Endlich – das war der erste Gedanke von Gabriele Richter und Sigrid Kohm, als sie vom Urteil des Bundesverfassungsgerichts erfahren haben. Zwölf Jahre haben sie darauf gewartet. Zwölf Jahre haben sie dafür gekämpft. Zwölf Jahre haben sie jedes Jahr Widerspruch gegen den Steuerbescheid eingelegt. Nun ist es geschafft. Das Ehegattensplitting gilt auch für eingetragene Lebenspartnerschaften. Aber der Reihe nach.
Vor 23 Jahren haben sich Gabriele Richter und Sigrid Kohm in einer Kneipe kennengelernt. Beiden war sofort klar: „Das mit uns ist etwas Ernstes.“ Nach einem halben Jahr sind sie zusammengezogen und hatten seit dieser Zeit nur einen Wunsch: Sie wollten heiraten. Dass das einmal möglich ist, hätten sie damals nicht gedacht. Als 2001 das Lebenspartnerschaftsgesetz verabschiedet wurde, waren die beiden Frauen aus Veitshöchheim eines der ersten Paare in Unterfranken, die ihren Bund fürs Leben eingingen. „Damals lief das alles noch topsecret ab“, erzählt Gabriele Richter. Ein Pfarrer segnete die beiden, obwohl das damals noch nicht üblich war. Offen sprechen konnten sie darüber aber nicht. Sie wollten den Pfarrer nicht gefährden. Auch bei ihrem Job hat Gabriele Richter nicht von ihrer Verpartnerung erzählt – aus Angst.
Doch das ist Vergangenheit. Inzwischen hat sich die Versicherungsmaklerin selbstständig gemacht und steht offen zu ihrer Homosexualität. Ihre Partnerin ist blind und in Frührente. Sie hilft Gabriele Richter im Büro, wo sie nur kann. Ganz so, wie Eheleute das eben tun. Die beiden 53-jährigen Frauen sehen sich als Paar, als Ehepaar. Sie lieben sich, sie kümmern sich umeinander, sie übernehmen Verantwortung füreinander.
Die deutsche Steuerpolitik sieht das lange Zeit anders. Für sie waren die Frauen zwei Singles, Steuerklasse eins. Eine Ungleichbehandlung, die das Paar nicht hinnehmen wollte. Von Beginn an veranschlagen sie sich bei ihrer Steuererklärung gemeinsam. Von Beginn an wird das vom Finanzamt nicht anerkannt. Und von Beginn an legen sie daraufhin gegen den Steuerbescheid Widerspruch ein. Dass ist den beiden Frauen aber nicht genug. Sie schließen sich der Klage eines homosexuellen Paares beim Bundesverfassungsgericht an. Ihre Forderung: Das Ehegattensplitting muss für Lebenspartnerschaften gelten. „Es kann nicht sein, dass wir die gleichen Pflichten haben wie Ehepaare, beispielsweise im Pflegefall, aber nicht die gleichen Rechte“, sagt Gabriele Richter.
Nun sind sie am Ziel oder ihm zumindest ein Stück näher gekommen. Genauso wie die rund 68 000 Menschen, die in Deutschland in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft leben. Das Ehegattensplitting muss auch für diese Form des Zusammenlebens gelten, urteilte das Bundesverfassungsgericht vergangene Woche und bezog sich dabei auf den gesetzlich verankerten Gleichheitsgrundsatz. Diesen Steuervorteil sollen verpartnerte Paare rückwirkend bis zum August 2001 beantragen können. Allerdings gelte das nur für Einkommenssteuerbescheide, die noch nicht rechtskräftig sind. Bereits am Mittwoch hat das Kabinett einen entsprechenden Gesetzesentwurf auf den Weg gebracht. Noch im Laufe dieser Woche will die schwarz-gelbe Koalition diesen Entwurf ins Parlament einbringen und bis Ende des Monats soll darüber abgestimmt werden.
Mit diesem Urteil hat das Bundesverfassungsgericht einmal mehr die Politik auf eine verfassungswidrige Gesetzgebung hingewissen. Rund um das Thema Lebenspartnerschaft ist es bereits das sechste Urteil, das auf eine Gleichstellung homosexueller Paare abzielt. „Das Bundesverfassungsgericht ist damit über seine Kompetenzen hinausgegegangen. Es hat scheibchenweise die Angleichung an die Ehe herbeigeführt“, sagt der CSU-Bundestagsabgeordnete Norbert Geis aus Aschaffenburg und kritisiert das Urteil. „Es stellt sich die Frage, weshalb dies nicht auch für andere Einstandsverhältnisse, wie eine Mutter und eine Tochter oder zwei Schwestern, die zusammenleben, gelten sollte.“
Der Politiker spricht sich gegen die Gleichbehandlung homosexueller Lebenspartnerschaften aus und verweist auf die Sonderstellung der Ehe, die durch das Grundgesetz geschützt ist. „Die Ehe ist aus gutem Grund privilegiert. Zum einen sorgt sie für die Generationenfolge und zum anderen sind Vater und Mutter für Kinder entscheidend bei der Vermittlung von Daseinskompetenzen“, sagt er.
