Icon Menü
Icon Schließen schliessen
Startseite
Icon Pfeil nach unten
Würzburg
Icon Pfeil nach unten
Stadt Würzburg
Icon Pfeil nach unten

Der unbekannte Namensgeber der Leighton Barracks: Goodbye, Mister Leighton

Stadt Würzburg

Der unbekannte Namensgeber der Leighton Barracks: Goodbye, Mister Leighton

    • |
    • |

    Es war eine frostige Angelegenheit an jenem 14. Januar 2009. An jenem Tag, der für Würzburg eine historische Weiche stellen sollte. An jenem Tag, als die amerikanischen Militärs nach über 60 Jahren in Würzburg ihr allerletztes Sternenbanner vom Mast holten. Eine schnörkellose 15 Minuten-Zeremonie bei minus zehn Grad – und die Leighton Barracks als einst so prestigeträchtige US-Kaserne waren weggewischt. Die Eiseskälte des 14. Januar wollte so gar nicht zur angeblichen Warmherzigkeit passen, mit der sich die Amerikaner – so der Lieutenant in seinen Abschiedsworten – in Würzburg aufgenommen fühlten.

    Jetzt schlägt die Stunde der Visionäre, der Planer, der Grundstückshändler. Ein neuer Stadtteil entsteht. Auf den „Leightons“, wie sich das Areal längst im Volksmund eingebürgert hat. Dennoch soll eine Namensfindungskommission im Rathaus Ersatz für die „Leighton Barracks“ beschaffen. Verlautbart hat sie noch nichts. Was kommt, ist ungewiss. Klar ist nur, was geht: Die Erinnerung an den 1944 gefallenen amerikanischen Hauptmann John Leighton, der alle Anforderungen an den Mythos eines amerikanischen Kriegshelden erfüllt – und dessen Geschichte in Würzburg kaum einer kennt.

    Paul Leighton wäre bei der Schlussfeier in den Leighton Barracks gerne dabei gewesen. Dann hätte er – einmal wenigstens – dieses mächtige eingezäunte Gelände bestaunt, das jahrzehntelang den Namen seiner Familie trug. Doch der Zeitungsreporter hatte zu tun, musste sich zuhause in Beverly um sein Tagesgeschäft kümmern. Beverly, das ist eine typisch amerikanische Kleinstadt in Massachusetts ohne größere Auffälligkeiten. Außer vielleicht, dass Schriftsteller John Updike hier lebte. Und: Dass der Würzburger Namenspatron John A. Leighton hier geboren und aufgewachsen ist. Genauso wie sein Neffe Paul. Der schreibt heute als Beverlys Chronist für die „Salem News“, ein kleineres Regionalblatt mit rund 30 000 Stück Auflage.

    „Ich bin froh, dass Johns Geschwister es erfahren haben, ehe sie das Zeitliche segnen“

    Paul Leighton über die „Entdeckung“ der Leighton Barracks

    Der 52-Jährige, Vater zweier Töchter, ist ein alter Hase im Zeitungsbusiness. Seit 23 Jahren ist er als Reporter auf der Pirsch nach spannenden Geschichten. Reichlich unverhofft stöbert er sie manchmal auf. So war es auch vor wenigen Monaten. Seine Schwester hatte im Internet ihren eigenen Namen gegoogelt: Leighton. Dabei stieß sie auf eine US-Kaserne in Deutschland – die Leighton Barracks. Was zunächst aussah wie eine belanglose Namensgleichheit, entpuppte sich als faustdicke Überraschung – und für die Familie als Sensation: Über 60 Jahre lang haben die Leightons in den USA nichts von der Existenz der „Leightons“ in Würzburg gewusst. Erfahren haben sie davon erst wenige Wochen vor deren endgültiger Schließung am 14. Januar 2009.

    Paul Leighton konnte den Zufallsfund kaum fassen: „Wie war es möglich, dass es diesen Ort über 60 Jahre gab – mit Tausenden von Soldaten und Zivilisten –, ohne dass wir eine Ahnung davon hatten? Wie konnte es sein, dass mein Vater, selbst ein Weltkriegsveteran, nichts von der Ehre wusste, die seinem Bruder zuteil geworden war, den er doch so bewundert hatte?“ Möglicherweise hat die Armee die Witwe Leighton nie informiert. Oder ist ein Telegramm verloren gegangen? Fest steht: Am 17. Juni 1947 haben die Amerikaner den früheren Gerbrunner Flugplatz nach dem gefallenen Hauptmann John A. Leighton in „Leighton Barracks“ benannt.

    Als unsere Zeitung nun Kontakt mit Paul Leighton aufnahm, nährte dies bei ihm neue Hoffnung: „Ich wüsste gern, ob es damals eine Zeremonie gab. Vielleicht könnt Ihr Näheres herausfinden und das Rätsel lösen, warum unsere Familie nie informiert wurde“, so seine Bitte an den Reporterkollegen in Würzburg. Doch das gut sortierte Main-Post-Archiv meldet Fehlanzeige. Ebenso das Stadtarchiv. Wobei Hans-Peter Baum als wissenschaftlicher Angestellter nicht groß verwundert ist: „1947 stand man den Amerikanern distanziert gegenüber. Sie waren Wohnraum-Beschlagnahmer. Freundschaftlich wurde das Verhältnis erst später. Zu einer internen Benennungsfeier haben sie vermutlich kaum deutsche Gäste eingeladen.“ Baum ist überzeugt, dass Quellen zur Leighton-Namensgebung nur in amerikanischen Archiven zu finden sind.

