Als Theresa May am Montagabend den Applaus ihrer Unterstützer entgegennahm und zum ersten Mal als künftige Premierministerin zum Volk sprach, da präsentierte sie sich fast bescheiden, zeigte sich „geehrt“ und versprach abermals, dass es keine Versuche geben werde, den EU-Austritt abzuwenden. Nicht die Botschaft war neu, sondern ihre Gestik.
Die 59-Jährige hielt ihre Hände vor den Bauch und ließ ihre Fingerspitzen berühren. War da was? Ja. Die Merkel-Raute. Und natürlich ist es nicht nur der Handhaltung geschuldet, dass die Medien gerne auf Parallelen zwischen der Kanzlerin und der neuen britischen Regierungschefin hinweisen. May bewundert Angela Merkel, beide sind Pastorentöchter und kinderlos, fallen durch Fleiß und ihre Willensstärke auf, zudem konzentrieren sich die Pragmatikerinnen lieber auf die Sache, als dass sie den großen Auftritt suchen.
„Ich kandidiere, weil ich die Beste für dieses Amt bin.“
Theresa May, designierte Premierministerin
Ganz sicher war es nicht Mays Wunsch, auf diese Weise Premierministerin zu werden. Zu frisch sind die Erinnerungen an den Ex-Regierungschef Gordon Brown, der 2007 ohne demokratisches Mandat die Amtsgeschäfte des zurückgetretenen Tony Blair übernahm. Scharfe Kritik dafür, wie der Premier sein Amt auf dem silbernen Tablett serviert bekam, kam damals ausgerechnet von May. Nun zieht auch sie in die Downing Street ein, ohne dass sie zuvor zur Wahl gestanden hätte.
Am heutigen Mittwoch findet die „Krönung der Theresa May“ statt, wie es gestern in den Medien hieß. Zum ersten Mal seit Margaret Thatcher steht wieder eine Frau an der Spitze des Königreichs – eine Politikerin, mit der es in den Brexit-Verhandlungen bald ganz Europa zu tun bekommen wird. Mit dem Karrieresprung geht für die Abgeordnete ein Traum in Erfüllung. Schon mit zwölf Jahren wollte die Tochter eines anglikanischen Vikars Premierministerin werden.
Sie studierte Geografie an der Universität Oxford und arbeitete danach bei der Bank of England. Seit 1997 sitzt sie als Vertreterin von Maidenhead in der Grafschaft Berkshire im Unterhaus – eine konservative Gegend, wo May beliebt ist, weil sie oft zu Veranstaltungen nach Hause fährt.
Cameron ernannte sie 2010 zur Innenministerin, und auf diesem Posten saß seit 100 Jahren niemand länger als sie. In dem schwierigen Amt zeigte May ihre teils kompromisslose Seite, etwa als sie sich mit der Polizei anlegte, indem sie Stellenstreichungen und Sparmaßnahmen durchsetzte.
Beim Thema Immigration darf sie fast schon als Hardlinerin bezeichnet werden. Auch jetzt geriet sie bei vielen Kollegen und Medien in die Kritik, weil sie sich weigerte, den auf der Insel lebenden EU-Einwanderern ein Bleiberecht nach dem Brexit zu garantieren.
Auf der anderen Seite befürwortete die Konservative als eine der Ersten in ihrer Partei die gleichgeschlechtliche Ehe. Manchmal wirkt sie fast ein bisschen schüchtern, doch das täuscht. „Ich kandidiere, weil ich die Beste für dieses Amt bin“, sagte sie nach dem Brexit-Votum. Sie kann austeilen, scheut keine Konfrontation. Seit 26 Jahren ist die Cricket-Anhängerin und begeisterte Köchin mit dem Banker Philip May verheiratet.
Ist Theresa May eine neue Eiserne Lady? Wie Thatcher übernimmt die Frau mit der Vorliebe für auffällige Designerschuhe das Land in Krisenzeiten. Wie Thatcher präsentiert sie sich in vielen Punkten unnachgiebig. Doch bereits 2002 forderte Theresa May einen neuen Konservatismus, der sich sozialer präsentiert. Nun kündigte sie als Vorsitzende eben jenen an. „Wir glauben nicht nur an die Märkte, sondern an die Gemeinschaft. Wir glauben nicht nur an den Individualismus, sondern auch an die Gesellschaft“, sagte sie und da klang sie überhaupt nicht mehr nach Thatcher. Großbritannien müsse ein Land werden, „das nicht nur für die wenigen Privilegierten funktioniert“.
May weiß, welch schwierige Aufgaben auf sie zukommen. Sie muss das Land aus der EU führen. Dazu die über die Europa-Frage gespaltenen Tories versöhnen und dafür sorgen, dass das Königreich wieder ein vereinigtes wird. Zu tief gehen durch das Land derzeit die Risse, die das Referendum offenbart hat. Zwischen Jung und Alt, Nord und Süd, Arbeiterklasse und Oberschicht.
May hatte sich während der Kampagne auf die EU-freundliche Seite von Cameron geschlagen. Doch den Schritt ging die erfahrende Politikerin mehr aus Loyalität zum Premier denn aus tiefer Überzeugung. Europaskeptikerin ja, Europagegnerin nein. Zu offensichtlich schienen ihr am Ende die Vorteile der Mitgliedschaft. Die Hoffnung vieler Briten ist nun, dass ihre gemäßigte Position einen Kompromiss bei den bevorstehenden Verhandlungen über die künftigen Handelsbeziehungen mit der EU erleichtern könnte. Dafür muss Theresa May wohl vor allem eine überzeugen: Angela Merkel.