Jürgen Neuwirth schätzt seine Privatsphäre und hält sein Familienleben aus der Öffentlichkeit heraus. Deswegen ist er weder auf Facebook noch auf Twitter registriert. Im politischen Leben allerdings fordert der Bezirksvorsitzende der Piratenpatei in Unterfranken maximale Transparenz. Wir sprachen mit dem 27-Jährigen über die politischen Ziele der Piraten in der bayerischen Landespolitik.
Frage: In der Elefantenrunde nach der Saarlandwahl saß die CSU mit am Tisch, obwohl sie gar nicht zur Wahl stand. Von den Piraten war niemand eingeladen. Fühlen Sie sich eigentlich von den Medien ernst genommen?
Jürgen Neuwirth: Viele Medienvertreter haben, glaube ich, noch nicht verstanden, dass wir da sind. Ich denke, das dauert einfach noch. In einem Kommentar bezeichnete uns der ARD-Chefredakteur als Chaostruppe ohne Programm. Das stimmt natürlich längst nicht mehr. Wir haben ein Programm. Mit der Zeit wird die Akzeptanz wachsen.
Dabei gibt es ja schon ein paar prominente Köpfe wie etwa Marina Weisband, die gerne zu Talkshows eingeladen wird, oder Julia Schramm, die für den Bundesvorstand kandidiert.
Neuwirth: Ja, leider. Ich bin darüber nicht sehr glücklich. Sie werden für ihre zum Teil sehr polarisierenden Veröffentlichungen im Internet gelobt, und der, der die Stände auf der Straße aufbaut, erfährt wenig Aufmerksamkeit.
Ist es nicht nützlich für die Partei, ein paar prominente Aushängeschilder zu haben?
Neuwirth: Mir wäre es lieber, die Presse würde sich auf die Inhalte der Piratenpartei konzentrieren.
Waren Sie denn vom guten Wahlergebnis der Piraten im Saarland überrascht?
Neuwirth: Nein. In den Umfragen lagen wir bei sechs Prozent und wir wussten, dass wir viele Erstwähler aktivieren würden und dass einige unserer Wähler kein eigenes Telefon haben. Da die Umfragen telefonisch durchgeführt und Erstwähler nicht angerufen werden, dachten wir schon, dass das Ergebnis höher liegen würde.
In Bayern liegen die Piraten in der Sonntagsfrage bei fünf Prozent. Glauben Sie an einen Einzug ins Landesparlament 2013?
Neuwirth: Bayern ist mit der Vormacht der CSU natürlich ein besonderer Fall. Ich denke, wir schaffen es knapp. Das Ergebnis hängt allerdings auch vom Ausgang der Bundestagswahl kurz zuvor ab.
Und wären Sie denn bereit, gemeinsam mit der SPD, den Grünen und den Freien Wählern Christian Ude zum Ministerpräsidenten zu küren?
Neuwirth: Ich halte Herrn Ude sicher für einen geeigneten Kandidaten. Aber die Piratenpartei ist noch nicht reif für eine Regierung. Ich sehe uns erstmal in der Opposition.
Und wenn die FDP nicht in den Landtag kommt und es für die CSU alleine nicht reicht?
Neuwirth: Dann könnte es schon ein ziemliches Chaos geben, aber wenn die Wähler das so wollen, warum nicht?
Eine große Koalition wäre in Bayern dann wahrscheinlicher?
Neuwirth: Ja. Eine Vier-Parteien-Koalition ist eher nicht denkbar.
Und Ihre eigenen politischen Ambitionen?
Neuwirth: Wir haben viele fähige Köpfe in der Partei. Ich würde es mir auch zutrauen. Aber ich weiß noch nicht, ob ich um einen Listenplatz kandidieren würde. Frammersbach-München ist jetzt nicht der direkteste Weg.
Obwohl zwei Piraten-Frauen die meiste öffentliche Aufmerksam genießen, sind die Piraten doch eine ziemlich von Männern dominierte Partei. Woran liegt das?
Neuwirth: Ich würde mir das auch anders wünschen. Aber wir kommen aus der IT-Branche und wurden meistens nur in Fachblättern diskutiert. Grundsätzlich leiden aber alle Parteien an einer viel zu geringen Frauenquote. Das müssen wir ändern.
Ihre Parteitagsdebatten und der Wunsch, alles öffentlich auszutragen, wirken manchmal sehr zäh und man hat das Gefühl, die Piraten kommen nicht zu Potte.
Neuwirth: Das Gegenteil ist der Fall. Intransparenz führt zu Politikverdrossenheit. Unsere Sitzungen sind alle öffentlich. Jeder kann sich beteiligen und alle Protokolle werden offen gelegt – trotzdem entwickelt sich unser politisches Profil immer weiter und wir kommen zu Beschlüssen. Das mag manchmal langsam wirken. Aber mir ist es lieber, es kommen bei einem Parteitag 15 Mitglieder zu Wort und tauschen Argumente aus, als dass ein Spitzenkandidat eine Zweistunden-Rede hält.
Wir haben ein paar Stichworte aus dem Parteiprogramm der Piraten, zu denen Sie uns bitte kurz Ihre Haltung darstellen. Wir starten mit „bedingungsloses Grundeinkommen“.
Neuwirth: Ist ohne zusätzliche Kosten finanzierbar, wenn wir alle Sozialausgaben effizient verteilen.
Frühkindliche Förderung
Neuwirth: Soll nach dem Vorbild finnischer Schulen gestaltet werden. Wir möchten Kinder bereits im Kindergarten fördern, und die Betreuung soll kostenfrei sein.
Lernziele statt Lehrpläne
Neuwirth: Kernziel dieser Forderung ist, dass Schulunterricht vor allem auf Verstehen und weniger auf Auswendiglernen ausgerichtet ist.
G8 oder G9?
Neuwirth: Egal. Entscheidend ist, dass die Schüler nicht überfordert werden. Ich halte es aber für scheinheilig, die Gymnasialzeit einfach nur um ein Jahr zu verkürzen und dies als Bildungsreform zu verkaufen.
Freigabe von Drogen
Neuwirth: Klingt komisch, ich weiß. Uns geht es vor allem darum, Suchtkranke zu entkriminalisieren. Die Menschen benötigen unsere Hilfe. Wenn wir Drogen offiziell verkaufen, haben wir eine bessere Kontrolle über den Konsum, könnten den Menschen direkt helfen, es gäbe weniger Kleinkriminalität und eine geringere Ansteckungsgefahr bei Krankheiten. Schließlich könnten wir den Schwarzmarkt trockenlegen, über den weitere Kriminalitätsdelikte wie Menschen- und Waffenhandel querfinanziert werden.
Das klingt alles ein bisschen idealistisch und geht von einem sehr positiven Menschenbild aus.
Neuwirth: Ja, das ist sicher sehr visionär. Aber es wird Zeit, die Visionen umzusetzen.
Jürgen Neuwirth
Der 27-Jährige aus Frammersbach im Landkreis Main-Spessart wollte ein Zeichen gegen die Abmahnindustrie im Internet setzen und ist deswegen in die Politik gegangen. Seit 2006 gehört Jürgen Neuwirth den Piraten an. Er studiert Elektro- und Informationstechnik. Er beklagt die mangelnde Kompetenz vieler Politiker in Sachen Internet. FOTO: GIMMLER