Auch nach langem Blättern in den Unterlagen konnte die Fachverkäuferin in der Bäckerei die Frage der Kundin nicht beantworten: „Enthalten die Dinkelbrötchen Weißmehl?“, hatte diese mit Blick auf ihre abgestimmte Ernährung wissen wollen. Eine Antwort bekam sie nicht. Das wird sich bald ändern müssen. Denn Ende 2014 zündet die zweite der Stufe der EU-Verordnung zur Kennzeichnung von Lebensmitteln. Schon jetzt muss verpackte Ware alle Inhaltsstoffe, vor allem aber bekannte Allergene, exakt auflisten. Im nächsten Jahr sind auch unverpackte Produkte wie Brötchen, Brot, Käse, Obst oder Fisch dran.
„Das bedeutet für uns einen großen bürokratischen Aufwand“, sagt Michael Peschke, Geschäftsführer des Deutschen Konditorenbundes. Denn die Informationen sollen schriftlich ausliegen. Wie das bei einem Dessert, für das ein Konditor bis zu 30 Zutaten verwendet, die auch noch täglich wechseln können, funktionieren wird, weiß derzeit niemand. Auch Restaurant- und Gaststättenbesitzer klagen über den „unverhältnismäßig hohen“ Aufwand, denn sie müssten detaillierte Listen mit Zusatzstoffen jeden Tag neu anfertigen.
Der Widerstand gegen die Brüsseler Richtlinie 1169/2011 trifft jedoch den Falschen. Denn im ursprünglichen Papier ist von derart komplizierten Bestimmungen nichts zu finden. Renate Sommer, CDU-Europa-Abgeordnete und seit Jahren mit dem Dossier befasst: „Mit Rücksicht auf die besondere Situation des Handwerks wurden Lebensmittelhersteller und die Gastronomie von der generellen Kennzeichnung aller Zusatzstoffe ausgenommen. Lediglich die bekannten Allergene sollen deutlichgemacht werden. Dazu gehören beispielsweise Glykosesirup, Eier, Fischgelatine, Mandeln, Soja und Milch. Bestimmungen zu Gluten werden noch folgen.
Wie die Information an den Verbraucher kommt, können die Mitgliedstaaten festlegen.“ Tatsächlich würde es laut EU-Beschluss reichen, wenn Bäcker, Konditoren und Gaststätten dem Kunden auf Nachfrage die genaue Zusammensetzung des Produktes nennen können. Renate Sommer: „Das ist eine sehr praktikable Lösung.“ Von Aushängen, Flyern oder gar einer umfangreichen Kladde ist nicht die Rede. Die Forderung nach schriftlicher Information stammt aus dem Bundesministerium für Verbraucherschutz, das die Betriebe dazu verpflichten will. Deutschland sattelt wieder einmal drauf. Ob es dem Verbraucher hilft, sei dahingestellt.
Dabei ist Brüssel mit dem Kennzeichnungswahnsinn noch gar nicht am Ende angekommen. Im Dienste der Transparenz werden derzeit weitere Fragen geprüft, zum Beispiel ob Wasser eine flüchtige Zutat ist, die ebenfalls gekennzeichnet werden muss. Diese Herausforderung verdankt Europa tiefgefrorenen amerikanischen Hähnchen, die mit Wasser angereichert wurden. Das sollte der Kunde wissen, weil sich das Gesamtgewicht des Produktes ändert.