Dem obszönen Dichter in Bertolt Brecht und den sexuell unverstandenen Frauen aus Ruth Berlaus "Jedes Tier kann es" widmeten Karin Hartmann-Neudek und Norbert Bertheau vom Theater-Ensemble Würzburg die Lesung "Über Verführung". Ruth Berlau (1906 bis 1974) war Schauspielerin, Autorin, Journalistin, Übersetzerin und Mitglied des Brechtschen Harems, das jener stets neben seinen Ehefrauen hielt. Brecht (1898 bis 1956) ist einer der bedeutendsten und unverwechselbarsten Dichter, Regisseure und Theatermänner im europäischen Lande. Seine erotischen bis obszönen Gedichte wurden teils nicht zu Lebzeiten veröffentlicht und waren nur einem internen Zirkel zugänglich, was nicht verwunderlich ist ob des deftigen Vokabulars seiner lyrischen "Männer-Fantasien".
Im kühl grün-bläulich schimmernden Ambiente des Stadtcafes mit dem hell erleuchteten Kirchturm von St. Johannes im Rücken war es kein leichtes Unterfangen eine schickliche Atmosphäre für die Lesung "Über Verführung" zu zaubern. Die drei Akteure Karin Hartmann-Neudek (Berlau-Texte und Querflöte) im knallroten engen Kostümchen mit schwarzen Lackpumps, Norbert Bertheau (Brecht-Texte) mit männlicher Ausstrahlung und ohne Kostüm sowie die sie begleitende Anastasia Seifetdinova (Klavier) behaupteten sich dennoch im kleinen intimen Kreis der nicht zahlreich erschienenen Besucher.
Zur Lesung: Sieben Frauen sterben bei einem Unglück und liegen aufgebahrt in einer Kapelle, um am nächsten Tag beerdigt zu werden. In ihrer letzten und ersten gemeinsamen Nacht erzählen sie empört, gebrochen, herablassend oder hämisch in Ruth Berlaus "Jedes Tier kann es" über das sexuelle Unvermögen ihrer Männer und Liebhaber, mit denen sie in frustrierten Beziehungen lebten. Hartmann-Neudek überzeugt vor allem bei den Erzählungen der gedemütigten Frauen. An ihrem Lesetisch sitzend, die Beine eng aneinander geschmiegt ob des hoch rutschenden roten Rockes, klärt sie auf, dass Ruth Berlau jenes Buch schrieb, als sie mit Brecht liiert war. Sind die ernüchternden Schilderungen jener enttäuschten Frauen die Essenz aus der Beziehung zu Brecht, dem nachgesagt wird, dass er Frauen benutzte, sie aber auch inspirierte? Wahrscheinlich. "Hol ihn der Teufel" flucht eine jede der sieben Frauen am Ende ihrer Schilderung.
Salbungsvolle Orgelklänge lässt Anastasia Seifetdinova erklingen bevor Norbert Bertheau Brechts Gedichte ausdrucksstark rezitiert. Manche, wie das Sonett Nummer 12 "Vom Liebhaber", schildern poetisch ironisch die Qualen des Liebhabers, der die Frau seines Freundes verführte und nächtens im angrenzenden Gästezimmer auf verräterische Geräusche im ehelichen Schlafzimmer lauscht. Im Sonett "Saune und Beischlaf" kostet Brecht proletarisch anmutend die Wirkung ordinärer Worte unter der literarischen Gürtellinie scheinbar mit Plaisir aus - wie auch Norbert Bertheau beim Vortragen. Süffisant lächelnd offeriert er das provokative Gedicht den geneigten Ohren der Zuhörer, die unhörbar Zischen ob der gewagten und anstößigen Wortwahl.
Klassisch war an diesem Abend nicht nur die musikalische Untermalung, die Atempausen verschaffte, sondern auch die traditionelle Rollenverteilung. Die Texte Berlaus und die vortragende Karin Hartmann-Neudeck beleuchten die Frauen als Opfer, die sich zumeist fatalistisch in ihre Rollen fügen. Die Gedichte Brechts und der vortragende Norbert Bertheau präsentierten den Mann als dominierenden Macher und Macho. Brecht vollführt zahlreiche Tabubrüche in seinen erotischen Gedichten, die der Leser jedoch auch vor dem Hintergrund ihrer Entstehungszeit sehen muss. Besonders ansprechend sind die pornografischen lyrischen Ergüsse meist nicht, jedoch lassen einige kesse Wendungen aufhorchen wie: "Engel verführt man gar nicht oder schnell. / (...) Doch schau ihm nicht beim Ficken ins Gesicht. / Und seine Flügel, Mensch, zerdrück sie nicht."
Nun ja, dies ist halt keine Brechtsche Parabel mit Vorspiel wie in "Der gute Mensch von Sezuan", gleichwohl wohnt auch diesem Gedicht ein ungewöhnliches Sprachgefühl inne. Brecht einmal anders, teils schwer verdaulich und abstoßend, teils poetisch tiefgründig. Eine ungewöhnliche Lesung, die den Zuhörer forderte und nachdenklich stimmte.