Missbraucht von eigenen „Kameraden“: Auf viele Tausend Fälle schätzt die US-Armee die Zahl sexueller Übergriffe von Soldaten auf ihre Kolleginnen. Ein Kunstprojekt in Chicago hilft traumatisierten Frauen, das Unsagbare zu sagen.
13 Uniformhemden hängen an der Leine. Wie nach der Wäsche. Frisch, sauber – nur die Aufschrift lässt sich nicht herausbekommen. Sätze voll unfassbarer Grausamkeit, verstörend. Düstere Kriegserlebnisse sind nicht auszulöschen, das ist die Botschaft eines Ausstellungsprojekts im National Veterans Art Museum von Chicago. Auf den Hemden berichten Veteraninnen und zwei ehemalige Soldaten über ihre Kriegserlebnisse. Mit dickem schwarzen Stift und manchmal bunter Farbe. Sie erzählen von den Schrecken des Krieges und Vergewaltigungen. Über ein Kind, das unter die Räder eines Army-Trucks gerät. „Doch unser Commander verbot uns zu halten.“ So lauten die Einsatzregeln, die verhindern sollen, dass die Soldaten in einen Hinterhalt geraten.
Die Regeln der Armee konnten nicht verhindern, dass Kameraden der Frau alles nahmen, was sie ihr nur nehmen konnten – und sie danach wie „menschlichen Abfall“ liegen ließen. So schreibt die Veteranin über Männer, denen sie vertraut hatte. Mit denen sie im Irak gedient hatte: „Each took their turn with me“, steht auf ihrer Uniform. Jeder hat sie vergewaltigt. Ein weiteres Hemd stammt von Kosovo-Veteranin Sabrina Waller. Auch sie zeigt „ihre“ Uniform. Das Interview kostet die 34-Jährige sichtlich Kraft. Sie steht vor den Tarnanzügen, mitten im Ausstellungsraum und wirkt unsagbar allein, unsagbar verloren.
Zwölf Uniformen, zwölf Schicksale. Die Jacken sind auf links gedreht, das Innerste wird nach außen gekehrt – und erhebt so Anklage. Das Konzept stammt von einer ehemaligen Angehörigen der US-Marines, Regina Vasquez, ebenfalls eine Betroffene. Das einzelnen Fälle stehen für ein wahres Heer von Betroffenen: Eine von drei US-Soldatinnen leidet laut einer Studie aus dem Jahr 2003 an den Folgen von Vergewaltigung und sexuellen Übergriffen während ihrer Dienstzeit.
2010 wurden 3158 sexuelle Übergriffe in den US-Streitkräften angezeigt. Doch das Pentagon geht von einer Dunkelziffer aus, die wohl eher bei 19 000 Fällen liegt. Auch Männer sind Opfer. Nur 21 Prozent der gemeldeten Fälle kamen vor ein Militärgericht. In 53 Prozent der Verfahren kam es dabei zu Verurteilungen.
„The Boys Club doesn't like pink“, hat eine andere Veteranin auf die Uniform gemalt – die Jungs mögen Rosa nicht. Als „blauäugiges High-School-Kid“ war sie in die Armee eingetreten. Fünf Dienstjahre später beschreibt sie sich selbst so: „Traumatisiert, unter schwerer Medikation stehend und von Schuldgefühlen beherrscht.“
„Ja, die Jungs mögen kein Rosa“, sagt Sabrina Waller. „Als Frau musste ich immer doppelt beweisen, wie hart im Nehmen ich war. Bloß nicht in den Verdacht geraten, eine Tussi zu sein. Wen wundert es, dass sich da besonders die weiblichen Vorgesetzten als harte Knochen zeigen wollten. Nur keine Schwäche und Angst zeigen“, sagt die 34-Jährige. Sie schwieg damals über das, was ihr widerfuhr – den sexuellen Übergriff.
Heute erzählt sie von ihrem Einsatz auf einem Flugzeugträger in der Adria im Rahmen des Kosovo-Krieges. Von monatelanger Enge. Davon, wie sie die Kampfflieger für ihren Einsatz bereit gemacht haben. Wie sie die gelb lackierten Testbomben mit scharfer Munition ersetzten. „Wir haben funktioniert wie Maschinen. Wie Zahnräder in einer unglaublich großen Maschinerie“, sagt die Veteranin. „Es blieb nicht einmal die Zeit, darüber nachzudenken, was wir da eigentlich taten. Was die Bomben anrichten werden.“ Fragen, die sie heute verfolgen.
Als Sabrina Waller bei der Navy anheuerte, versprach man ihr eine Ausbildung, ein College-Stipendium. Sie zog die Uniform an und ließ sich zur Elektronikerin ausbilden. „Heute sehe ich, welchen Einfluss die Rüstungsindustrie hat. Immer scheint ein Krieg für die Wirtschaft der USA nötig zu sein. Das Kanonenfutter dafür findet sich in der Arbeiterschicht. Sie riskiert ihr Leben, um Milliardäre noch reicher zu machen. Was für eine Schande“, sagt sie.