Hochbetrieb herrscht in diesen Tagen im Reichstagsgebäude. Es gibt viel zu tun in den 30 Tagen zwischen der Bundestagswahl und der Konstituierung des neuen Bundestags, die voraussichtlich am 24. Oktober stattfindet.
Die Abgeordneten, die den Bundestag verlassen, müssen ihre Büros räumen und ihre Mitarbeiter entlassen. Und die neuen Mitglieder des Parlaments, die in dieser Woche erstmals Bundestagsluft schnupperten, sind im Gegenzug dabei, sich in den weitläufigen Gebäuden zurechtzufinden und sich auf die parlamentarische Arbeit vorzubereiten, Büros aufzubauen und Mitarbeiter zu suchen.
Eine logistische Herausforderung, die schon unter normalen Umständen alles andere als einfach ist. Doch in diesem Jahr ist alles noch viel komplizierter und aufwendiger. Denn der neue Bundestag ist so groß ist wie noch nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik. 598 Abgeordnete sollten es eigentlich sein, 630 Abgeordnete waren es in der letzten Legislaturperiode – und nun werden es 709 sein, 111 mehr als vorgesehen.
Schuld daran sind einerseits das komplizierte Wahlrecht und andererseits das Wahlergebnis. So stürzten zwar Union wie SPD massiv ab, gleichzeitig gewannen sie aber in ihren Hochburgen mehr Direktmandate, als ihnen nach dem schlechten Zweitstimmenergebnis eigentlich zustehen.
So kamen CDU/CSU auf 43 Überhangmandate, davon allein elf in Baden-Württemberg und sieben in Bayern, die SPD auf drei Überhangmandate in Hamburg und Bremen. Um diese Zusatzmandate auszugleichen, sind 65 weitere Mandate nötig, damit die Zusammensetzung des Bundestags dem exakten Zweitstimmenergebnis entspricht – 19 für die SPD, 15 für die FDP, elf für die AfD und je zehn für Linke und Grüne, macht unterm Strich 709. Deutschland hat damit das größte Parlament unter den westlichen Demokratien, selbst das Repräsentantenhaus der USA ist kleiner. Größer ist nur der Volkskongress in China (2987). Das schafft Probleme.
Die Kosten
Der größte Bundestag der Geschichte wird auch der bislang teuerste. Jeder Abgeordnete erhält monatliche Diäten von 9541,74 Euro sowie eine Kostenpauschale von 4318,38 Euro für seine laufenden Ausgaben, macht 117,9 Millionen Euro pro Jahr für alle 709 Parlamentarier. Hinzu kommen die Personalkosten für Büroleiter, Referenten, wissenschaftliche Mitarbeiter und Assistenten, zudem für die Mitarbeiter der Fraktionen, für die Beschäftigten der Bundestagsverwaltung, vom wissenschaftlichen Dienst über die Archivare und Bibliothekare bis zu den Hausmeistern.
Bislang waren rund 4500 Mitarbeiter in Voll- oder Teilzeit bei den Abgeordneten angestellt, diese Zahl dürfte durch die Rekordzahl an Abgeordneten auf über 5000 ansteigen. Allein die 93 neuen AfD-Abgeordneten werden um die 500 Mitarbeiter einstellen.
Der Bund der Steuerzahler beziffert die Gesamtausgaben für den neuen Bundestag auf rund 517 Millionen Euro pro Jahr, wären es wie bisher 630 Abgeordnete, wären es rund 54 Millionen Euro weniger, bei der gesetzlichen Sollstärke von 598 Sitzen sogar 75 Millionen Euro weniger.
„Die Ausgaben für ein Parlament gehören zwar zu den Betriebskosten einer demokratischen Grundordnung, aber hier reißt der Bundestag das Fenster auf und dreht sprichwörtlich die Heizung hoch“, kritisiert der Präsident des Bundes der Steuerzahler, Reiner Holznagel. „Das verkorkste Wahlrecht hat eine vermeidbare Kostenlawine für die Steuerzahler losgetreten, die in keinem Verhältnis zu einem parlamentarischen Mehrwert steht.“
Zudem sind die Folgekosten durch die Ansprüche auf die Altersvorsorge noch gar nicht mitgerechnet. Pro Jahr Mitgliedschaft im Bundestag erwirbt jeder Abgeordnete einen Pensionsanspruch von 239 Euro pro Monat ab dem 67. Lebensjahr. Das macht schon nach einer Legislaturperiode 956 Euro pro Monat. Maximal gibt es nach 27 Jahren Parlamentszugehörigkeit eine Pension von 6441 Euro pro Monat.
Das Raumproblem
Mehr Abgeordnete brauchen deutlich mehr Räume. Am geringsten sind die Probleme im Plenarsaal, er ist groß genug, um die zusätzlichen Stühle aufzustellen. Bei der Wahl des Bundespräsidenten im Februar saßen sogar 1260 Frauen und Männer im Plenarsaal. Für Streit sorgt allerdings die Frage, wo die AfD sitzt und wo die anderen Fraktionen Platz nehmen. Nach dem politischen Rechts-Links-Schema müsste die AfD eigentlich ganz rechts (vom Bundestagspräsidenten gesehen) sitzen. Das war aber in der Vergangenheit der Platz der FDP, zudem wäre die AfD damit ganz nahe an der Regierungsbank. In der Mitte soll sie aber auch nicht sitzen, links außen auch nicht.
Noch komplizierter ist die Frage, wo die Fraktionen tagen. In der dritten Ebene des Reichstagsgebäudes gibt es in den vier Ecktürmen vier Fraktionssäle, die bislang CDU/CSU, SPD, Linke und Grüne beherbergten. Durch den Einzug von FDP und AfD gibt es künftig aber sechs Fraktionen. Als drittstärkste Kraft erhebt die AfD Anspruch auf einen Sitzungssaal in einem Turm, entweder die Grünen oder die Linke müssten weichen. Offen ist auch, wo die „Neulinge“ von FDP und AfD ihre Abgeordnetenbüros erhalten. Im Gespräch ist der frühere Sitz des Innenministeriums in Moabit. Damit wären allerdings die Parlamentarier fast einen Kilometer vom Reichstagsgebäude und den Sitzungssälen der Ausschüsse entfernt.
Mit all diesen Problemen müssen sich in den nächsten Wochen der neue Bundestagspräsident, seine Stellvertreter und die Mitglieder des Ältestenrats des Bundestags beschäftigen. Es wird wohl bis Januar dauern, rechnen Beobachter, bis alle Abgeordneten ihre endgültigen Büros beziehen werden.