Seit 1998 steht es auf der Denkmalschutzliste und „keiner“, sagt Giebelstadts Bürgermeister Helmut Krämer, „weiß, warum“. Die Eigentümer wollen das Haus abreißen, die Giebelstädter Gemeinderäte stimmten zu.
Das Haus steht auf der Liste, weil es bis 1880 der Mittelpunkt der jüdischen Allersheimer war. Egon Johannes Greipl, der Generalkonservator des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege, beschreibt es als „eine typische Landsynagoge, die, ebenso wie die Veitshöchheimer Synagoge, mehrere Nutzungen unter einem Dach vereinte“. Ein Rabbiner hatte hier seine Wohnung, hier trafen sich die Gläubigen zum Gebet und zum rituellen Tauchbad, der Mikwe.
Mehr als 90 Mitglieder zählte die jüdische Gemeinde in Allersheim nie, und das war im Jahr 1816, bei einer Gesamtbevölkerung von 331 Menschen. Weil ihre Wirtschaftskraft begrenzt war, ist das Gebäude, errichtet als Fachwerkkonstruktion, „bedeutend kleiner“ als anderswo, teilt Greipl mit. Früher hätten die jüdischen Gemeinden häufig solche Gebäudetypen gebaut, heute gebe es nur noch wenige davon. Das Allersheimer Haus sei „aus diesem Grund ein wichtiges Zeugnis der jüdischen Geschichte und Sachkultur in Franken“.
Hermann Eidel lebt seit bald 50 Jahren im Giebelstädter Ortsteil Allersheim, er dient der Gemeinde als zweiter Bürgermeister. Eidel sagt, bis vor wenigen Jahren habe keiner im Ort von der Synagoge gewusst. Nicht in der Grundschule, noch in der Heimatkunde sei davon die Rede gewesen. An den Stammtischen, beim Frühschoppen sei das alte Haus kein Thema; für die Leute sei uninteressant, wer da früher lebte. Ein Gemeinderatsmitglied habe das baufällige Gemäuer einen Schandfleck genannt, und die Allersheimer stünden auf der Seite des Eigentümers, der es abreißen will. Denn keiner könne sich vorstellen, „was man daraus entwickeln könnte“, auch er nicht.
Die Würzburger haben einem Gymnasium den Namen ihres Bischof Friedrich von Wirsberg gegeben; seinem Nachfolger Julius Echter von Mespelbrunn widmeten sie eine Straße, ein Spital, ein Hefeweizen. 1560 vertrieb Bischof Friedrich die jüdischen Würzburger. 1575 verschärfte Bischof Julius das Dekret, das Juden verbot,... ...sich in Würzburg niederzulassen. Die Vertriebenen zogen aufs Land, in Dörfer, über die Reichsritter herrschten; die waren den Bischöfen nicht untertan, ihnen waren die Steuern und Abgaben, darunter ein Schutzgeld, der Juden recht.
Aus dem Jahr 1580 berichtet der Würzburger Historiker Joachim Braun, stammt die erste schriftliche Erwähnung von Juden in Allersheim. Darin klagt Ortspfarrer Christoph Beyer in einem Schreiben an die bischöfliche Verwaltung, die Juden im Ort verweigerten den „kleinen Zehnten“, der Reichsritter Philipp Geyer habe ihnen das so aufgetragen. In mehreren Gemeinden stammten erstmalige Erwähnungen jüdischen Lebens aus diesem Zeitraum. Braun nennt im 69. Band der Würzburger Diözesan-Geschichtsblätter Acholshausen, Bütthard, Eibelstadt, Gaukönigshofen und Goßmannsdorf.
Bürgermeister Eidel berichtet, über Allersheims jüdische Gemeinde sei nur wenig bekannt, weil sie „ein Parallelleben“ zur christlichen Gemeinde geführt hätte. Braun brachte Dokumente über Streitigkeiten zutage, wie sie auch andernorts ausgetragen wurden. Die Christen verlangten von ihren jüdischen Nachbarn, christliche Feiertage einzuhalten. Feierten die jüdischen Allersheimer eine Hochzeit oder hatten sie einen Verstorbenen zu beerdigen, so mussten sie beim katholischen Pfarrer Gebühren entrichten, obwohl sie seine Dienste gar nicht in Anspruch nahmen. Braun beschreibt ein „überwiegend religiös motiviertes, weitverbreitetes Misstrauen“ der Christen gegenüber den Juden; trotzdem gebe es „in der Frühzeit“, anders als anderswo, keine Belege für Übergriffe auf jüdisches Leben oder Eigentum. Abgesehen von wirtschaftlichen Kontakten seien die Juden meist unter sich geblieben.
Am 3. September 1802 weint sich in der Würzburger Residenz der Fürstbischof die Augen aus. 2000 pfalz-bayerische Soldaten, Verbündete von Napoleons Großer Armee, stehen vor der Tür; Georg Karl von Fechenbach muss abtreten. Die katholische Kirche verliert ihre jahrhundertelang währende weltliche Herrschaft über die Stadt. Juden (und auch Protestanten) dürfen wieder in Würzburg einziehen, nach bald 230 Jahren Vertreibung. Trotzdem wächst die jüdische Gemeinde in Allersheim noch bis 1816 auf ein knappes Drittel aller Dorfbewohner an. Dann beginnt sie zu schrumpfen.
Der Historiker Braun berichtet, eine Synagoge wird erstmals 1718 in einer Güter- und Feldbeschreibung über den Flecken Allersheim als „das Jenige Hauß oder Juden Schul“ genannt. Das passt zur Annahme der Landesdenkmalbehörde, dass Anwesen in der Hauptstraße 20 aus dem 18. Jahrhundert stammt. Ob jüdische Gläubige das Haus als selbst bauten oder aber erwarben, ist laut Braun nicht mehr festzustellen. Das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege weiß auch nicht mehr; es beruft sich auf Brauns Forschung.
1880 sind viele Allersheimer Juden nach Würzburg oder in größere Gemeinden wie Gaukönigshofen umgezogen, einige sind ausgewandert. Keine zehn leben mehr im Dorf – nach jüdischem Recht zu wenige, um einen Gottesdienst abzuhalten. Die Synagoge, der ehemalige Mittelpunkt der Gemeinde, wird bedeutungslos. 1911 erwirbt eine christliche Familie das Gebäude und baut es zu einem Wohnhaus um.
In der vergangenen Woche ist Hans-Christoph Haas vom Landesamt für Denkmalpflege in Allersheim gewesen, zur Besichtigung des historischen Anwesens. So baufällig ist es geworden, dass er nicht wagte, die Haustreppe hoch zum Dachgeschoss zu steigen. Im Keller fand er ein kleines, in Sandstein gefasstes Wasserloch, das einen hohen Grundwasserspiegel anzeigt – ein Hinweis auf die Mikwe; das rituelle Bad muss nach dem jüdischen Reinheitsgebot von „reinstem lebendigem Wasser“ versorgt sein. Haas fand auch den Abdruck einer Mesusa, einer am Pfosten der Haustür befestigte Schriftkapsel.
Das Landesamt hat noch nicht entschieden, ob es einem Abbruch zustimmt. Es räumt „enorme substanzielle Schäden“ ein. Sollte das Haus nicht mehr zu halten sein, seien „auf alle Fälle eine wissenschaftliche Untersuchung und Dokumentation erforderlich“.Für Eidel, den Bürgermeister, ist das Haus schon weg. Er halte einen Gedenkstein „an geeigneter Stelle für angebracht“, sagt er, „weil ganz unter den Teppich kehren sollte man diesen Aspekt der Allersheimer Geschichte nicht“.