Es sollte ein abenteuerlicher Trip in eine der unwirtlichsten Gegenden der Welt werden – doch er endete in einer Katastrophe. In der Danakil-Wüste im Nordosten Äthiopien ist eine internationale Reisegruppe am frühen Dienstagmorgen überfallen worden. Nach Angaben der äthiopischen Regierung wurden dabei zwei Deutsche, zwei Ungarn und ein Österreicher getötet. Außenminister Guido Westerwelle (FDP) bestätigte unterdessen in Berlin den Tod der Deutschen und fügte hinzu: „Ich muss Ihnen leider auch mitteilen, dass das Schicksal von weiteren Deutschen, die zu der Reisegruppe gehörten, noch ungeklärt ist.“ Das Bundeskriminalamt (BKA) entsandte Ermittler in die Region. BKA-Chef Jörg Ziercke erklärte, ob die Täter aus politischen oder kriminellen Motiven handelten, sei noch unklar. Der Krisenstab des Auswärtigen Amtes ist unter Hochdruck um die Klärung des Schicksals der verschwundenen Deutschen bemüht. Bis Mittwochabend ging zumindest keine Lösegeldforderung ein.
Nach Angaben der äthiopischen Regierung wurde die 22-köpfige Reisegruppe bereits Montagnacht angegriffen (andere Quellen sprechen vom frühen Dienstagmorgen). Zwei Deutsche, ein Italiener, ein Ungar und drei Äthiopier sollen verletzt und verschleppt worden sein. Rund zehn Touristen, die den tödlichen Überfall überlebten, kamen am späten Mittwochabend auf dem Flughafen der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba an und wurden von Diplomaten in Obhut genommen. Auch die Leichen der fünf getöteten Urlauber sind in Addis Abeba. Ein Teil der restlichen Reisegruppe soll sich in der nördlichen Stadt Mekele befinden. Von hier aus starten viele Touren in die Danakil-Senke, wo der Überfall geschah.
„Eritrea hat mit dem Überfall absolut nichts zu tun.“
Girma Asmerom, eritreischer Botschafter bei der Afrikanischen Union in Addis Abeba
Ein Sprecher des äthiopischen Tourveranstalters, der die über den Anbieter Diamir-Erlebnisreisen (Dresden) angebotene Tour durchgeführt hat, sagte noch am Mittwochmorgen in Addis Abeba: „Wir haben immer noch keine genauen Informationen über Tote, Verletzte und Entführte. Wir haben sofort einen weiteren Wagen in die Gegend geschickt, um Informationen einzuholen. Wir sind in Kontakt mit der äthiopischen Armee, die sich bemüht, die Geiseln zu befreien.“
In einem Statement des äthiopischen Außenministeriums kündigte die Regierung an, alles zu tun, um die Entführten zu befreien und machte das Nachbarland, den Erzfeind Eritrea, für den Überfall verantwortlich. „Es ist bereits klar, dass der Überfall mit direkter Beteiligung der eritreischen Regierung stattfand“, heißt es in der Erklärung. Äthiopien wirft Eritrea vor, die gesamte Region am Horn von Afrika destabilisieren zu wollen.
Girma Asmerom, eritreischer Botschafter bei der Afrikanischen Union, die ihren Sitz in Addis Abeba hat, weist die Vorwürfe der äthiopischen Regierung zurück: „Das ist eine absolute Lüge und eine reine Erfindung. Es ist zu einer Gewohnheit der äthiopischen Regierung geworden, Eritrea zu beschuldigen, sobald irgendetwas in Äthiopien passiert. Wir sollen sogar dafür verantwortlich gewesen sein als vor einigen Monaten in der Danakil-Wüste ein Vulkan ausbrach und die Aschewolke US-Außenministerin Hillary Clinton zu einer vorzeitigen Abreise aus Äthiopien veranlasste. Die Beschuldigungen werden immer pathetischer.“ Äthiopien versuche nur von internen Problemen, abzulenken. Eritrea habe mit dem Überfall jedenfalls „absolut nichts zu tun“. Wer dafür verantwortlich sei, könne er auch nicht sagen.
Nach Angaben des österreichischen Außenministers Michael Spindelegger war die überfallene europäische Reisegruppe in einem militärischen Sperrgebiet unterwegs. Das sagte Spindelegger nach Informationen der Nachrichtenagentur APA bei einer Nationalratsdebatte in Wien.
Äthiopien annektierte Eritrea 1962. 1991 gelang es äthiopischen und eritreischen Rebellen gemeinsam, das marxistische Derg-Regime und den äthiopischen Diktator Mengistu Haile Mariam zu stürzen, zwei Jahre später erlangte Eritrea friedlich die Unabhängigkeit. Äthiopien verlor so seinen Meerzugang. Bald setzten Streitigkeiten um die unklare Grenze ein, die 1998 schließlich in einen zweijährigen Krieg gipfelten. Äthiopien siegte militärisch, 70 000 Menschen starben.
