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BERLIN: Völkermord verjährt nicht

BERLIN

Völkermord verjährt nicht

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    Israel Kaunatjike wurde 1947 im namibischen Okahandja geboren. Seit 1970 lebt er in Berlin und war neben seinem Beruf als politischer Aktivist tätig. Er hat drei Töchter aus zwei Ehen sowie acht Enkelkinder. Häufig reist der heutige Pensionär zu seiner Familie nach Namibia und kümmert sich – ganz im Sinne der Hirtentradition der Herero – um die Rinderherde der Familie.
    Israel Kaunatjike wurde 1947 im namibischen Okahandja geboren. Seit 1970 lebt er in Berlin und war neben seinem Beruf als politischer Aktivist tätig. Er hat drei Töchter aus zwei Ehen sowie acht Enkelkinder. Häufig reist der heutige Pensionär zu seiner Familie nach Namibia und kümmert sich – ganz im Sinne der Hirtentradition der Herero – um die Rinderherde der Familie. Foto: Foto: Kristian Lozina

    80 000 Tote. Das afrikanische Volk der Herero zu 80 Prozent ausgelöscht. Das Volk der Nama zu 50 Prozent. Es war Ende Oktober, 1903, da wagten die Nama – in Deutschland auch abfällig „Hottentotten“ genannt – den ersten größeren Widerstand gegen die Kolonialherren in „Deutsch-Südwestafrika“, dem heutigen Namibia. Wenige Wochen später folgte ein Aufstand der Herero. Doch die deutschen Truppen besiegten die Aufständischen nicht nur. Für viele Historiker steht fest: Sie verübten den ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts.

    Bis heute übernimmt Deutschland hierfür nur halbherzig die Verantwortung. Eine Entschuldigung? Nur zurückhaltend. Wiedergutmachung? Fehlanzeige. Damit will sich ein Berliner Herero auch nach 100 Jahren nicht abfinden. Sein Name ist Israel Kaunatjike. Aufgewachsen in einem namibischen Ghetto, lebt er nun seit fast 50 Jahren in Berlin. Mittlerweile ist er 70, ein älterer Herr mit kurzen, grauen Haaren, Vollbart, dunkler Haut. Auf seine Mitmenschen geht er stets mit einem Lächeln und erhobenem Haupt zu.

    Er ist der einzige Aktivist der Herero in Deutschland. Und er fordert Klartext von der Bundesrepublik: „Anerkennung, Entschuldigung, Reparationen!“ Seine Forderungen wiederholt er immer und immer wieder, seit Jahren.

    Der Kampf der Herero gegen Entrechtung und Landraub begann im Januar 1904. Die Kämpfer belagerten Städte, zerstörten Infrastruktur, bezwangen deutsche Truppen. Farmen wurden niedergebrannt, Männer getötet. Nach vier Jahren des Krieges waren Herero und auch die Nama besiegt.

    Doch war es ein Völkermord? Gab es eine gezielte Vernichtungsabsicht an den Herero und Nama? 2016 kamen dazu erstmals kritische Stimmen in deutschen Medien zu Wort. Doch unter Wissenschaftlern gibt es am Genozid keinen Zweifel. Das sieht auch Jürgen Zimmerer so, Historiker und Afrikaforscher an der Universität Hamburg. Er spricht klar von einem Völkermord und äußerte 2016 in einem Interview: „Es gibt ganz wenige abweichende Stimmen, die sich meistens um Definitionsfragen ranken, aber die Fachwissenschaft ist eindeutig.

    “ Klar wird dies mit dem „Vernichtungsbefehl“ des deutschen Kommandeurs in Namibia, Lothar von Trotha: Die Herero sollten ausnahmslos erschossen oder in die Wüste vertrieben werden – was meist dem Todesurteil gleich kam. Tausende starben zudem in Konzentrationslagern an Zwangsarbeit, Hunger oder Krankheit.

    „Mit Geschichte kann man nicht aufhören. Man kann sie nur aufarbeiten.“

    Israel Kaunatjike, Aktivist

    Was sein Volk erdulden musste, erfuhr Kaunatjike erst als Erwachsener aus Büchern. „Ich war einfach nur geschockt“, erzählt er. In Namibia war der Völkermord lange Zeit nur ein Randthema. Das Land stand unter der Kontrolle Südafrikas und war ein Apartheidstaat. Der Kampf gegen „die Buren“ stand für die schwarze Bevölkerung an erster Stelle. Als 17-Jähriger schloss sich Kaunatjike dem Widerstand an und floh ins Nachbarland Botswana, ließ sich später in Ägypten militärisch schulen, um gegen die Besatzer zu kämpfen. Doch dazu kam es nicht. Er zog weiter nach Polen, machte eine technische Ausbildung und kam nach West-Berlin. Hier wurde er zum politischen Kämpfer gegen die Apartheid.

