Laut offiziellen Zahlen der Stadt Würzburg gibt es im Stadtteil Zellerau 46 Hektar Gewerbeflächen. Ihre Befürchtungen schildern einige Ladeninhaber gegenüber unserer Redaktion.
„Wir sind die Ärmsten hier ganz hinten“, sagt Christa Eder von der „Tankstelle am Supermarkt“ in der Frankfurter Straße 92. Sie hat Tränen in den Augen. Hier, wo sich in Stoßzeiten die Autos mit Würzburg–Land- oder MSP-Kennzeichen bis auf die Straße stauten, herrscht gegen Mittag eher Ruhe. „Ich kann ja überhaupt nichts dagegen tun“, sagt sie, „die machen die Straße einfach zu und sagen uns: Schaut wie ihr zurecht kommt!“ Seit zehn Jahren hat die 69-jährige zierliche blonde Frau die Tankstelle gepachtet, „aber so einen Einbruch hatten wir noch nie.“ Sie kann die Umsatzverluste der vergangenen Tage noch nicht in Prozenten beziffern. Aber ob sie ihren Angestellten und die vier Aushilfen weiter beschäftigen kann, weiß sie noch nicht. Und ob sie die mindestens dreieinhalb Jahre Zeller-Bock-Sperrung mit ihrer Tankstelle überhaupt überleben wird? „Keine Ahnung“, sagt sie.
„Die Sperrung ist ein Nachteil für uns, denn wir gehen davon aus, dass die Kunden dann tendenziell gleich in die Stadt zum Einkaufen fahren und auf den Umweg in die Zellerau verzichten“, sagt Harald Johanni, Geschäftsleiter des Modehauses der Gebrüder Götz, die an der Mainaustraße ein großes Haus mit rund 10 000 Quadratmetern Verkaufsfläche betreiben. Er schätzt die Umsatzeinbußen bei den Kunden, die sonst aus dem Bereich Main-Spessart bei Götz einkauften, auf rund 20 Prozent. „Außerdem fallen auch noch die Spontankäufer aus dem Pendlerverkehr weg“, so der Geschäftsleiter.
Gunther Schunk, Leiter Kommunikation und Corporate Marketing bei Vogel Business Media in der Mainaustraße: „Die Sperrung wird aus meiner Sicht unsere Geschäfte nicht beeinträchtigen. Unsere Besucher kommen entweder mit dem Zug oder dem Auto, die haben dann ein Navigationsgerät im Wagen oder fahren das letzte Stück mit dem Taxi.“ Beeinträchtigungen sieht Schunk natürlich für diejenigen der 450 Mitarbeiter am Standort Zellerau, die in Zell, Margetshöchheim oder Hettstadt wohnen und bislang über den Zeller Bock zu Arbeit gekommen sind. „Die müssen jetzt außen herum fahren“, sagt Schunk.
Jürgen Deckert ist Marktleiter beim Edeka C+C-Großmarkt in der Mainaustraße, zu dem auch eine günstige Tankstelle gehört. „Seit dem Wochenende ist der Tankverkehr deutlich geringer geworden“, sagt er. Dies sei allerdings zum Ferienanfang normal, aber Deckert erwartet nach der Sperrung des Zeller Bockes auch langfristig einen deutlichen Geschäftsrückgang. „Das wird auf jeden Fall weniger, davon gehe ich aus, wir sind ja hier jetzt praktisch am Ende einer Sackgasse.“ Er blickt nicht gerade frohgemut in die Zukunft: „Da geht in der Zellerau mit Sicherheit einiges kaputt.“
Otto Robanus betreibt den Getränkemarkt in der Dr.-Maria-Probst-Straße. Noch sieht er die Sperrung gelassen. In den Osterferien laufen die Geschäfte sowieso etwas ruhiger. Er hofft, dass seine Kunden aus den Nachbargemeinden Zell und Margetshöchheim ihm auch weiter die Treue halten. Ob diese Treue allerdings fast vier Jahre hält?
„Viele Autofahrer nehmen die Strecke zum Zeller Bock noch aus alten Gewohnheit. Die drehen dann an den Warnschildern und kommen in die Frankfurter Straße zurück“, schildert Matthias Keller, Inhaber von Worldflowers auf dem ehemaligen Opel-Gelände, die Situation. Auswirkungen für die Zukunft fürchtet er schon: „Die Kunden aus Leinach, Zellingen und dem Bereich Main-Spessart werden wohl auf Dauer wegbleiben. Der Weg zu meinem Geschäft ist für die dann ja eine halbe Weltreise.“ Zusätzliche Abschreckung sei der fast schon tägliche Stau in der Mainaustraße und an der Brücke der Deutschen Einheit.
Sein Nachbar auf dem Opel-Gelände ist Jörn Greulich vom gleichnamigen Kaminofenstudio. „Dramatisch“ nennt er die Straßensperrung. „Mir fehlen die Kunden, die sonst an meinem Geschäft vorbeigefahren sind.“ Und 60 Prozent seiner Produkte hat Greulich bisher in die Gemeinden Zell, Leinach, Veitshöchheim und Karlstadt verkauft. Um diese Kunden muss er jetzt fürchten. Erste Maßnahmen hat schon ergriffen. „Nachts bleibt die Beleuchtung aus, da fährt ja keiner mehr.“ Und die Entscheidung, einen Verkäufer zu entlassen, hat die Sperrung der beliebten Würzburger Zufahrtsstraße für ihn leichter gemacht.