Das äthiopische Außenministerium teilte mit, dass die Toleranz der äthiopischen Regierung gegenüber einem „Regime, das offen terroristische Aktivitäten fördere, täglich dünner werde“. Äthiopien fordert die internationale Gemeinschaft auf, gegen das isolierte Eritrea vorzugehen und stellte fest: „Äthiopien hat das Recht, sich selbst zu verteidigen und wird dies tun, falls es nötig ist.“ Das ist eine offene Kriegsdrohung.
In der nächsten Woche beginnt in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba der Gipfel der Afrikanischen Union. Die äthiopische Regierung glaubt, dass die eritreische Regierung die Konferenz mit dem Überfall gefährden will. Bei einem Terroranschlag in der ugandischen Hauptstadt Kampala starben im Juli 2010 wenige Tage vor dem Gipfel der Afrikanischen Union in Kampala mindestens 74 Menschen. Damals bekannten sich die radikalislamischen Al-Shabaab-Milizen zu dem Anschlag.
Trotz des äthiopisch-eritreischen Konfliktes bietet der in Addis Abeba lebende Italiener Luigi Cantamessa mit seiner Reiseagentur seit 20 Jahren Touren in die Danakil-Wüste an. „Der Vulkan Erta Ale ist sehr schwierig zu erreichen. Ich verstehe nicht, warum die Entführer ausgerechnet dort zuschlugen“, sagt der erfahrene Reiseveranstalter. Seine Agentur wollte am Mittwoch mit einer internationalen Gruppe in die Danakil aufbrechen. Ein deutscher Tourist (32) aus dieser Gruppe sagte: „Ich wurde gegen 18.30 Uhr vom Tourveranstalter informiert, dass es in der Danakil einen Überfall mit mindestens zwei Toten gegeben hat. Die Tour wurde daraufhin gecancelt. Es ist ein Schock.“ Cantamessa befürchtet, dass der Überfall den Tourismus nach Äthiopien zum Erliegen bringen könnte, obwohl nach seiner Überzeugung „die anderen Landesteile sicher sind“.
Die Danakil-Wüste, einer der tiefliegendsten und heißesten Orte der Welt, ist bekannt für Salzseen, aktive Vulkane und bizarre Schwefelformationen. Die abgeschiedene Gegend kann auf dem Landweg nur auf sehr schlechten Pisten mit Geländefahrzeugen erreicht werden. In der heißen Wüste gibt es kaum Handyempfang. Die Touren sind meist vier- oder fünftägig. Die Übernachtung auf dem Kraterrand des Erta Ale oberhalb eines Lavasees ist der Höhepunkt der Reise. Da die Touren mit bewaffnetem Begleitschutz und örtlichen Führern stattfinden, sind sie aufwendig und nicht billig: Für einen Tag in der Wüste werden rund 200 Euro pro Person und Tag fällig.
Überfälle auf Touristen
Das Auswärtige Amt warnt vor Reisen in die Danakil-Wüste. Auf der Seite des Ministeriums hieß es am 18. Januar aber noch: „Trotz einer Zeit relativer Ruhe können Überfälle durch Banditen und örtliche Untergrundorganisationen sowie Entführungen nicht ausgeschlossen werden.“ In der unwirtlichen, trockenen Region lebt das Nomadenvolk der Afar. Rebellen kämpfen für die Unabhängigkeit. 2007 waren in der Danakil-Wüste vier Briten und eine Französin entführt worden und nach knapp zwei Wochen nach einer Lösegeldzahlung unversehrt freigelassen worden. Urlauber aus Deutschland zieht es auch in andere politisch unsichere Gebiete. Einige Zwischenfälle aus Afrika: November 2011: Im westafrikanischen Mali werden in der Stadt Timbuktu ein deutscher Tourist getötet und drei weitere Urlauber in einem Lastwagen verschleppt. September 2011: Auf dem Archipel Lamu in Kenia wird ein britischer Tourist in einem Luxushotel getötet, seine Frau wird entführt. April 2010: Zwei Deutsche werden in Nigeria bei einem Strandausflug entführt. Nach einer Woche sind sie wieder frei. Die Entführer verlangten ein Lösegeld von 150 000 Euro. Januar 2009: In Mali werden eine Deutsche, ein Schweizer Ehepaar und ein Brite entführt. Drei Monate später kommen die Deutsche und die Schweizer frei. Der Brite wird ermordet. September 2008: Unter den 19 entführten Teilnehmern einer Wüstensafari in Ägypten sind fünf Deutsche. Angeblich fordern die Kidnapper sechs Millionen Euro Lösegeld. Zehn Tage später kommen alle Geiseln frei. Juni 2008: Vor Somalia kapern Piraten das Segelboot eines deutschen Ehepaars und verlangen zwei Millionen Dollar Lösegeld. Nach zwei Monaten gibt das Auswärtige Amt ihre Freilassung bekannt. Februar 2003: Im Süden Algeriens geraten 32 Touristen, darunter 16 Deutsche, in die Gewalt islamistischer Terroristen. Eine Frau aus Augsburg stirbt beim Gewaltmarsch durch die Sahara. Erst im August endet das Drama auch für die letzten Geiseln.