Es hatte vorher schon regionale Sängerfeste, auch in Franken, gegeben, aber im September 1844 hatte die erst 1842 gegründete Würzburger Liedertafel den Auftrag zur Ausrichtung eines gesamtdeutschen Sängerfestes erhalten. Die Organisation dieser Massenveranstaltung überstieg bei weitem den bei regionalen Festen üblichen Rahmen. Pauschal wurden alle deutschen Sängervereine eingeladen, und so waren schließlich mehr als 1500 auswärtige Sänger unterzubringen und zu versorgen, was dank der Mithilfe der Würzburger Bürger sehr gut gelang.
Speziell für das Ereignis wurde im Huttenschen Garten eine Festhalle von 70 mal 20 Metern aus Holz errichtet, die exquisit ausgemalt und ausgestattet wurde. Ein Unwetter brachte den Bau in der Nacht zum 8. Juli zum Einsturz, doch konnte er rechtzeitig zum Beginn des Festes wiederhergestellt werden.
Die auswärtigen Sängervereine wurden durch berittene Empfangskomitees an den Stadttoren begrüßt und zum Rathaus und dann zu ihren Quartieren geleitet. Besonders prachtvoll gestaltete sich der Empfang der per Dampfschiff - sie verkehrten erst seit vier Jahren auf dem Main - anreisenden Gruppen. Am Montag, 4. August, stellten die Vereine sich mit Gesangsdarbietungen vor, um 17 Uhr gab es ein Festmahl in der Halle. Höhepunkt des Festes war der große Festzug am 5. August. Am 6. August wurde ein Ausflug zur Aumühle unternommen. Die 30 Sänger aus Schleswig-Holstein, die ohnehin am meisten Aufsehen erregt hatten und hier erstmals vor großem Publikum das Lied "Schleswig-Holstein, meerumschlungen" darboten, wurden am 7. August noch zu einer besonderen Festveranstaltung ins Stadttheater eingeladen.
Ungeklärte Zugehörigkeit
Das besondere Interesse des Würzburger Publikums an den Schleswig-Holsteiner Sängern weist auf die eigentliche Bedeutung des Sängerfestes hin, das eben nicht nur ein Musikfest war, sondern aus der sozialen und politischen Situation des "Vormärz", der unmittelbaren Vorgeschichte der Revolution von 1848, und der 1845 noch ungeklärten staatlichen Zugehörigkeit der Herzogtümer Schleswig und Holstein - ob zu Deutschland oder zu Dänemark - zu verstehen ist.
Die Deutschen erlebten sich in solchen Festen als Kulturnation mit einer großen gemeinsamen Tradition und begannen immer mehr auf eine nationale Einigung zu drängen. So war die Würzburger Sängerfesthalle geschmückt mit den Namen deutscher Dichter und Komponisten, wobei mit besonderem Stolz die lokal bedeutsamen Namen Walther von der Vogelweide und Abbé Georg Joseph Vogler hervorgehoben wurden. Es fehlte dabei noch jede nationale oder konfessionelle Engherzigkeit, wie sie leider später in Deutschland bezeichnend wurde.
Kulturelle und nationale Gesichtspunkte waren beim Fest kaum zu trennen, alle, die Deutsch als Muttersprache hatten, sollten davon angesprochen werden. Die Zusammengehörigkeit aller Stämme deutscher Sprache und Kultur wurde beschworen. Die Vorstellungen, die die deutschen Männerchöre bewegten, entsprachen weitgehend denen des liberalen, gebildeten Bürgertums jener Zeit, auch wenn von Anfang an alle sozialen Schichten an der Entwicklung des Chorgesangs Anteil hatten. Allerdings blieben Frauen von einer aktiven Teilnahme ausgeschlossen und galten nur als Schmuck des Festes.
Der Autor ist promovierter Histori- ker und wissenschaftlicher Mit- arbeiter des Stadtarchivs. Anläss- lich der 1300-Jahrfeier hat das Archiv eine mehrteilige Stadt- geschichte herausgebracht, deren erste beiden Bände bereits vorlie- gen. In loser Folge veröffentlichen wir Auszüge.