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WÜRZBURG: Zirkus Flic Flac: Eine runde Sache

WÜRZBURG

Zirkus Flic Flac: Eine runde Sache

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    José Pinello hat mich auf einem Motorrad mitgenommen in seine Welt. In seine Welt aus knapp zwei Tonnen Stahl, in seine Welt, die 5,60 Meter breit und hoch ist und im Zelt des Zirkus Flic Flac auf der Talavera in Würzburg steht. Acht, neun, vielleicht waren es zehn Runden an der Steilwand, die ich mit José gefahren bin. Genug, um zu erahnen, welchen Wahnsinn er und seine Freunde täglich vollbringen. Aber es ist noch nicht das Ende meines Besuchs im Globe of Speed, es ist erst der Anfang. Ich will es heute noch selbst versuchen.

    Der Globe of Speed: Stellen Sie sich einen Raum vor, so groß wie Ihr Wohnzimmer. Leergeräumt und kugelrund statt eckig. Und jetzt stellen Sie sich vor, wie acht Motorradfahrer gleichzeitig durch dieses Zimmer rasen. Sieben von ihnen mit bis zu 70 Kilometern pro Stunde im Kreis und einer genauso schnell immer wieder im Looping kopfüber.

    Es sind acht verrückte Kolumbianer, die es zu ihrem Beruf gemacht haben, mit dem Motorrad durch diese Kugel zu fahren. Und das, obwohl sie gar keinen Motorradführerschein haben. „Mit normalem Motorradfahren hat das nicht viel zu tun“, sagt Jobany Ramirez, einer der Fahrer. „Du musst viel üben, dann ist das ganz einfach.“

    Ganz einfach also.

    Da sitzen sie, acht junge Männer zwischen 21 und 32. William Torres ist einer der Jüngsten und am Mittwoch Vater einer Tochter geworden. José Pinillio ist der Älteste und der Erfahrenste. Seit zehn Jahren macht er das. „Mi cuerpo está completo“, sagt er auf Spanisch – sein Körper ist noch komplett. Bei anderen wurde zumindest hier und da schon nachgebessert. Andres Torres (23) hat sich die Kniescheibe zertrümmert und Kreuzbänder gerissen, als es in der Kugel krachte. „Unfälle passieren immer wieder mal“, sagt Jobany. Meist, weil ein Reifen platzt. „Stürzt einer, stürzen meist alle“, sagt Jobany.

    Reifenplatzer sollen dadurch verhindert werden, dass die Pneus mit Silikon statt mit Luft gefüllt werden. Darunter leidet allerdings das Fahrverhalten, weshalb nicht alle Maschinen umgerüstet sind. Jede Woche werden die Motorräder gewartet. „Meistens brechen Speichen“, sagt Marcell Lemoine. Er ist Fahrzeugmeister bei Flic Flac und für den Fuhrpark verantwortlich. Der 50-Jährige ist kein Mechaniker, wie man ihn sich vorstellt. Er zerlegt zwar auch mal ein Getriebe, aber im Herzen ist er selbst Artist – Motorradartist.

    „Ich habe bis vor sechs Jahren Hochseilnummern gemacht.“ Auf 200 Meter langen Seilen in 70 Metern Höhe fuhr er mit dem Motorrad spazieren. Nebenbei hat er sich zum Stuntman weitergebildet und macht bis heute Auto- und Motorradstunts. Bei Flic Flac ist er fest angestellt. Als Fuhrparkmanager und immer wieder auch als Artist. „Im aktuellen Programm gab es keine Nummer für mich. Das fehlt mir. Der Applaus, das Publikum...“ Wäre er ein Kandidat für die Kugel? „Ich müsste viel üben. Aber ob ich noch so weit gehen würde wie die Kolumbianer?“

    Die sind froh, dass sie Marcel haben, der sich um die Maschinen kümmert. Die Motorräder sind keine Besonderheiten. Es sind mit 125 Kubikzentimetern serienmäßige Motocross-Maschinen. Angefahren wird in der Kugel im zweiten Gang. „Ansonsten brauchen wir nur den dritten Gang.“ Es gibt also keine technischen Tricks für diese Nummer. Es ist der Mensch, der diesen Wahnsinn vollbringt.

