Das Kino "Casablanca" in Ochsenfurt ist eine Institution: Regelmäßige Auszeichnungen für das Filmprogramm, innovative Ideen für Vorführungen außerhalb des Kinosaals und die Verbindung von Kino und Kneipe – das alles sorgt dafür, dass das Casablanca auch weit über Ochsenfurt hinaus bekannt ist.
Nun wird es einem noch größeren Kreis von Menschen vorgestellt – im Bildband "Cinema Provinziale. Lichtspieltheater in der Provinz". 74 Kinos stellt die Fotografin Katrin Schneider in ihrem im Schüren Verlag erschienenen Buch vor und gibt in über 300 Fotos Einblicke in Filmtheater auf dem Land und in kleinen Städten. Das Kino-Projekt, das Schneider bereits 2018 gestartet hatte und auch über die Corona-Jahre fortsetzte, ist gleichzeitig zu einer Art Deutschlandreise geworden: Zwischen fünf und zehn Kinos pro Bundesland sind im Bildband vertreten.
Fotografin war vom Innenleben des "Casablanca" überrascht
"Auslöser für mein Projekt war ein Kino, das ich in der Provinz entdeckt hatte, und das plüschig und schön war", erzählt Schneider im Gespräch mit dieser Redaktion. Das habe sie überrascht, "bis dahin dachte ich, Kinos auf dem Land sind klein, braun und alt". Nach dem Kinobesuch habe sie angefangen zu recherchieren und sei auf immer mehr Orte gestoßen, deren Namen kaum jemand kannte, die aber Lichtspielhäuser mit beeindruckender oder besonderer Architektur hatten. "Ich bin in einer filmbegeisterten Familie aufgewachsen und liebe sowohl Filme als auch Architekturen", so Schneider, die nach ihrem Studium der Visuellen Kommunikation viele Jahre als Fotografin gearbeitet hat.

Beim Besuch des "Casablanca" in Ochsenfurt war sie vor allem vom Kontrast zwischen der Fassade und dem Innenleben überrascht: "Das Ganze sieht von außen wie ein winziges Wohnhaus aus – und dann geht man rein und kommt in diesen hohen, wunderschönen und toll erhaltenen 50er-Jahre Saal." Vor allem der Sternenhimmel und die Stoffwandbespannung seien ihr in Erinnerung geblieben.
Das Casablanca war auch schon Disco, Sexkino, Weinstube und Imbiss
Der Kinosaal mit seinem 50er-Jahre-Charme ist auch der Stolz der beiden Casablanca-Kinobetreiber und Geschäftsführer Hannes Tietze und Gert Dobner. "Kinos aus den 50ern sind von der Architektur her an Theater angelehnt", sagt Tietze. "Es gibt nicht mehr so viele gut erhaltenen Säle aus der Zeit – in den 70er Jahren wurden viele Kinos verbaut oder abgerissen."
Im Bildband finden sich zwei Innenaufnahmen des Kinos sowie eine Außenansicht, dazu einige Absätze über die Geschichte des Hauses. "Disco, Sexkino, Weinstube, Imbiss – das 1950er-Jahre-Kino 'Casablanca' hat eine schillernde Geschichte mit wechselnden Nutzungen hinter sich", heißt es im Buch. Zuvor war das Gebäude ein Bauernhof. "Ein Ochsenfurter war nach dem Zweiten Weltkrieg einer der ersten, der von den Amerikanern eine Lizenz zum Betreiben eines Kinos erhalten hat", sagt Tietze. Von einem Architekten aus Frankfurt habe dieser 1952 das Kino in der Wagstraße, damals unter dem Namen "Capitol", bauen lassen. "Der Zustrom war enorm", so Tietze, "der Betreiber hat viel Geld verdient." In den 50er Jahren seien die Filmgrößen der damaligen Zeit ins Capitol nach Ochsenfurt gekommen, sagt Tietze, "zum Beispiel Heinz Rühmann".

Als in den 70er Jahren in Deutschland ein großes Kinosterben einsetzte, war auch die Hochzeit des Capitol vorbei. "Ende der 70er Jahre lag das Capitol brach", so Tietze. Dann entdeckten Gert Dobner und Georg Dawo, damals beide Biologiestudenten, das leerstehende Kino und erweckten es 1982 wieder zum Leben. Seitdem ist es unter dem Namen "Casablanca" bekannt. Die beiden Betreiber machten von Anfang an klar, für was ihr Kino stehen sollte: "Programmkino mit Anspruch und Kneipe im Foyer".
"Die Handschrift eines Kinos zeigt sich vor allem darin, welche Filme nicht gezeigt werden."
Hannes Tietze, einer der beiden Inhaber des "Casablanca"
Dass sie, was das Programm angeht, seit jeher eine eigene Linie haben, empfindet auch Tietze als Besonderheit des Kinos: "Die Handschrift eines Kinos zeigt sich vor allem darin, welche Filme nicht gezeigt werden", sagt er und lacht. Dreimal seien das Haus und die Technik umgebaut worden, zuletzt 1998. "Die Grundform des Kinos wurde beibehalten und auch der Balkon im Kinosaal ist noch original – Boden, Decke und Wandbespannung wurden erneuert", so Tietze.
Auf ihrer Reise durch Deutschland hat Fotografin Katrin Schneider an die 130 Kinos gesehen. Manche befinden sich in ungewöhnlichen Bauwerken, wie einem ehemaligen Wasserturm in Neunkirchen, dessen runde kleine Kinosäle die Besucher per Fahrstuhl erreichen. Auch der einstige Speisesaal des 900 Jahre alten ehemaligen Kloster Alpirsbach beherbergt ein Kino. Bei den meisten Kinos seien die Ausgangsarchitektur und das Design beibehalten worden, sagt Schneider.

Kinos auf dem Land sind auch immer kulturelle Stützpunkte
Eines hätten alle Kinos gemeinsam gehabt: "Die Betreiberinnen und Betreiber machen ihre Arbeit mit viel Herzblut – und das sieht man den Kinos auch an." Neben ihrer Funktion als Filmtheater seien die meisten Kinos auf dem Land auch kulturelle Stützpunkte. Um bestehen zu können, ließen sich die Inhaber viel einfallen: vom "Frühstückskino" mit Büffet, von Lesungen und Konzerten bis hin zu Theater und Livemusik.
Sowohl Hannes Tietze als auch Katrin Schneider sind überzeugt, dass sich Kino in Zukunft verändern werde. Dennoch hätten gerade kleinere Kinos auf dem Land gute Chancen weiterzubestehen, so Schneider. "Nicht zuletzt wegen der engeren Bindung zwischen den Betreibern und dem Publikum und wegen des vielfältigen Konzepts – auch die Bewohner der jeweiligen Orte haben ein Interesse daran, diese Kinos als Institution zu erhalten." Tietze ist der Meinung, dass die Zahl der Kinos in Zukunft abnehmen wird. Wer bleibt, bestimme das Publikum: "Bei Kino zählt vor allem das Erlebnis."
Der Bildband "Cinema Provinziale. Lichtspieltheater auf dem Land" von Katrin Schneider (mit Vorwort von Regisseur Andreas Dresen) hat auf 312 Seiten über 300 Bilder und ist im Schüren Verlag erscheinen.