Die Kunden des Staubsauger-Centers Klüpfel in der Frankfurter Straße kommen gezielt zum Laden. „Doch wer vorbeifährt, sieht unser Geschäft und das ist trotz der ganzen anderen öffentlichen Werbung natürlich wichtig“, sagt Mitinhaberin Petra Klüpfel. Und jetzt sieht sie schon wesentlich weniger Autos am Staubsauger-Center vorbeifahren. Sie selbst kommt aus Erlabrunn und hat jetzt einen weiteren Weg zur Arbeit. „Mich nervt das alles gewaltig“, ärgert sich die Geschäftsfrau. „Vor allem, dass die Stadt in acht Jahren nichts voranbringt.“
Baustelle Zeller Bock – eine Chronik
Nach alten Aufzeichnungen verlief die Trasse des Zeller Bockes früher als „Zeller Steige“ etwas höher. Die heutige Streckenführung wurde zwischen 1770 und 1780 gebaut.
1928/29 friert im strengen Winter die Wasserleitung unter der Straße auf, 1974 platzt die aus dem Jahr 1899 stammende Hauptwasserleitung in Höhe des Schifferkinderheimes und rund 200 000 Liter Wasser unterspülen die Straße. 1982 platzt das Uralt-Gussrohr erneut. 4. Juni 1984: Das 60 Zentimeter starke Rohr platzt wieder. Drei Wochen später war der Bock wieder einspurig befahrbar, doch ab nun für Laster über 7,5 Tonnen gesperrt. 24. November 1984: Das Rohr platzt erneut, doch schon am 1. Dezember ist die Strecke wieder frei. Die ins Maintal verlegte Wasserleitung geht in Betrieb.
Oktober 1985: Die 1,4 Millionen DM teure Sanierung der maroden Stützmauern beginnt, rund 100 Betonpfähle werden bis zu sieben Meter tief in den Untergrund eingelassen.
Dezember 1986: Die Straße ist wieder in beiden Richtungen ungehindert befahrbar. Februar 2002: Eine Stützmauer auf der Bergseite der Trasse stürzt ein, Teile des Hanges rutschen auf die Fahrbahn. Der Verkehr am Zeller Bock fließt seitdem nur noch einspurig. 2. Oktober 2002: Der Bebauungsplan für die Trasse wird aufgestellt mit einer Planung, die noch den Schwerlastverkehr beinhaltet. April 2005: Ein Paukenschlag, die Verwaltung zieht ihre Bock-Pläne zurück. Begründung: Gegen den Ausbau der Trasse habe sich breiter Widerstand der Bürger formiert. Und: Es gebe keine zufriedenstellende Lösung, die staatliche Forderung, den Bock für den Schwerlastverkehr zu öffnen und den Wunsch der Stadt, die 7,5-Tonnen-Beschränkung aufrecht zu erhalten, unter einen Hut zu bringen. Juli 2007: Die Stadt bittet das Innenministerium zu prüfen, ob aus Gründen des Denkmalschutzes die Lkw-Beschränkung auch nach dem Ausbau der Straße bleiben kann, ohne dass dies der staatlichen Förderung schadet. September 2007: Innenminister Günther Beckstein antwortet: in besonders gelagerten Fällen sei das möglich. Februar 2008: Die Denkmalschützer teilen der Stadt mit, dass die alten Klostermauern entlang der Straße zum Kloster Oberzell gehören. Einer Beseitigung beim Neubau der Trasse könne nicht zugestimmt werden. Die Beschränkung auf 7,5 Tonnen wird empfohlen, um die Mauern zu schützen. Februar 2008: Zum Höhepunkt des OB-Wahlkampfes zwischen Pia Beckmann (CSU) und Georg Rosenthal (SPD) kommt CSU-Innenminister Joachim Herrmann nach Würzburg und verkündet, dass die Stadt trotz einer Tonnagebeschränkung am Bock Zuschüsse für den Neubau bekommen wird. Juli 2008: erneuter Mauereinsturz. August 2008: Abstimmung des Vorgehens und der Planung mit der Regierung; es werden Varianten im Bereich der Mainaustraße geprüft, unter anderem ein Kreisverkehr. Oktober 2008: Der Stadtrat beauftragt die Verwaltung, ein Planfeststellungsverfahren zum Ausbau der Trasse zu beantragen. Es soll weiterhin keine freie Fahrt für Brummis geben, die Straße soll zwei Fahrspuren und einen kombinierten Geh- und Radweg haben. Februar 2009 bis Oktober 2009: Abstimmungen und Gespräche mit den Anliegern, den Denkmalschützern, der Nachbargemeinde Zell und dem Staatlichen Straßenbauamt. November 2009: Die Stadt bekommt die schriftliche Zustimmung zur Planung von den Anwohnern bis auf einen. Januar 2010: die Gemeinde Zell stimmt den städtischen Planungen nicht zu, der Radweg ende im Nichts, heißt es. 26. März, 15 Uhr: Die Sperrung ist der vorläufige Schlusspunkt in der Geschichte des Zeller Bocks.