    Fassungslos habe Jack Leighton, Sohn des Namensgebers, auf die Nachricht von den Leighton Barracks in Würzburg reagiert, berichtet sein Cousin Paul. Doch sei – der nur einen Monat nach dem Tod seines Vaters geborene – Jack auch dankbar für die jahrzehntelange Ehrbekundung. Und die zwei noch lebenden Brüder von John Leighton, darunter Pauls 86-jähriger Vater, sowie seine Schwester? „Es ist eine große Ehre für meine Familie. Ich bin froh, dass Johns Geschwister es erfahren haben, ehe sie selbst das Zeitliche segnen“, meint Paul Leighton, der aufregende Recherchen hinter sich hat. Die Entdeckung ließ ihn tief in John Leightons Leben schauen. Nicht einmal die Familie wusste von dessen genauen Todesumständen in der Normandie.

    „Sein tapferer und heldenhafter Widerstand wird Ansporn für das ganze Bataillon bleiben“

    Aus dem Beschluss zur Benennung der Würzburger Kaserne nach John A. Leighton

    So machte sich Reporter Leighton auf den Weg, fand Kriegstagebücher und sprach mit einem heute 92-jährigen Ex-Soldaten, der unter John Leighton in den Weltkrieg gezogen war. Daraus lassen sich die Persönlichkeit und die letzten Stunden rekonstruieren. Bei Kriegsausbruch hatte sich Leighton freiwillig zur Armee gemeldet und absolvierte eine Offiziersanwärterschule. Als gut aussehend wird er beschrieben. Exzellent in allem, was er anpackte. Nach seiner Hochzeit und kurz bevor er nach Europa aufbrach, stoppte er daheim in Beverly: Ein Brief beförderte ihn zum Hauptmann. Als Kommandeur war er – im Alter von erst 25 Jahren – für 300 Männer einer Kompanie verantwortlich, die zum 10. Panzier Infanterie-Bataillon gehörte.

    Sie landeten Anfang Juli 1944 in der Normandie. Am 18./19. Juli sollte die Einheit vorrücken, Heckenschützen lauerten. Was dann passierte, ist in einem Kriegstagebuch festgehalten, das Paul Leighton über einen amerikanischen Militärautoren eingesehen hat: „Die Kompanie stand unter starkem Beschuss und Hauptmann Leighton wurde im Bauch getroffen. Diese schwere Verletzung hielt ihn aber nicht von seiner Pflicht ab. Er steuerte weiter die Operationen seiner Kompanie. Als sie ihre Stellung nicht mehr halten konnten, befahl er den Rückzug in eine bessere Position. Hauptmann Leighton bestand darauf, ihn zurückzulassen, damit nicht andere Männer seiner Einheit in Lebensgefahr gerieten. Sie ließen ihn nur deshalb liegen, weil er versicherte, in Kürze von Sanitätern mitgenommen zu werden. Die Kompanie zog sich zurück. Doch Hauptmann Leighton wurde als vermisst gemeldet: Die Sanitäter hatten ihn nicht dabei.“

    Neun Tage später wurde seine Leiche von einem Suchtrupp gefunden. „Er hätte niemals sterben dürfen“, sagt der Weggefährte von damals. Während sich – angesichts der Gefahr – andere Offiziere am Ende postierten, habe Leighton die Führung übernommen. Den Eltern erzählten die Militärs, ein deutscher Heckenschütze habe ihm zwischen die Augen geschossen. Im Beschluss, die Würzburger Kaserne nach John A. Leighton zu benennen, wird dieser als „fähig, verständnisvoll und mutig“ gewürdigt. Wörtlich heißt es: „Sein tapferer und heldenhafter Widerstand in der Nähe von Raids, Frankreich, am 18. Juli 1944, der ihn das Leben gekostet hat, wird immer ein Ansporn für die Männer seiner Kompanie und das ganze Bataillon bleiben.“ Nach fünf Jahren auf einem französischen Soldatenfriedhof wurde seine Leiche 1949 auf dem National-Friedhof in Farmingdale beigesetzt.

    John Leighton – der große Unbekannte. Dank der ausgezeichneten Recherchen seines Neffen Paul ist er für die Würzburger greifbarer. Seine amerikanischen Zeitungsleser honorierten das bewegende Stück Familiengeschichte und Kriegsgeschichte mit dankbaren Kommentaren. Manche waren selbst in den Leighton Barracks stationiert und haben – wie Tausende Amerikaner – eine ganz besondere Beziehung zu Würzburg. Einer von ihnen ist Tom Champion: „Ich habe Mitte der 90er in den Leighton Barracks gearbeitet und meine Tochter wurde im Militärhospital geboren. Wir werden demnächst zu einem Besuch nach Würzburg fahren. Dann kann ich meiner Tochter zeigen, wo sie geboren wurde.“

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden