Umweltminister Sigmar Gabriel hat der Union im Wahlkampf praktisch im Alleingang eine Auseinandersetzung um den Atomausstieg aufgezwungen und Angela Merkel aus der gewohnten Reserve gelockt. Die CDU-Chefin erneuerte letzte Woche ihre Absicht, die seit dem Jahr 2000 gestoppte Erkundung des Salzstocks Gorleben als Atommüll-Endlager nach einem Wahlsieg sofort wieder fortzusetzen. Das ist höchst riskant.
Gabriel treibt Merkel mit immer neuen Fakten. Zunächst stellte er fest, dass 2015 die Verträge mit den Grundstückseigentümern in Gorleben auslaufen. Bis dahin sei die Erkundung aber nicht abgeschlossen. Gorleben sei daher schon aus Zeitgründen „praktisch tot“. Dann behauptete er, dass die Entscheidung für die Erkundung in Gorleben im Jahr 1983 vom damaligen CDU-Ministerpräsidenten Ernst Albrecht und der CDU/FDP-Bundesregierung von Helmut Kohl willkürlich getroffen worden sei. Gestern nun, welch Zufall, legte die „Süddeutsche Zeitung“ Dokumente vor, die das bestätigen. Demnach schickten 1983 das Forschungsministerium von Heinz Riesenhuber (CDU) und das Innenministerium von Friedrich Zimmermann (CSU) der mit der Standortanalyse beauftragten Physikalisch Technischen Bundesanstalt konkrete, positive Textformulierungen und forderten sogar, mögliche Gefahren im Gutachten herunterzuspielen.
Damit gibt es jede Menge Gründe für Prozesse von Anwohnern schon gegen die Fortsetzung der Erkundung. Erst recht gegen eine Betriebsgenehmigung. Der Standort ist rechtlich praktisch tot. Ohnehin kann bei 1,5 Milliarden Euro bisherigen Kosten kaum noch von einer Erkundung die Rede sein. Spätestens mit den neuen Enthüllungen wird die Sache zum Skandal und ist eines Untersuchungsausschusses würdig. Das Endlager ist das Nadelöhr der Atomindustrie. Angela Merkel hat bisher immer argumentiert, weil in Gorleben schon 1,5 Milliarden Euro verbaut worden seien, müsse die Erkundung dort weitergehen, und nur dort. Mit den neuen Enthüllungen aber ist diese Strategie rechtlich, politisch und wissenschaftlich unhaltbar geworden.