    Erst einige Jahre nach der Unabhängigkeit Namibias 1990 kam das Thema Völkermord wieder auf die Tagesordnung. Und Kaunatjike wollte nicht nur ruhig sitzen bleiben: „Ich dachte mir, ich muss irgendwas in Bewegung bringen, hier in Deutschland.“ Trotz seiner 70 Jahre mischt er sich ein: Er hält Vorträge, spricht als Zeitzeuge in Schulen in ganz Deutschland und gibt Medien aus der ganzen Welt Interviews – zuletzt einer japanischen Zeitung. „Ich bin auf einer Mission“, sagt der Herero. „Ich werde auch nicht aufhören. Mit Geschichte kann man nicht aufhören. Man kann sie nur aufarbeiten.“

    Der frühere Bundespräsident Joachim Gauck und Bundestagspräsident Norbert Lammert haben den Völkermord an Herero und Nama bereits als solchen bezeichnet. Auch bei der Bundesregierung ist seit 2016 die Rede davon. Doch auf eine Bundestagsresolution, wie beim Völkermord des Osmanischen Reiches an den Armeniern, warten Herero und Nama bis heute. Etwas, das Kaunatjike frustriert. Der sonst so freundliche Berliner wird sehr ernst: „Warum? Warum tut sich die Bundesregierung so schwer?“ Man müsse doch geradestehen für das, was man getan habe.

    Die Forderung nach Reparationen ist für die Bundesregierung ein Problem. Eine Zusage könnte die Büchse der Pandora öffnen und andere Völker, die unter deutscher Herrschaft gelitten haben, dazu bringen, Entschädigungen zu verlangen. Aus dem Auswärtigen Amt erhält man daher keine Informationen, außer, dass man mit der namibischen Regierung im Gespräch sei. Doch auch das ist für Kaunatjike ein Punkt, der ihn wütend macht. Denn die Herero und Nama sind von den Gesprächen ausgeschlossen.

    Die namibische Regierung stützt ihre Macht auf die größte Ethnie im Land, das Volk der Ovambo. Die Herero fühlen sich daher übergangen. „Das ist frustrierend und respektlos. Das ist genau wie 1884. Die Geschichte wiederholt sich“, sagt Kaunatjike – 1884 gründete sich die deutsche Kolonie in Namibia; natürlich ohne Mitsprache der Herero. Versprechen der Bundesregierung nach Entwicklungshilfe würden die Reparationsfrage vollkommen verdrängen, so der Aktivist. In der Tat gibt der Bund in Namibia deutlich mehr Hilfsgelder aus als in anderen Entwicklungsländern – seit 1990 etwa eine Milliarde Euro. Für die namibische Regierung kein schlechter Deal. Für Kaunatjike jedoch „Verrat an den Herero und Nama“.

    Die Herero haben daher Klage an einem US-Gericht eingereicht. Mitinitiator war auch der Berliner Kaunatjike. Er hofft in den USA auf einen öffentlichen Prozess, dass die Bundesregierung Stellung bezieht und Entschädigungen leisten muss. Experten rechnen den Herero keine Chancen aus. Vertreter Deutschlands waren bei den bisherigen Prozesstagen nicht anwesend, formal kann die Klage an die Bundesrepublik nicht zugestellt werden. „Es ist feige. Die Bundesrepublik Deutschland soll ihre Position vor Gericht präsentieren!“, fordert der Aktivist mit bebender Stimme. „Aber wir haben Hoffnung. Die Klage läuft weiter und das allein freut uns schon.“

    Es ist nicht der einzige Schauplatz im Kampf des Berliner Herero. Viele Straßen in deutschen Städten sind nach den Tätern von „Deutsch-Südwestafrika“ benannt; nach dem Herero-Peiniger Lothar von Trotha oder dem Landräuber Adolf Lüderitz. Einige Städte haben bereits reagiert und die Straßen umbenannt.

    Für die Herero schlimmer als solche Straßennamen: Es lagern noch immer Schädel von getöteten Herero in deutschen Archiven oder Kliniken. Für pseudowissenschaftliche Rassekunde wurden sie damals ins Deutsche Reich gebracht. „Diese Schädel haben für uns eine ganz große Bedeutung. Sie sind unser Nachweis für die Geschichte, für den Tod der Herero.“ Kaunatjike will die Schädel in internationalen Museen wissen, als Mahnmal. In Namibia seien sie für viele nicht oder nur eingeschränkt zu sehen – zum Beispiel nur mit Genehmigung. Der Völkermord gerate so in Vergessenheit.

    Doch Kaunatjike blickt nicht nur zurück. Trotz seiner Frustration mit der Bundesregierung geht es ihm auch um Versöhnung: „Es geht auch um das Zusammenleben von Deutschen und Herero und Nama. Nicht nur hier in Deutschland, sondern auch in Namibia.“ Er selbst hat zwei deutsche Großväter, die er nie kennengelernt hat. Er weiß nicht, ob seine Großmütter aus Liebe oder Zwang ihre Familien begründet hatten. Doch heute ist er als deutscher Herero in Berlin. Seine Geschichte ist die deutsche Geschichte.

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