Noch ein letztes Foto vor dem hellen Schriftzug mit den zehn Buchstaben und dem Fragezeichen. Noch ein Bild von der Couch. Der Couch, auf der so viele Stars saßen. Denken zumindest die meisten. Sie ahnen nicht, dass es gar nicht die Promi-Couch ist, sondern lediglich die Couch für die Wettkandidaten, die seitlich vor der Bühne steht. Ein letztes Mal eintauchen in eine Welt, die an diesem Abend endet. Dicht an dicht drängelt sich das Publikum der letzten „Wetten, dass . .?“-Sendung vor der Bühne in Halle 4 auf dem Nürnberger Messegelände.
Schick haben sich die Menschen gemacht. In eleganten Abendkleidern und Pumps spazieren Frauen umher. Männer haben ihren Sonntagsanzug hervorgekramt. Mit neugierigen Blicken mustern sie die Gäste in den vorderen Reihen. CSU-Politiker Markus Söder ist da. Ebenso sein CDU-Kollege Wolfgang Bosbach. Und ist das nicht ZDF-Moderatorin Karen Webb? „Die sitzen gemütlicher als wir“, sagt eine Frau zu ihrer Tochter. Die Stühle in der ersten Reihe sind gepolstert. Die dahinter sind Hartplastik-Klappsitze.
Dumpf und durchdringend ertönt ein Gong. Auf die Plätze. 20.15 Uhr. Die Eurovisionshymne ertönt. Während die Zuschauer vor den Bildschirmen die orangenen Eurovisionssterne sehen, gibt Norman im Studio noch einmal alles. Sein Job ist es, dem Publikum einzuheizen und ihm klarzumachen, dass es jetzt gleich kräftig zu applaudieren hat. Die Stimmung soll schließlich kochen, wenn Markus Lanz die Showtreppe heruntersteigt. Es wird das zweite Mal sein, vor wenigen Minuten war er schon einmal da. Um sich kurz vorzustellen und Norman die Arbeit ein bisschen abzunehmen. Lanz gibt sich ganz leger, ohne Sakko.
Nun schreitet Lanz langsam und im Licht von unzähligen Scheinwerfen die Stufen der Showtreppe herab, diesmal mit Sakko. Am Rande der Bühne steht Norman und feuert das Publikum mit wilden Gesten an. Minutenlanger tosender Applaus. „Das ist keine Trauerfeier, wir wollen es noch mal richtig krachen lassen“, begrüßt der Moderator die 2500 Menschen im Saal. Als wolle er dies unterstreichen, trägt er an diesem Abend nicht wie so oft einen schwarzen Anzug. Er hat sich stattdessen in einen dunkelblauen Samtanzug geworfen. Gottschalk lässt grüßen. Lanz kündigt seinen ersten Gast an. Mehr als zehn Kameraleute, Kabelträger und Tontechniker stehen vor ihm. Jedes Mal, wenn ein neuer Gast durch die Schiebetür kommt, stürzen einige Kameraleute hektisch nach vorne. Es geht um das richtige Bild zur richtigen Zeit.
Geschickt manövriert sich Lanz zwischen Kabeln und Kameras hindurch, um Promis zu begrüßen. An diesem Abend sind es unter anderem Katarina Witt, Michael „Bully“ Herbig und Otto. Und Schlagerkönigin Helene Fischer, die in ihrem Frack-Einteiler ziemlich elegant daherkommt. Für ein bisschen Hollywood-Feeling sorgt Ben Stiller. Die Menschen im Saal, vor allem in den hinteren Reihen, erkennen die Gäste auf dem Sofa nur mit Mühe. Eine Leinwand, die das Geschehen auf der Bühne zeigt, gibt es nicht. Immerhin zuhören kann man den Promis. Wie sie Reklame machen für ihre aktuellen Filme und natürlich ihre persönlichen „Wetten, dass . .?“-Geschichten erzählen.
Kein Gast kommt an diesem Abend davon, ohne dass Lanz ihn nach seiner Erinnerung an die Sendung fragt. Dabei wird immer wieder das gleiche Bild beschworen: Frisch gebadete Kinder sitzen im flauschigen Frotteeschlafanzug auf dem Sofa und schauen bei Salzstangen und Limo mit der gesamten Familie „Wetten, dass . .?“. An diesen besonderen Abenden dürfen sie länger aufbleiben. Lanz spricht kühn von der Generation „Wetten, dass . .?“. Einer Generation, die stundenlang vor dem Fernseher ausharrte, nur um ein paar Minuten Madonna, Michael Jackson oder die Backstreet Boys nicht zu verpassen. Einer Generation, die ohne Mediatheken, YouTube, Netflix und Co. groß geworden ist. Natürlich darf an diesem letzten Abend Nostalgie nicht fehlen. Es werden fleißig Best-of-Filmchen gezeigt: die tollkühnsten Wetten, die außergewöhnlichsten Outfits, die größten Stars. Da wird auch ein letztes Mal deutlich, welchen Stellenwert diese Show einmal hatte – in Deutschland und in Europa. Whitney Houston, Britney Spears, Harrison Ford, Angelina Jolie, Robbie Williams, Jennifer Lopez sind beinahe von der Couch gefallen, so eng war es oft – diesmal liest sich die Gästeliste bescheidener. Die Quote ist in den vergangenen Jahren immer weiter gesunken, daher sei das Ende der Sendung die Konsequenz, wird ZDF-Intendant Thomas Bellut am Ende des Abends sagen. Diesmal schauten 9,27 Millionen zu, fast vier Millionen mehr als bei der November-Ausgabe, die 5,49 Millionen sahen, so wenige wie nie. Bellut schloss aus, dass das Ende der Sendung etwas mit Lanz zu tun habe und kündigte dessen Rückkehr in einer Samstagabendshow an.
