Professor Petra Bendel (50) ist Politikwissenschaftlerin und leitet das Zentralinstitut für Regionenforschung an der Uni Erlangen-Nürnberg. Sie wird auf der Tagung des Bayerischen Städtetags in Memmingen am kommenden Donnerstag mit Politikern über Auswirkungen der Zuwanderung diskutieren. Sie weiß, was Asylbewerber brauchen und kennt vorbildliche Projekte.
Frage: Frau Bendel, Sie forschen schon seit längerem über Migrations- und Flüchtlingspolitik. Die Flüchtlingskrise und die Entwicklungen seit dem vergangenen Jahr in Deutschland müssen Ihre Arbeit enorm bereichert haben.
Petra Bendel: Bereichert würde ich nicht sagen. Es sind furchtbare Ereignisse, die dazu beigetragen haben, dass das Thema stärker in den Blickpunkt der Medienaufmerksamkeit gerückt ist. Aber natürlich gibt es einen großen Beratungsbedarf auf allen politischen Ebenen – von der Europäischen Union bis runter in die Kommunen und darum wird es auch gehen in Memmingen.
Was sind die größten Herausforderungen, die durch die Zuwanderung auf die bayerischen Städte und Gemeinden zukommen?
Bendel: Im Moment ist durch das Türkei-Abkommen und die Schließung der Balkanroute hierzulande etwas mehr Ruhe eingekehrt. Die Kommunen können sich besser den anstehenden Integrationsaufgaben widmen. Sie gehen in der Regel sehr pragmatisch und kooperativ vor. Sie entwickeln oft innovative Ideen für die Integration in den Wohnungsmarkt, in die Bildung und in die Arbeitsmärkte.
Sind das die drängendsten Probleme?
Bendel: Natürlich. Wir haben eine qualitative Befragung von Flüchtlingen in Erlangen gemacht. Das sind auch die Themen, die die Flüchtlinge artikulieren.
Damit die Integration gelingt, fordern die Kommunen finanzielle Unterstützung vom Bund und vom Freistaat. Reicht allein mehr Geld aus, um diese Aufgabe bewältigen zu können?
Bendel: Es ist ein gutes Signal, dass sich Bund, Länder und Kommunen auf eine weitere Finanzierung für den Wohnungsbau, die Unterbringung, die Sprachkurse und die Kinderbetreuung verständigt haben. Aber natürlich reicht das nicht aus. Auch die spezifische Auslegung gesetzlicher Vorgaben in Bayern ist eine wichtige Variable für die Unterstützung der Kommunen.
Was meinen Sie damit?
Bendel: Ich nenne Ihnen drei Beispiele: Erstens haben schon viele Kommunen in Bayern geäußert, dass der von der Bayerischen Staatsregierung verhängte Bau- und Planungsstopp für Flüchtlingsunterkünfte zu kurzsichtig sei. Zweitens wurde von verschiedenen Kommunen bereits kritisiert, dass bei WLAN-Anschlüssen in den Unterkünften die Taschengelder gekürzt werden. Viele Flüchtlinge haben uns erzählt, dass für sie der Zugang zum Internet sehr wichtig ist. Zum einen, um autodidaktisch Deutsch zu lernen, weil sie oftmals noch keinen Zugang zu den Deutschkursen haben. Zum anderen, um sich über ihre neue Lebensumwelt zu informieren, aber auch über die aktuellen Entwicklungen ihrer Verwandten in der Heimat. Dritter Kritikpunkt: Ein Recht auf Schulbildung nach drei Monaten müsste auch für die Kinder in den Erstaufnahme-Einrichtungen gewährleistet werden.
Wie bewerten Sie die bisherige Flüchtlingshilfe in den Kommunen?
Bendel: Städte und Gemeinden haben viele Projekte gestartet, die wir viel stärker systematisieren und zur Nachahmung empfehlen können.
Nennen Sie uns bitte einige Beispiele.
Bendel: Gelungene Projekte zielen auf die Fähigkeiten von Flüchtlingen und auf Nachhaltigkeit ab. Sie sind also nicht rein karitativ, sondern halten den Flüchtlingen einen Steigbügel, damit sie alleine weiterreiten können. Prioritär ist von allen Flüchtlingen der Wunsch nach mehr Privatsphäre geäußert worden. Es gibt ein gelungenes Modell in Nürnberg, bei dem Flüchtlinge bei der Wohnungssuche unterstützt werden. Gut ist auch, wenn sich Wohngemeinschaften öffnen und Studierende mit Flüchtlingen zusammenleben, wie es erfolgreich in München praktiziert wird. Oder wenn spezifische Unterkünfte für verletzliche Gruppen wie Alleinreisende und bedrohte Frauen gegründet werden. Ein interessantes Projekt in Augsburg ist das Grandhotel Cosmopolis, in dem Asylbewerber, Künstler und Touristen unter einem Dach leben und arbeiten.
Wie sollte man mit Zuwanderern umgehen, die sich nicht integrieren wollen?
Bendel: Integration setzt voraus, dass wir miteinander in Kontakt kommen und gute Begegnungsangebote schaffen. Bei all jenen, die extremistische Tendenzen aufweisen, muss der Rechtsstaat restriktiv durchgreifen, aber auch präventiv mit Projekten gegen jede Art von Extremismus, der sich gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung wendet.
Was denken Sie: Wie viele Menschen kommen noch zu uns?
Bendel: Das hängt von vielen verschiedenen Variablen ab, die ineinandergreifen und deren Zusammenwirken wir momentan kaum absehen können. Das ist unheimlich schwer zu prognostizieren. Jeder, der klare Zahlen nennt, muss sagen, auf welchen Szenarien die Prognose basiert.
Wie viele können wir noch integrieren?
Bendel: Wenn wir gut zugeschnittene Integrations- und Ausbildungsangebote haben, sagen die meisten Arbeitsmarktforscher, dann kann berufliche Integration auf Dauer auch gelingen. Integration heißt aber auch gesellschaftliche Integration und Bildungsintegration. Hier sind wir sicherlich alle gefragt.
Sind die Hürden für eine Einbürgerung von Flüchtlingen sehr hoch?
Bendel: Das hängt von den Angeboten ab, die wir ihnen machen. Die Integrationskurse sind ein guter Weg, wenn sie darauf zugeschnitten sind, sich zurechtzufinden, die Sprache und die Kultur zu lernen. Damit ist man auf längere Sicht auf dem Weg zur Einbürgerung. Die große Frage ist aber, ob sich jetzt alle Flüchtlinge einbürgern lassen wollen. Das hängt natürlich auch davon ab, was in ihren Herkunftsländern passiert.