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GOSSMANNSDORF: Fragmente zeugen vom jüdischen Leben

GOSSMANNSDORF

Fragmente zeugen vom jüdischen Leben

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    Rarität: die Innenaufnahme der Goßmannsdorfer Synagoge.
    Rarität: die Innenaufnahme der Goßmannsdorfer Synagoge. Foto: FOTO WOLFF

    Das 1932 erschienene Bändchen „Stille Winkel in Franken“ von Leo Weismantel enthält neben dem einleitenden poetischen Text des fränkischen Dichters einen umfangreichen Bildteil mit Schwarzweißaufnahmen von Dr. Paul Wolff. Unter den Fotos befinden sich auch einige aus Ochsenfurt und Umgebung. Eine besondere Rarität stellt auf Seite 26 die Innenaufnahme der Synagoge von Goßmannsdorf am Main dar, in der Bildunterschrift fälschlicherweise als „Gößmannsdorf“ bezeichnet. Es ist dies die einzige bislang bekannte Aufnahme des Innenraums dieser Synagoge.

    In der Bildunterschrift heißt es dazu, dass das jüdische Versammlungshaus in Goßmannsdorf „eine der wenigen und vollkommen erhaltenen Synagogen des 17. Jahrhunderts in Franken“ sei. Diese Angabe ist hinsichtlich des Entstehungsdatums der Synagoge allerdings nicht korrekt, denn der Gebäudekomplex, der aus einem Versammlungsraum für den Synagogenbesucher und einer Wohnung für den jüdischen Lehrer bestand, wurde tatsächlich erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts errichtet.

    Allerdings besaßen die Goßmannsdorfer Juden bereits vor dieser Zeit an anderer Stelle im Dorf einen von einem Gemeindemitglied zur Verfügung gestellten Versammlungsraum. 1765 konnte dann nach längeren Verhandlungen mit den drei Dorfherren (Freiherr von Zobel zu Darstadt, Markgraf von Brandenburg-Ansbach und Hochstift Würzburg) und gegen den Widerstand des Ortspfarrers mit dem Neubau eines Synagogen- und Lehrergebäudes begonnen und dieses noch im selben Jahr im Rahmen einer schlichten Feier eingeweiht werden.

    Über dem Portal des damals errichteten Gebets- und Versammlungsraumes stand das Psalmwort „(Das ist das Tor zum Herrn). Nur Gerechte treten hier ein“. Diesen Hinweis wie auch weitere Informationen über die ehemalige Synagogeneinrichtung und die einstmals im Besitz der örtlichen jüdischen Gemeinde befindlichen Ritualobjekte sind dem jüdischen Kunsthistoriker Theodor Harburger aus München zu verdanken, der zwischen 1926 und 1932 insgesamt 128 Orte in mit jüdischer Bevölkerung in Bayern besuchte und dabei auch nach Goßmannsdorf kam. Die bei seinem Besuch in der Maintalgemeinde um 1930 angefertigten Notizen werden heute im Jüdischen Museum Franken in Fürth aufbewahrt.

    Nach Angaben Harburgers handelt es sich bei dem 1765 errichteten Gebäudekomplex um einen einfachen Steinbau. Das Versammlungshaus, die eigentliche Synagoge, enthielt im Innern ein Tonnengewölbe. Die Frauenempore, von der aus die jüdischen Frauen den Gottesdienst verfolgen durften, war durch drei Durchbrüche mit Rundbögen im Westen mit dem Männerraum verbunden. Blickfang und Mittelpunkt des Versammlungsraumes war ein stattlicher steinerner Thoraschrein auf einem Podest, zu dem vier Stufen hinauf führten. Dieser Schrein, der wohl im 18. oder frühen 19. Jahrhundert entstand, besaß einen altarähnlichen Aufbau mit zwei vorgeblendeten marmorierten Vollsäulen mit korinthischen Kapitelle. Das Allerheiligste, der Aufbewahrungsort der Schriftrollen, war mit einem gestifteten Vorhang mit wertvollen Stickerein (zwei Löwen halten eine Krone, darunter ein von Eichenlaub eingerahmter Schrifttext) verhüllt. Auf dem Architrav (Gebälk) des Thoraschreins, der ebenfalls marmoriert war, standen zwei gekrönte Löwen, die ein ovales Wappenschild mit den so genannten Bundesworten hielten, das wiederum von einem Kurfürstenhut (Hinweis auf die Entstehung) bekrönt war.

    Zur weiteren Synagogeneinrichtung gehörte neben einem hölzernen Lesepult noch eine steinerne Lesekanzel des Vorbeters mit Balusterbrüstung und Schmuckgitter (hier mit einem Tuch verhängt), mehrere Bänke für die Gottesdienstbesucher sowie 4 Hängeleuchter aus Messing, darunter einer mit einem Doppeladler.

    Zum Zeitpunkt der Innenaufnahme der Synagoge (um 1930) bestand die israelitische Kultusgemeinde Goßmannsdorf nur noch aus etwa zehn Mitgliedern. Aufgrund des massiven Mitgliederschwundes seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und den Anfeindungen gegen Juden im Dritten Reich löste Jakob Mayer, der letzte Kultusvorstand, im Frühjahr/Sommer 1938 die nicht mehr lebensfähige Kultusgemeinde auf und übergab den Großteil der noch vorhandenen Ritualien, die nun nicht mehr benötigt wurden, an den Verband der Bayerischen Israelitischen Gemeinden in München.

    Am Abend des 10. November 1938 überfiel im Zuge des reichsweiten Pogroms gegen die Juden ein motorisierter Trupp von SA- und SS-Leuten aus Ochsenfurt auf Anweisung der NSDAP-Gauleitung in Würzburg die beiden noch in Goßmannsdorf wohnenden jüdischen Familien Adler/Lind und Mayer, zerstörte deren Wohnungseinrichtung, nahm Verhaftungen vor und demolierte auch das Synagogengebäude. Dabei ging die damals noch vorhandene Einrichtung zu Bruch. Die Schäden in ihren Wohnhäusern und in der Synagoge mussten die Juden auf eigene Kosten beseitigen. Reste der ehemaligen Synagogeneinrichtung, darunter die steinernen Löwen des Thoraschreines, wurden Anfang der 1940er Jahre noch im Straßenschutt in der Nähe des Goßmannsdorfer Friedhofs beobachtet.

    Am 21. Januar 1939 gingen Synagoge und Lehrerwohnung durch Verkauf zu einem sehr niedrigen Preis in den Besitz der politischen Gemeinde Goßmannsdorf über. Während des Zweiten Weltkriegs waren in der Synagoge zeitweise Kriegsgefangene untergebracht. Nach Kriegsende erwarb Erich Weiß 1952 mit Zustimmung der Jewish Restitution Successor Organisation (amerikanische Behörde, zuständig für die Rückgabe ehemaligen jüdischen Eigentums) den Gebäudekomplex (Synagoge und Lehrerwohnung).

    Weiß fand beim Umbau der ehemaligen Synagoge zu einem Wohnhaus auf dem Dachboden Fragmente jüdischer Schriften aus dem 16. bis 19. Jahrhundert, die einst im jüdischen Gottesdienst und im Schulunterricht verwendet wurden und wegen ihres schlechten Erhaltungszustandes in einer so genannten Genisa (Depot) gelagert worden waren. Diese Schriftenfragmente, die sich seit einigen Jahren als Dauerleihgabe im Stadtarchiv Ochsenfurt befinden, erinnern zusammen mit den Grabsteinen verstorbener Juden auf dem Bezirksfriedhof Allersheim an früheres jüdisches Leben in Goßmannsdorf.

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