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Unser unbewusster Uhrzeiger-Sinn

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Unser unbewusster Uhrzeiger-Sinn

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    Huiiiii! Geht das jetzt rechts oder links herum? Der Würzburger Psychologe Dr. Sascha Topolinski hat untersucht, wie wir durch die Bewegungsrichtung beeinflusst werden. THERESA MÜLLER
    Huiiiii! Geht das jetzt rechts oder links herum? Der Würzburger Psychologe Dr. Sascha Topolinski hat untersucht, wie wir durch die Bewegungsrichtung beeinflusst werden. THERESA MÜLLER Foto: Foto:

    Vergessen Sie einfach mal, was Sie für logisch halten. Vergessen Sie einfach mal, was als gesunder Menschenverstand gilt. Und jetzt hören wir uns an, was der Würzburger Psychologe Dr. Sascha Topolinski in Experimenten herausgefunden hat: Die Bewegungsrichtung kann menschliche Entscheidungen beeinflussen. Und mehr noch, Bewegungsrichtungen beeinflussen sogar die Persönlichkeit.

    Klingt nach Quatsch? Wie gesagt, lassen Sie das, was Sie für plausibel halten, einfach mal einen Moment lang außer Acht. Auch wenn es etwas seltsam klingen mag, was Sascha Topolinski und seine Kollegin Peggy Sparenberg vom Leipziger Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften mit einer Reihe von Experimenten untersucht haben. Die Psychologen ließen Probanden in ihren Versuchslabors in Würzburg und Leipzig – nur zum Schein – eine Reihe von Aufgaben lösen und viele Fragebögen ausfüllen.

    Wieso zum Schein? Die Wissenschaftler interessierte etwas anderes. Nämlich: Wie würden sich die Probanden in Kombination mit einer Drehbewegung – mal im Uhrzeigersinn, mal gegen den Uhrzeigersinn – verhalten? Nach den fingierten Tests durften sich die ahnungslosen Teilnehmer – angeblich zur Belohnung – aus Bechern mit Bonbons in 16 verschiedenen Geschmacksrichtungen bedienen. Die Bonbon-Becher standen auf einem drehbaren Tablett, so wie man es vom China-Restaurant kennt. Mal ließ sich der Drehteller nur im Uhrzeigersinn, mal nur gegen ihn drehen. Auf welche Geschmacksrichtungen hatten wohl die Teilnehmer Lust, die die Becher im Uhrzeigersinn drehten? Eher auf Kirsche oder auf Popcorn-Aroma?

    Das kann man nicht vorhersagen? Das spielt gar keine Rolle? Tja, würde man gemeinhin vielleicht denken. Ist aber nicht so. Sascha Topolinski und seine Kollegin konnten zeigen, dass das Drehen im Uhrzeigersinn die Lust auf Bonbons mit ungewöhnlichen Geschmacksrichtungen wie Popcorn, Marshmallow oder Melone fördert. Ließ sich das Tablett nur gegen den Uhrzeigersinn drehen, griffen die Versuchsteilnehmer eher zu Apfel, Kirsche oder Zitrone, also den Kamellen mit konventionellem Geschmack.

    Im Grunde konnten die Wissenschaftler es allein durch die Drehrichtung voraussagen: Ohne die Geschmacksvorlieben ihrer Probanden zu kennen, wussten sie, ob eher die Bonbons mit klassischem oder die mit exotischem Aroma beliebter waren.

    Sascha Topopolinski interessiert sich in seinen Forschungsarbeiten ganz generell für die unbewussten Einflüsse auf unsere Gefühle. Hat man also Lust auf Neues, wenn man nach rechts dreht? Und vertraut man lieber auf das Bekannte und Bewährte, wenn man nach links dreht? Das war die Hypothese der Psychologen gewesen. Die Ergebnisse des Bonbon-Tests bestätigten die Vermutung. Der Grund dafür seien wohl die Uhren und die Vorstellung von Vergangenem und Zukünftigem, die wir damit verknüpfen, sagt Sascha Topolinski: „Menschen verknüpfen den Verlauf der Zeit eng mit räumlichen Vorstellungen, so eben auch mit der Drehrichtung, wie wir sie tagtäglich auf Uhren und anderen Geräten erleben.“

    Die Bewegung mit dem Uhrzeiger steht für Zukünftiges, für Offenheit gegenüber Neuem und wirkt fortschrittlich. Die Drehbewegung nach links dagegen, dem Uhrzeiger entgegen, weckt offenbar die Hinwendung zum Vertrauten, Gewohnten, Alten. Eine völlig unbewusste Verbindung mit dem Zeigerlauf der Uhr beeinflusst also ganz automatisch unsere Entscheidungen. So als hätten wir einen Uhrzeiger-Sinn.

    Nun mag die Geschmackswahl bei Bonbons keine große Sache sein. Aber unsere Persönlichkeit? Unsere generellen Vorlieben und unsere Werte? Der Würzburger Diplompsychologe und seine Leipziger Kollegin gingen noch einen Schritt weiter und untersuchten, ob die Drehrichtung eines Gegenstandes auch die doch recht bewusste Einstellung und Einschätzung eines Menschen zu sich selbst verändern kann. Dafür ließen die Forscher 60 Studienteilnehmer an einer Kurbel drehen und dabei ihre persönlichen Einstellungen und Vorlieben beschreiben: Hielten sich die Probanden eher für weltoffen, tolerant und kreativ? Oder hielten sie lieber an Althergebrachtem und an konservativen Werten fest?

    Was zeigte sich? „Dass Kurbeln im Uhrzeigersinn weltoffener und kreativer macht“, sagt Sascha Topolinski. Wenige Sekunden nach rechts gekurbelt – und quasi im Handumdrehen hielten sich die Versuchsteilnehmer für tolerant und weniger konservativ. Und die Probanden mussten nicht mal selbst drehen: Ein visueller Reiz genügte. Denn sogar dann, wenn sie nur zusahen, wie sich beispielsweise Vierecke im Uhrzeigersinn drehten, schätzten sich die Versuchsteilnehmer selber als zukunftsorientiert und weltoffen ein. Drehten sich die Objekte gegen den Uhrzeigersinn, beurteilten sich die Teilnehmer als eher traditionell orientiert. Zwar waren die Effekte stärker, wenn man selbst die Bewegung ausführte – aber immerhin, es ging auch ohne.

    Dass unser Fühlen, unsere Wahrnehmung und Einschätzung massiv vom Körper beeinflusst ist, wissen Psychologen seit rund 20 Jahren. „Ob ich stolz bin, mich stolz fühle, hängt auch damit zusammen, ob ich zufällig aufrecht und gerade oder gebeugt und gekrümmt sitze“, erklärt Sascha Topolinski. Es mag verwundern, aber: „Unser Urteilsvermögen wird von rein körperlichen Momenten bestimmt und beeinflusst.“ Beispiel Stift im Mund: Nehmen wir einen Bleistift zwischen die Zähne und ziehen damit die Mundwinkel nach oben, finden wir einen beliebigen Comic oder Witz automatisch komischer, wie der Würzburger Sozialpsychologe Professor Fritz Strack schon 1988 zeigte. „Embodiment“ nennen die Wissenschaftler das Phänomen. Die Wechselwirkung zwischen Körper und Psyche ist eine beidseitige: Psychische Zustände drücken sich nicht nur im Körper aus – nonverbal, in der Körpersprache und Haltung. Es geht auch in umgekehrter Richtung: Körperzustände beeinflussen psychische Zustände. „Beispielsweise haben Körperhaltungen, die aus irgendeinem Grund eingenommen werden, Auswirkungen auf Einstellungen und Emotionalität.“

    Was im Bonbon-Fall kurios klingt und wie nutzlose Wissenschaftler-Spielerei aussieht, hat durchaus seinen Sinn: Die Forscher untersuchen damit, wie kulturelle und technische Konventionen und Gewohnheiten unbewusst unser Erleben und Empfinden beeinflussen. „Das hat nichts mit Biomechanik zu tun“, sagt Topolinski, der in diesem Jahr den Röntgen-Preis der Universität für herausragende Leistungen junger Wissenschaftler erhalten hat. Die Drehrichtung einer Bewegung hat für den Körper an sich keinerlei Bedeutung. Die bekommt sie nur deshalb, weil uns die Uhr-Symbolik vertraut ist und sie gesellschaftlich (auch im digitalen Zeitalter) eine große Bedeutung hat, sagt Sascha Topolinski. „Das ist ein kollektiver Code, den wir drauf haben.“ Uhren, Schalter, Zündschlüssel, Hebel, Lautstärkeregler am CD-Player – „erst durch unsere Erfahrung mit der Technik sind wir durch die Drehrichtung beeinflussbar“.

    „Menschen verhalten sich ja insgesamt nicht rational, sondern lassen sich durch Emotionen auch in scheinbar rationalen Entscheidungen bestimmen“, sagt der Psychologe. Und so beeinflusst auch die Bedienung von Geräten unsere innere Einstellung. Interessant kann diese Erkenntnis für die Marktforschung sein. Drehtüren zum Beispiel drehen sich meist gegen den Uhrzeigersinn, auch in den meisten Kaufhäusern. „Das macht die Kunden konservativ“, vermutet Sascha Topolinski nach seinen Untersuchungen. „Ändert man die Gehrichtung, könnte bei den Kunden die Neugierde für neue Produkte geweckt werden.“ Und was bedeutet es wohl, dass sich im Casino die Glücks- und Rouletteräder immer im Uhrzeigersinn drehen? Sascha Topolinski vermutet, dass dies die Spieler offener macht und auch riskanter spielen lässt.

    Die Drehexperimente haben eine Menge neuer Fragen aufgeworfen. Was passiert, wenn man nach rechts kurbelt und gleichzeitig eine Scheibe beobachtet, die sich gegen den Uhrzeigersinn dreht? Werden Menschen, die beruflich viel mit Drehbewegungen zu tun haben, anders beeinflusst als Menschen, bei denen das Drehen nicht zum Alltag gehört?

    SMS und das Unterbewusstsein

    Das regelmäßige Verschicken von Kurznachrichten kann ungeahnte Folgen haben. Jedenfalls hat das Sascha Topolinski in einer kleinen, überraschenden Studie herausgefunden. Beim Eintippen einer Telefonnummer erfasst der Anrufer nämlich unbewusst, welches Wort die Ziffernfolge als SMS-Text ergibt. (Kleine Einschränkung: Das betrifft die Handys mit T9-System.) Der Psychologe von der Uni Würzburg ließ 198 Probanden Telefonnummern mit einem Handy wählen, dessen Tasten nur mit Ziffern und nicht wie üblich auch mit Buchstaben beschriftet waren. Anschließend sollten die Testpersonen angeben, wie „angenehm“ sie die gewählte Nummer fanden. Ergebnis: Die Teilnehmer tippten wesentlich lieber eine Ziffernfolge wie 54323 als 534243. Das traf vor allem auf Probanden zu, die viel und regelmäßig Kurznachrichten schreiben. Warum? Die erste Zahlenfolge ergibt als SMS das Wort „Liebe“, die zweite endet als „Leiche“. Außerdem sollten die Probanden Partnervermittlungen, Maklerbüros oder Bestattungsunternehmen anrufen. Sie hörten eine Bandansage und sollten dann die Attraktivität des Dienstleisters beurteilten. Wieder fiel das Urteil je nach Telefonnummer unterschiedlich aus: Entsprachen die fiktiven Rufnummern Begriffen, die zu den Firmen passten – etwa 54323 für die Partnervermittlung – so schnitt diese in der Bewertung von SMS-Erfahrenen besser ab als zum Beispiel beim Wählen von 72528 („Salat“). Topolinskis Erklärung: Das Handy-erfahrene Gehirn hat offenbar gelernt, dass dieselbe Taste sowohl eine Ziffer als auch einen Buchstaben produzieren kann. Beim Wählen der Zahlen schwingen unbewusst die Buchstaben mit. NAT

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