Auch der Würzburger Bischof Friedhelm Hofmann betont: „Die Ehe ist die Grundzelle der Gesellschaft. Sie ist über die gegenseitige Liebe von Mann und Frau hinaus auf die Zeugung von Kindern angelegt. Eine unterschiedliche Behandlung von eingetragenen Lebenspartnerschaften und der Ehe betont den besonderen Wert der Ehe für die Gesellschaft und ist keine Form der Diskriminierung.“
Ansichten, die bei vielen verpartnerten Paaren auf Unverständnis stoßen. „Ehe bedeutet, für einen anderen Menschen einzutreten, Verantwortung füreinander zu übernehmen – unabhängig vom Geschlecht“, sagt Björn Soldner aus Würzburg. Er selbst lebt in einer festen Beziehung, ist aber nicht verpartnert. Das habe rein emotionale Gründe. Derzeit gebe es in einer Verpartnerung mehr Pflichten als Rechte, sagt er. Doch obwohl er selbst nicht verpartnert ist, ist er froh über das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. „Es wurde Zeit. Das Urteil ist nicht der große Wurf, aber doch ein weiterer Schritt hin zur Gleichbehandlung.“ Ebenso wie Geis kritisiert auch er die Salami-Taktik des Bundesverfassungsgerichts. „Es werden immer nur Einzelfälle entschieden. Dabei könnte es die ganze Debatte mit einem Grundsatzurteil beenden.“
Denn auch nach dem Urteil zum Ehegattensplitting gibt es noch immer viele Baustellen, die beseitigt werden müssen, wenn eine völlige Gleichstellung von Lebenspartnerschaften gelingen soll. Allen voran das Adoptionsrecht. In Deutschland dürfen homosexuelle Paare nach bisheriger Rechtslage gemeinsam keine Kinder adoptieren, eine Pflegeelternschaft dürfen sie hingegen vielerorts übernehmen. „Die Änderung des Adoptionsrecht ist genauso überfällig wie die Anpassung des Ehegattensplittings“, sagt Andreas Roser. Der 54-jährige Würzburger ist seit 2002 verpartnert. Er selbst ist seiner Ansicht nach zu alt für Kinder, dennoch beschäftigt ihn das Thema, da auch hier wieder die gesetzliche Ungleichbehandlung deutlich wird. „Ein Adoptionsrecht bedeutet nicht automatisch einen Rechtsanspruch auf ein Kind für homosexuelle Paare, sondern nur, wenn es das Beste für das Kind in seiner jeweiligen Situation ist.“ Er ist sich inzwischen sicher: Das Adoptionsrecht wird sich ändern. „Es ist nur noch eine Frage der Zeit.“ Schließlich habe sich vor allem durch das Lebenspartnerschaftsgesetz von 2001 in der Gesellschaft viel bewegt, sagt er. „Die Menschen sehen, dass es für unsere Lebensform eine vom Staat anerkannte Institution gibt. Es ist also keinesfalls so, dass nur gesellschaftliche Entwicklungen Gesetzestexte beeinflussen, sondern auch Gesetze das gesellschaftliche Handeln.“
Ob die aktuellen gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen auch dazu führen, dass sich die Ehe öffnen wird? Gabrielle Richter und Sigrid Kohm sind sich hier ebenso sicher wie Andreas Roser oder Björn Soldner. „Das wird kommen.“ Auch hier stellt sich für Björn Soldner nur eine Frage: „Wann?“ Die Justizminister von Bund und Ländern möchten gleichgeschlechtlichen Lebenspartnern das volle Adoptionsrecht zugestehen. „Wir müssen noch viel und tief greifend über das Thema diskutieren und die Heilige Schrift befragen, bevor da eine Entscheidung getroffen werden kann“, sagt Edda Weise, Dekanin des Evangelisch-Lutherischen Dekanats Würzburg. Eine steuerliche Gleichstellung von Lebenspartnerschaften hingegen findet sie in Ordnung.
Ob das Adoptionsrecht geändert wird? Ob die Gleichstellung weiter voranschreitet? Ob sich gar die Ehe öffnen wird? All das ist Zukunftsmusik und lässt sich nicht vorhersagen.
Für Gabriele Richter und Sigrid Kohm ist die Gleichstellung beim Ehegattensplitting aber ein wichtiger Etappensieg, erzählen sie. Dann holen sie einen dicken Ordener hervor und fischen einen Zettel heraus. Vor wenigen Tagen haben sie ihn zugeschickt bekommen, den ersten Bescheid vom Finanzamt, bei dem sie mit einer gemeinsamen Steuernummer geführt werden. Stolz halten sie ihn hoch und und strahlen über das ganze Gesicht. Jetzt rechnen sie zwar mit einer Rückzahlung, doch eines betonen die beiden immer wieder: „Es geht uns nicht um die paar Kröten, es geht uns um die Gleichbehandlung.“
Chronologie der Gleichstellung
Eine Auswahl entscheidender Daten zur rechtlichen Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften: • Von 1872 bis 1994 existierte der Paragraf 175 des Strafgesetzbuchs, der sexuelle Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechts unter Strafe stellte.
• Ende der 1950er Jahre wird Homosexualität unter Erwachsenen in der DDR, ab 1969 auch in Westdeutschland nicht mehr verfolgt.
• 1989 erlaubt Dänemark als erstes Land die sogenannte Homo-Ehe.
• 2001 tritt das von der rot-grünen Regierung formulierte Gesetz zur eingetragenen Lebenspartnerschaften in Kraft, 2002 wird es vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bestätigt.
• 2005 wird das Lebenspartnerschaftsrecht weitgehend an das Eherecht angeglichen.
• 2010 entscheidet das BVerfG, dass homosexuelle Lebenspartner bei der Erbschaftssteuer nicht benachteiligt werden dürfen; 2012 bei der Grunderwerbssteuer. Text: KNA
„Es geht uns nicht um die paar Kröten, es geht uns um die Gleichbehandlung.“
Sigrid Kohm, seit 2002 verpartnert