser Gesellschaft bezeichnet, die ungleiche Verteilung der privaten Vermögen in der Bundesrepublik an, zudem gehört er zu den Initiatoren des Bündnisses „Umfairteilen – Reichtum besteuern“, das eine deutlich stärkere Steuerbelastung der reichen Haushalte in Deutschland fordert.
Jetzt hat es Ulrich Schneider schwarz auf weiß vor sich: Die Reichen in Deutschland sind in den letzten vier Jahren trotz Banken-, Finanz- und Eurokrise noch reicher geworden. Das geht aus dem Entwurf des neuesten Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung aus dem Hause von Arbeits- und Sozialministerin Ursula von der Leyen (CDU) hervor, der sich derzeit in der Ressortabstimmung befindet und voraussichtlich im November vom Bundeskabinett verabschiedet wird. Demnach hat sich das private Nettovermögen der Deutschen, wozu Immobilien, Geldanlagen, Bauland oder Ansprüche aus Betriebsrenten gehören, zwischen 2007 und 2012 insgesamt um 1,4 Billionen Euro erhöht, zwischen Anfang 1992 und Anfang 2012 verdoppelte es sich gar von knapp 4,6 auf rund zehn Billionen Euro. Im gleichen Zeitraum schrumpfte das Nettovermögen des deutschen Staates um 800 Milliarden Euro. Doch der Reichtum ist nach Erkenntnissen der Bundesregierung äußerst ungleich verteilt. So vereinen die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung inzwischen 53 Prozent des gesamten Nettovermögens, 1998 belief sich diese Zahl noch auf 45 Prozent, während die unteren 50 Prozent der Bevölkerung nur über ein Prozent des Vermögens verfügen. Erhebliche Unterschiede verzeichnet die Bundesregierung auch bei der Lohnentwicklung. Während sie „im oberen Bereich positiv steigend“ gewesen sei, hätten die unteren 40 Prozent der Vollzeitbeschäftigten nach Abzug der Inflation Verluste hinnehmen müssen. „Eine solche Einkommensentwicklung verletzt das Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung“, heißt es dazu im Regierungsbericht.
Wolfshörndl: Gerechte Löhne müssen her
Für den Bezirksvorsitzenden des Sozialverbandes der Arbeiterwohlfahrt, Stefan Wolfshörndl aus Gerbrunn (Lkr. Würzburg), ist die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt eine Wurzel des Übels: „Gerechte Löhne für vernünftige Arbeit sind ein Lösungsansatz.“ Wenn in einer Familie mit zwei Kindern nur ein Elternteil arbeiten könne, „dann wird's schon verdammt eng“, sagt SPD-Politiker Wolfshörndl und erinnert sich an seine Kindheit in den 70er Jahren: „Mit einem normalen Job konnte ein Vater die Familie ernähren und sich eine Existenz aufbauen.“ Heute dagegen würden in Deutschland fast schon amerikanische Verhältnisse herrschen: „Die Schere zwischen Arm und Reich klafft bedauerlicherweise immer weiter auseinander“, so der unterfränkische AWO-Vorsitzende. Das führe dazu, dass es eine einflussreiche, reiche Klasse gebe, die zunehmend die politische Richtung präge, während am anderen Ende nicht mehr nur Arbeitslose in die Armut abrutschen, „sondern eben oft auch Familien mit einem Verdiener schauen müssen, wie sie über die Runden kommen“.
Ähnlich sieht es auch Ulrich Schneider. „Wenn es überhaupt noch eines Beleges für die Möglichkeit und die Notwendigkeit der Umverteilung in Deutschland bedurft hätte, so ist dieser nun mit dem amtlichen Armuts- und Reichtumsbericht gegeben“, sagt der Sozialexperte. Wenn sich derart riesige Vermögen auf immer weniger Menschen in Deutschland konzentrieren, „ist dringender Handlungsbedarf gegeben“. Für das Bündnis „Umfairteilen“ heißt dies: Wiedereinführung einer dauerhaften Vermögenssteuer sowie eine einmalige Vermögensabgabe.
Das fordern auch Sozialdemokraten, Grüne und Linke mit Blick auf die neuesten Zahlen des Armuts- und Reichtumsberichts. Der zentrale Befund des Zahlenwerkes von Ursula von der Leyen sei ein „unschlagbares Argument für die Wiedererhebung der Vermögenssteuer“, sagt der SPD-Finanzexperte Joachim Poß. „Dadurch würden zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden: Mit ihr würde sich die finanzielle Situation des Staates verbessern und gleichzeitig könnte das Auseinanderdriften der Gesellschaft bei den Vermögen zumindest gestoppt werden.“
Der Bundesgeschäftsführer der Linkspartei, Matthias Höhn, nennt den Reichtumsbericht ein „Armutszeugnis“: „Hier läuft etwas grundsätzlich aus dem Ruder: Der soziale Zusammenhalt der Gesellschaft ist akut gefährdet, wenn sich nicht die Einsicht durchsetzt, dass dem Auseinanderklaffen der Schere endlich wirksam etwas entgegengesetzt werden muss.“ Reichtum sei teilbar, so Höhn, „und er muss geteilt werden“.
Rein statistisch ist das Geldvermögen der Deutschen nach Berechnungen des Versicherungskonzerns Allianz im vergangenen Jahr um 1,5 Prozent auf 38 521 Euro pro Kopf gestiegen, womit sich die Bundesrepublik unter den 52 untersuchten Ländern leicht von Platz 17 auf Platz 16 verbesserte. Nach Abzug der Schulden bleibt ein Nettovermögen von 14 880 Euro. Deutlich reicher als die Deutschen sind die Schweizer (138 062 Euro), die Belgier (68 491), die Niederländer (61 315 Euro) und sogar die Italiener (42 875 Euro). Allerdings habe die Niedrigzinspolitik der EZB den Vermögensaufbau der Deutschen gedämpft. Die „entgangenen Einnahmen“ summierten sich nach Berechnungen der Allianz allein für die deutschen Sparer auf 50 Milliarden Euro. Mitarbeit: Achim Muth