Es war ein Tag der Erinnerung und des Gedenkens. „Du fehlst uns“, waren die häufigsten Worte des Sonntags.
Sie fielen, als die Namen der 2983 Opfer verlesen wurden. Nur eine Sekunde dauert es, einen Namen vorzulesen. Aber wegen der vielen Opfer dauerte es Stunden. Es waren Angehörige, die die Namen vorlasen. Einer der ersten war ein Deutscher: Heinrich Ackermann. Der Westfale arbeitete fast ganz oben, im 101. der 110 Stockwerke, als das Flugzeug das Gebäude traf. Er wurde 38 Jahre alt. „Er war mein Bruder“ oder „Sie war meine Mutter“ fügten einige Angehörige mit tränenerstickter Stimme hinzu. Und oft konnten die Mütter und Väter oder Söhne und Töchter kaum sprechen: „Wir vermissen Dich. Wir lieben Dich. Es geht uns gut und unsere Kinder sind großartig, aber Du fehlst uns so.“
Viele Angehörige gehen ganz offen mit ihrer Trauer um. Sie tragen Bilder ihrer Verstorbenen. Oder T-Shirts mit den Namen. Ganze Familien sind daran zu erkennen. „Kathy Smith. We will never forget you“ steht da, „Wir werden Dich nie vergessen“. US-Präsident Barack Obama war mit seiner Frau Michelle da und sein Vorgänger George W. Bush mit seiner Frau Laura. Obama verlas einen Psalm, Bush einen Brief, den einer seiner Vorgänger, Abraham Lincoln, 1864 an eine Mutter geschrieben hatte. Die Frau hatte fünf Söhne im Bürgerkrieg verloren. Von unermesslicher Trauer ist da die Rede und vom Stolz, für die höchste Sache das höchste Opfer gebracht zu haben.
Aber es sind die Toten, die an diesem Tag ein Gesicht bekommen. Ihre Angehörigen lesen ihre Namen vor, tragen ihre Fotos in ihren Händen. „Wir kommen her, um ihr Leben zu feiern“, sagt Tania über ihre Schwester Marlyn Garcia. „Sie wurde nur 21 Jahre alt.“ Sie denke jeden Tag an Marlyn. „Es wird nicht leichter.“ Marlyn Garcia arbeitete bei Marsh & McLennan im Nordturm des World Trade Centers. Alleine bei der Finanzfirma, deren Büros genau in den Stockwerken lagen, in die das Flugzeug raste, starben 295 Menschen.
Auf einem Bild ist Danielle Kousoulis zu sehen. „We miss you. We love you“. Danielle arbeitete beim Anleihehändler Cantor Fitzgerald im Nordturm. Niemand ihrer Kollegen, der an diesem Tag im Büro war, überlebte. Von rund 1000 New Yorker Beschäftigten verloren 658 ihr Leben. Vielen Angehörigen bleibt nicht mehr als die Erinnerung. Ein Grab, einen Ort zum Trauern gibt es nicht. Von über 1100 Opfern der im World Trade Center umgekommenen Menschen wurden keine identifizierbaren Überreste gefunden.
Insgesamt kamen 2977 Menschen bei den Angriffen radikaler Islamisten auf die USA ums Leben. Zwei mit Passagieren besetzte, entführte Flugzeuge waren in die Zwillingstürme des World Trade Centers gerast, die kurz darauf einstürzten. Eine dritte Maschine hatte das Pentagon nahe Washington getroffen, eine weitere stürzte im US-Staat Pennsylvania ab. Obama flog von New York nach Shanksville weiter, um dort an der Trauerfeier für jene 40 Opfer teilzunehmen, die in dem entführten „Flug Nummer 93“ den Terroristen Widerstand geleistet hatten. Für alle Veranstaltungen waren massive Sicherheitsmaßnahmen angeordnet, nachdem neue Terrordrohungen bekanntgeworden waren.
In Deutschland nannte Bundespräsident Christian Wulff die Anschläge einen „Angriff auf uns alle“. Er betonte bei einem Friedenstreffen in München: „Für Judentum, für Christentum und für den Islam gilt: Religion gibt keine Lizenz zum Töten. Religion ist ein Weg, das Leben dankbar anzunehmen, das Leben gottgefällig und menschenwürdig zu gestalten.“ Der entscheidende Weg zum Frieden sei, eine Allianz der Kulturen und Weltreligionen zu schmieden. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) rief zur Wachsamkeit auf. Der Terrorismus sei weiter eine „sehr reale Bedrohung“ auch für Deutschland, sagte sie dem „Tagesspiegel am Sonntag“. Gegen die beiden in Berlin verhafteten Terrorverdächtigen, die sich Chemikalien zum Bau einer Bombe besorgt haben sollen, wurde inzwischen Haftbefehl erlassen. Sie werden nach Angaben der Staatsanwaltschaft der Islamistenszene zugeordnet. TEXT: DPA