Bis zuletzt hielt die Mehrheit seiner Landsleute zu ihm, die ihn weiter als „größten Volkshelden aller Zeiten“ verehrte. Die Flucht des vermutlich schlimmsten Kriegsverbrechers seit 1945 in Europa, der auch als „Schlächter vom Balkan“ bezeichnet wurde, endete nun ganz unspektakulär auf einem Bauernhof in der Provinz. Als die ersten Fahrzeuge des Geheimdienstes und der Spezialpolizei um sechs Uhr früh im Dorf Lazarevo bei Zrenjanin auftauchten, war selbst der Bürgermeister überrascht. Auch der von seinen Landsleuten immer noch hoch geschätzte und seit Jahren als Kriegsverbrecher gesuchte Ratko Mladic war offenbar ahnungslos und suchte hinter seiner falschen Identität als Milorad Komadic Schutz.
In einem unscheinbaren bäuerlichen Anwesen in der Provinz wurde der „militärische Superstar“ der Serben aus den 90er-Jahren ohne große Zwischenfälle festgenommen. Er hatte bei einem Verwandten Unterschlupf gefunden. Dem geht es wirtschaftlich offensichtlich nicht so prächtig, worauf das rostige Eingangstor zum bescheidenen Hof hinweist. Die immer befürchtete Schießerei der Leibgarde um Mladic und das von ihm angedrohte Blutbad gab es nicht.
In ersten Kommentaren zeigte sich der berühmte Mann auf der Straße tief enttäuscht. „Mladic hat uns jahrelang verteidigt, hat dem Staat geholfen und den Armen Essen gegeben“, lautet eine Zuschrift an die Zeitung „Blic“, die von vielen Hundert Menschen unterstützt wurde. „Riesenverrat an Serbien“ und „Freiheit für die serbischen Heroen“, hieß es in anderen Kommentaren. Das ist verständlich: Selbst bei der letzten Umfrage sprachen sich noch 51 Prozent der Bürger gegen eine Verhaftung von Mladic aus.
Der Analytiker Zoran Dragis hat eine klare Antwort auf die Frage, warum Mladic nach so vielen Jahren gerade jetzt dingfest gemacht wurde. „Es bleibt der Eindruck, dass die Regierung in Serbien die ganze Zeit wusste, wo er sich versteckt“, sage er: „Und als jetzt die EU-Kandidatur bedroht wurde, musste man Mladic schnell aufspüren.“
Die serbischen Medien jedenfalls waren völlig unvorbereitet. Die erste Meldung kam von einer Zeitung im Nachbarland Kroatien. Staatschef Boris Tadic beeilte sich dann auch bei der Veröffentlichung der sensationellen Nachricht, gleich als Gegenleistung die EU-Kandidatur seines Landes einzufordern. Dem wird sich Brüssel wahrscheinlich nicht entziehen können, auch wenn zentrale Reformen wie die Rückgabe des noch von den Kommunisten 1945 enteigneten Privateigentums immer noch auf sich warten lassen. Denn Mladic wurde bisher von vielen EU-Politikern als Bedingung aller Bedingungen für die Öffnung der EU-Tore verstanden.
Staatspräsident Tadic, der alle Fäden im Land fest in der Hand hält, hat sich offensichtlich zu dieser hoch riskanten Strategie durchgerungen: Weil seine DS-Partei – einst mit Abstand stärkste Kraft im Land – dramatisch an Zustimmung verloren hat, benötigt er einen neuen Trumpf vor den nächsten Parlamentswahlen im kommenden Frühjahr. Angesichts einer darniederliegenden Wirtschaft, einer völlig verunglückten Privatisierung sowie von Arbeitslosigkeit und sozialer Not soll die EU-Mitgliedschaft jetzt das neue politische Ass im Ärmel werden.
Dazu müssen der Bevölkerung die Segnungen Brüssels nahegebracht werden. Dafür bleibt bis zum Frühjahr noch genügend Zeit. Bis dahin, so hofft Tadic, werden alle Mladic-Fans die Vorteile von dessen Verhaftung eingesehen haben und ihm und seiner DS doch noch einmal eine Chance einräumen.
Die Suche nach Ratko Mladic
Der ehemalige Militärchef der bosnischen Serben, Ratko Mladic, wurde mehr als 15 Jahre gesucht. Der „Schlächter vom Balkan“ soll die schlimmsten Verbrechen in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg angeordnet haben. Ein Rückblick: 1992-1995: Im bosnischen Bürgerkrieg befehligt Mladic seine Truppen an der Front. Er soll für die dreijährige Belagerung Sarajevos verantwortlich sein wie für „ethnische Säuberungen“, die Gräuel in Internierungslagern und die Ermordung von rund 8000 Muslimen in Srebrenica. Juli 1995: Das UN-Kriegsverbrechertribunal klagt den Führer der bosnischen Serben, Radovan Karadzic, und Mladic des Völkermordes an. Im November folgt wegen Srebrenica eine Anklage wegen Völkermordes. Juli 1996: Das Tribunal erlässt internationale Haftbefehle gegen Karadzic und Mladic. November 1996: Die Präsidentin der bosnischen Serben, Biljana Plavsic, entlässt den Armeechef Mladic gegen den Widerstand der Militärführung. Juni 2005: Es wird bekannt, dass Mladic bis 2002 unter dem Schutz der Armee Serbien-Montenegros in Belgrad lebte. Dann sei Mladic spurlos verschwunden. Februar 2006: Die EU verlangt, dass Belgrad den Exgeneral bis April ausliefert. Die Frist verstreicht. Oktober 2007: Für Hinweise, die zu Mladics Festnahme führen, will Serbiens Regierung eine Million zahlen. August 2008: Nach der Verhaftung von Karadzic rufen serbische Minister Mladic zur Aufgabe auf. Juni 2010: Mladics Familie beantragt vor Gericht, dass Mladic für tot erklärt wird. Seit Februar 2003 gebe es keine einzige Spur, erklärt der Anwalt von Mladics Sohn Darko. Oktober 2010: Serbien erhöht die Belohnung für Hinweise, die zur Ergreifung führen, von einer Million Euro auf zehn Millionen Euro. Mai 2011: Mladic wird verhaftet und an das UN-Kriegsverbrechertribunal überstellt. Text: dpa