Wer, wenn nicht er? Seit 45 Jahren sitzt er im Bundestag, er war Fraktionsvorsitzender der Union, zweimal Innenminister und einer der Architekten der Einheit, acht Jahre Finanzminister und vor einer gefühlten Ewigkeit sogar beinahe Bundeskanzler – bis Helmut Kohl es sich wieder anders überlegte.
Wer also, wenn nicht Wolfgang Schäuble, wäre prädestiniert für das Amt des Bundestagspräsidenten, das Norbert Lammert durch seinen Rückzug aus der Politik freigemacht hat und das traditionell von der stärksten Fraktion besetzt wird?
Innere Unabhängigkeit
Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) sagte am Mittwoch in Berlin, er werde Schäuble am 17. Oktober für das Amt vorschlagen. Wenn Schäuble das Finanzministerium räumt, könnten die Liberalen das Schlüsselressort übernehmen – oder aber die Grünen.
Unter den mehr als 700 Abgeordneten ist Schäuble ein Solitär – nicht nur wegen seiner beeindruckenden Lebensbilanz. Der 75-Jährige hat sich mit den Jahren eine innere Unabhängigkeit antrainiert, die im politischen Berlin ihresgleichen sucht.
Er muss nichts mehr werden, sich nichts mehr beweisen und hat längst auch mit Angela Merkel seinen Frieden gemacht, die ihm auf dem Höhepunkt der Spendenaffäre den Parteivorsitz der CDU abnahm und ihn später noch einmal tief enttäuschte, als sie ihn erst für die Nachfolge des damaligen Bundespräsidenten Johannes Rau in Position brachte und ihn dann bei den anderen Parteien nicht durchsetzen konnte. Schäuble aber ist kein Mann, der verpassten Gelegenheiten lange nachtrauert. „S isch, wie‘s isch“, sagt er dann. Noch Fragen?
Nun wird er nach einer turbulenten Bundestagswahl die neue Nummer zwei im Staate – ein Amt, das von der Autorität seines Inhabers lebt und von der Kraft des Wortes. An beidem fehlt es Schäuble nicht. Wie sein Vorgänger würzt der gelernte Jurist seine Reden gerne mit einem Schuss Ironie, auch wenn die bei ihm immer ein wenig schärfer und spöttischer daherkommt als bei Lammert.
Lange Zeit wurde ihm diese Bissigkeit als Folge vieler Verletzungen und Enttäuschungen ausgelegt, vom Attentat im Oktober 1990 bis zur Spendenaffäre nach der verlorenen Wahl 1998. Parteifreunde, die ihn gut und lange kennen, beobachten allerdings schon seit einiger Zeit einen anderen Schäuble.
Die Würde des Parlaments
Aufgeräumter wirke er heute, sagt einer von ihnen, gelassener, dabei aber voller Energie. Den Eindruck, dass er nach der Wahl vielleicht etwas kürzertreten würde, machte der Spitzenkandidat der Südwest-CDU im Wahlkampf nicht. Dass es mit einer dritten Amtszeit als Finanzminister nichts mehr werden könnte, hat er natürlich geahnt. Schäuble ist zu lange in der Politik, um ein Amt als Erbhof zu betrachten, zumal die Liberalen für den Fall des Falles ihren Anspruch ja schon angemeldet hatten. Und so gesehen ist es sicher auch kein Zufall, dass die ersten Hymnen auf den neuen Parlamentspräsidenten nicht in der Union, sondern in der FDP gesungen werden.
Schäuble werde dem Parlament nach außen Geltung verschaffen und nach innen Würde, prophezeit FDP-Parteichef Christian Lindner. Der Einzug der AfD in den Bundestag, soll das wohl heißen, verlangt an der Spitze des Hauses eine besondere Respektsperson.
Sein bisheriges Amt übergibt Schäuble in geordneten Verhältnissen: Der Haushalt ist ausgeglichen, das Steueraufkommen unverändert hoch und die Vergemeinschaftung der europäischen Schulden fürs Erste abgewehrt. Andere würden sich, erst recht in seinem Alter, jetzt vielleicht überlegen, ob sie sich nicht ins Private zurückziehen. Wolfgang Schäuble allerdings, so scheint es, kann ohne die Politik nicht und sie nicht ohne ihn. Zu Hause, sagt er gelegentlich, würde er vermutlich nur seiner Frau auf die Nerven gehen.