W- enn der Name Dauthendey fällt, dann betrifft dies - zumindest bei den Würzburgern - gewöhnlich den Dichter, der 1867 hier in der Büttnergasse im Mainviertel zur Welt gekommen war. An den Vater denkt man da weniger, obwohl auch er in einem außergewöhnlichen Rufe steht: Er gilt als erster Fotograf auf deutschem Boden.
So wenigstens bezeichnete ihn der Sohn in seinem 1912 erschienenen Werk "Der Geist meines Vaters", ein Buch, das man heute nur noch im Antiquariat erhält, sofern man Glück hat. Die beiden Dauthendeys, sie lagen wahrlich nicht immer auf einer Wellenlänge, vor allem nicht, als sich der Sohn für die Schriftstellerei entschied und der Übernahme des renommierten Fotostudios die kalte Schulter zeigte.
Carl Albert Dauthendey kam Ende 1863 erstmalig nach Würzburg und ließ sich im Folgejahr hier nieder, um "in der liebenswerten Atmosphäre dieser urdeutschen Stadt" seine von vielen Wechselfällen bestimmte Fotografenkarriere ausklingen zu lassen.
Begonnen mit der Fotografie hatte es für Dauthendey 1841 in Leipzig, wo der damals 21-Jährige in einem Optik-Institut Brillengläser schleift. Dort bietet ein reisender Franzose eine Camera obscura feil, ein Modell wie es zwei Jahre zuvor bei der Erfindung der Fotografie von Daguerre in Paris verwendet worden war. Der Franzose zeigt - zur allgemeinen Begeisterung - gleich noch einige Da-guerreotypien her. Doch bei der Durchführung des sehr komplizierten Verfahrens beißen sich die Optiker die Zähne aus. Bald hat man den "ganzen Pariser Schwindel" satt, die Euphorie verfliegt und die Camera landet auf dem Speicher.
Einzig Dauthendey bleibt am Ball, will nicht aufgeben. Er erwirbt die Box und experimentiert privat, neben der Arbeit. Seine Models, ein Gärtnerbursche und ein Dienstmädchen, brauchen Geduld, viel Geduld. Und da die ständig wiederholte Prozedur "open air" stattfindet, werden Passanten darauf aufmerksam. Ein abenteuerliches Unterfangen, welches da über die Bühne geht, begleitet von vielerlei Gerüchten, ständigem Frust, aber auch großer Besessenheit. Schließlich klappt es doch: Auf der gesilberten Kupferplatte ist nach der Entwicklung mit Quecksilberdampf ein zartes kleines Dreieck zu erkennen: der Halsausschnitt des Models. "Das war der schönste und erhabenste Augenblick in meinem Leben", wird der Vater später dem Dichtersohn erzählen.
Der Startschuss zu einer steilen Fotografenkarriere ist gefallen. Bei der Leipziger Ostermesse 1842 geht Dauthendey mit seinen Daguerreotypien an die Öffentlichkeit. In der Leipziger Universität hält er, der gerade mal Zweiundzwanzigjährige, einen vielbeachteten Vortrag über "die neue Lichtbildkunst". Was folgt, sind nicht nur lukrative Aufträge, sondern auch ein Ruf an den Dessauer Herzogshof.
In der kleinbürgerlichen Enge des anhalt'schen Städtchens indes hält es ihn nicht lange. Er trägt sich mit großen Ideen. Mit einem Empfehlungsschreiben an die Zarin in der Tasche macht er sich auf nach Petersburg. Doch dort endet der Höhenflug abrupt, zunächst wenigstens. Der Zugang zum Hofe bleibt ihm versagt, da er die nötigen Bestechungsgelder nicht aufbringen kann, die Mentalität der neuen Umgebung macht ihm zu schaffen.
Inzwischen ist es mit der Fotografie weitergegangen im Westen. Talbots Kalotypie - ein Verfahren, das beliebig viele Abzüge von einem Negativ möglich macht - hat die Studios erobert. Für kurze Zeit kehrt Dauthendey zurück in die Heimat, um sich auf den neusten Stand zu bringen.
Zurück in Petersburg erfolgt der Durchbruch: Die Geliebte des Zaren bringt einen Riesenauftrag ins Haus. Ein Album für Nikolaus I. soll es sein, ein Werk mit mehr als 60 Promi-Porträts. "Das Gedränge der an- und abfahrenden Kutschen vor des Vaters Atelier war wochenlang so groß, dass die Polizei eingreifen musste", wird der Junior später schreiben. "20 Maler wurden verpflichtet, um die Papierabzüge zu kolorieren." Der Fotograf Carl Albert Dauthendey ist auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Er verkehrt bei Hofe und kann sich vor Aufträgen kaum retten.
Doch die Bäume wachsen nicht in den Himmel, der Wind dreht: Seine junge Frau nimmt sich das Leben. Mit dem Amtsantritt des Reformzaren Alexander II. verschwinden maßgebliche Gönner von der politischen Bühne. Zu allem Überfluss gibt es Verwicklungen mit der Baubehörde: Bei Nacht und Nebel wird das Atelier abgerissen, weil einst die Grundstücksgrenzen überschritten wurden. "Nichts wie heim ins Reich", sagt Dauthendey, doch so einfach ist das nicht. Zu stark verankert ist er in der russischen Metropole. Abwarten also. Fotografisch gibt es immerhin neue Perspektiven: Das Kollodiumverfahren mit Glas als Schichtträger, die Mikro- und Farbfotografie, die Foto-Lithografie.
Familiäre Gründe sind es schließlich, die den Entschluss, "der Tyrannei" den Rücken zu kehren, unabwendbar machen. Dauthendey - inzwischen wieder verheiratet - lässt zwei seiner Töchter in Preußen evangelisch erziehen. Die Behörden be-kommen es spitz und drohen, die weiteren Kinder in ein orthodoxes Kloster zu stecken. 1862 zieht er die Konsequenz, kehrt unter abenteuerlichen Umständen zurück nach Deutschland. So manches an historisch wertvollem Bildmaterial muss zurückbleiben an der Newa.
Auf der Suche nach einem neuen Domizil kommt Dauthendey - wie gesagt - 1863 nach Würzburg und fasst dort Fuß. Ein ruhigerer Lebensabschnitt soll es werden in der Bischofsstadt. Zunächst arbeitet er in seinem Atelier in der Büttnergasse, später entsteht im Zentrum der Stadt - in der Kaiserstraße - ein großräumiges Atelier. Dauthendey tüftelt weiterhin an einem Farbverfahren. Erfolgreich vertreibt er einen selbst entwickelten Retuschelack, für den er Auszeichnungen auf den Welt-ausstellungen in Wien und Philadelphia erhält.
Mit Konrad Röntgen verbindet ihn eine langjährige Fotofreundschaft. Am Ende aber stehen ziemlich einsame Jahre. Dauthendey verwitwet zum zweiten Mal, die Kinder sind aus dem Haus und der Jüngste zeigt ihm in Sachen Fotografie die kalte Schulter, greift lieber zur Feder. 1893 wird das Atelier veräußert. Der Vorhang fällt: Carl Albert Dauthendey, der international renommierte Fotopionier mit dem Titel "erster Fotograf auf deutschem Boden", stirbt im September 1896. Er wird im Familiengrab auf dem Würzburger Hauptfriedhof beigesetzt.