Zurück ins Studio. Hunde dürfen dem achtjährigen Paul Leberwurst von der Hand lecken. Der Junge wettet, dass er die Hunde daran erkennt, wie sie lecken. Es ist die Kinderwette. Und es ist der Moment, in dem sich zeigt, dass Lanz nicht immer den richtigen Ton trifft. „Irgendwer sagte, Leonardo DiCaprio kann das auch – aber mit Models.“ Für Altherrenwitze ist der 45-Jährige eigentlich noch zu jung.
Während Lanz die nächste Portion Leberwurst auf die Kinderhand streicht, plaudern die Gäste – unbeobachtet von den Kameras – auf der Couch. Katarina Witt wird erneut abgepudert, ihr Kleid mal wieder zurechtgezupft. Hinter der Kulisse poltert es dumpf. Boxen werden geschoben. Der nächste Show-Act wird vorbereitet. Was im Fernsehen nach mühelosem Übergang aussieht, ist perfekte Koordination und harte Arbeit. Vom Glamour der Show bekommen die Helfer nur am Rande etwas mit. So wie der Würzburger Michael Betz, der seit 15 Jahren für die Fernsehzuschauer den Eröffnungstext spricht: „Willkommen zu ,Wetten, dass . .?' . . .“ Früher wurde der Text vor der Generalprobe auf dem Sofa aufgenommen, erzählt Betz. Bis zuletzt schickte er Audiodateien ins Studio und war nicht mehr vor Ort. „Zur letzten Show wäre ich gerne noch einmal ins Studio gekommen“, sagt er. Betz wurde nicht eingeladen.
Während die Sendung zu Grabe getragen wird, zeigt sie noch einmal, was sie über 33 Jahre so außergewöhnlich gemacht hat: die Wetten. Ein Gruppe Cheerleader hängt durch die Luft fliegend Wäsche auf, ein Blinder ordnet nur mithilfe von Schnalzgeräuschen Puzzleteile zu. Der spätere Wettkönig Jakob Vöckler zeigt, dass er schneller an einem Parkhaus hoch- und wieder runterklettern kann, als ein Rallye-Weltmeister im Rennwagen die kurvenreiche Strecke im Inneren bewältigt.
In der Messehalle fiebern die Zuschauer mit. Sie feuern den Fassadenkletterer an. „Wahnsinn“, raunt ein Mann seinem Sitznachbarn zu. Das Publikum klatscht, stampft mit den Füßen auf und jubelt euphorisch, als Vöckler die Wette gewinnt. Die Bemerkungen von Außenwetten-Kommentator Olli Dittrich sind im Studio nicht zu verstehen.
Gegen Ende des Abends wabern besondere Gefühle durch den Saal. Samuel Koch, der sich als Kandidat der Sendung so stark verletzte, dass er seitdem querschnittsgelähmt im Rollstuhl sitzt, folgte der Einladung des ZDF. Als er erscheint, erhebt sich das Publikum und applaudiert. Der ein oder andere hat Tränen in den Augen. Das Gespräch wird für Lanz keine Sternstunde. Auf die Frage, wie es ihm geht, sagt Koch schlagfertig und offenbar genervt zugleich: „Das hast du mich schon mal gefragt, wie es mir geht. Eigentlich ganz ok. Und selber?“ – „Alle Fragen waren vorher abgesprochen. Ich weiß, dass so ein Auftritt für ihn schwierig ist“, wird Lanz sagen.
23.49 Uhr. „Der längste Kindergeburtstag der Welt“, wie Lanz meint, ist zu Ende. „Machen Sie's gut. Das Leben geht weiter. Wetten, dass?“ Mit diesen Worten verabschiedet sich Lanz. Jedenfalls von den Menschen, die bei Salzstangen und Limo vor dem Fernseher sitzen. In der Messehalle kümmert sich Lanz um seine Fans. Er schreibt fleißig Autogramme und dauerlächelt in viele Smartphones. Ein letztes Foto mit Markus Lanz noch.
Statistik zu 33 Jahren "Wetten, dass..?" ZDF-Rückblick in Bildern