    Das Motorradspektakel hat Tradition. Schon vor mehr als 70 Jahren gab es auf deutschen Jahrmärkten Steilwandfahren auf Maschinen mit Beiwagen. Amerikanische Stuntleute haben die Nummer Jahrzehnte später wiederentdeckt und zur Kugel weiterentwickelt. Heute gibt es weltweit eine Handvoll Gruppen, die mit einer solchen Kugel auftreten – und die miteinander konkurrieren. Wer hat die meisten Fahrer in der kleinsten Kugel? Flic Flac zum Beispiel tourte 1999 noch mit fünf Fahrern in einer Kugel, hält aber seit 2006 den Weltrekord mit neun Fahrern. Für Flic Flac ist der Globe of Speed unverzichtbar. Die Leute wollen das sehen.

    Ein starres System steht hinter dem scheinbaren Durcheinander, dem der Zuschauer durch das Stahlgeflecht kaum folgen kann. Wenn fünf Fahrer in der Kugel sind, fahren drei in der Horizontalen auf zwei unterschiedlichen Ebenen. Die anderen beiden fahren Loopings. „Jeder hat eine bestimmte Funktion und muss millimetergenau arbeiten.“ Das Wichtigste sind die Augen: „Die müssen überall sein. Wir müssen die ganze Kugel im Blick haben“, sagt José. Sobald acht Fahrer im Globe of Speed sind, fahren sieben in der Horizontalen und einer Loopings. Schwindelig wird ihnen längst nicht mehr. Gewöhnungssache. Trotz aller Routine trainieren sie täglich nach der Show. In erster Line, weil mit Luis Eduardo (25) vor zwei Jahren ein neuer Fahrer ins Team kam. Er fuhr auch vorher in der Kugel, aber nur zu dritt. Nach zwei Jahren ist er immer noch „el nuevo“, der Neue.

    Ein besonderes Gastspiel im Globe of Speed hatte Sänger und Extremsportler Joey Kelly. Er trainierte sechs Monate lang für einen Auftritt bei „Stars in der Manege“ 2009. Flic Flac stellte ihm eine eigene Kugel vor die Haustüre, in der er üben konnte. Nach einem halben Jahr fuhr er mit vier aus der Gruppe der Kolumbianer in der Kugel.

    Joey Kellys Gastspiel ist vorbei. Heute darf ich es probieren. Jobany zögert. Erst als ich sage, dass ich in meiner Freizeit Motocross fahre, gibt er mir Helm, Protektoren und eine Maschine. Jobany steht in der Mitte der Kugel und instruiert mich: „Den inneren Fuß nie von der Raste nehmen und beim Anhalten immer nur nach außen lehnen.“ Dann die erste Übung: Anfahren gegen die Kugelwand. Zurückrollen lassen, anhalten. Zweimal, dreimal, zehnmal. Nächste Übung: mit dem Hinterrad an einer bestimmten Stelle zum Stehen kommen. Zweimal, fünfmal. Und dann darf ich fahren – wenn man es so nennen will. Es fällt mir schwer, eine ruhige Linie zu finden. Es ist „Die Kugel der Enge“, nicht „Die Kugel der Geschwindigkeit“.

    Jobany hält mich am Arm bei den ersten Runden. Alleine würde ich kippen. Die Lösung liegt im Gasgriff. Je schneller ich werde, desto stabiler wird es. Jobany lässt los, und ja – ich fahre an der Außenwand des Globe of Speed. Nicht in der Horizontalen, aber in fast zwei Metern Höhe – vier, fünf, sechs Runden. Dann höre ich den Applaus von den Rängen. Es sind keine 1300 Zuschauer, es sind acht Kolumbianer, die pfeifen und klatschen.

    Applaus und Adrenalin machen mich glücklich. Der Ritt in der Kugel ist eine runde Sache, wenn man allein ist. Zu acht, das habe ich gelernt, ist er die Quadratur des Kreises.

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