Die 60er Jahre standen auch in Würzburg unter dem Zeichen der endgültigen Versöhnung zwischen Siegern und Besiegten. In der heißen Phase des kalten Krieges wurden aus Besatzern Freunde, zuweilen Fällen sogar Ehemänner oder -frauen. Wenn in den sechziger Jahren das Wort Volksfest in Würzburg fiel, dann dachten viele nicht wie heute nur an das Kiliani-Volksfest auf der Talavera. Gerade Schleckermäulchen kam dabei zuerst das Eis auf dem Deutsch-Amerikanischen Freundschaftsfest in den Leighton–Barracks in den Sinn. Seit 1954 wurde stets im Mai auf der „Skyline“ und anfangs auch dem Giebelstädter Flugplatz die wachsende beiderseitige Freundschaft zelebriert.
„Das war eine unheimlich wilde Zeit, in der die deutsch-amerikanische Freundschaft entstand und gepflegt wurde“, erinnert sich Willi Lowinger, dessen Vater von Anbeginn im Jahr 1954 das Fest in den Leihton–Barracks organisiert hatte, und vom dem er den „Job“ später auch übernahm und bis zum letzten Fest 2006 weiterführte. „Alle sind da hochgekommen und wollten einen Soldaten kennenlernen und die Amis sehen, die damals ja schon alles hatten. Deutschland befand sich noch in der Aufbauphase nach dem Krieg und dort gab es Familien, die hatten vier Autos“, erinnert er sich.
„Die Ice-Cream war für viele Jahre der Renner und die amerikanische Musik, damals mit Bill Haley oder Elvis Presley, das war die Diskothek der Jugend, die Soldaten-Clubs hatten auch für die Deutschen bis 6 Uhr früh geöffnet“, weiß er. Einmal habe es als Sonderveranstaltung einen Wettbewerb im Dauerküssen gegeben. „Da standen die Mädchen zu Hunderten in der Schlange und haben sich hinterher in ein Buch eingetragen, dass sie dabei waren. Der Gewinner hat fast 36 Stunden durchgehalten aber den Weltrekord dann doch nicht geknackt“, sagt Lowinger. „Heute würde man sagen, lass das, da holst Du dir eh nur Herpes“, lacht er.
In den 60ern herrschte Dankbarkeit
Damals sind Freundschaften entstanden, die bis heute anhalten“, berichtet der 65-Jährige, dessen Frau Gabriele einmal bei dem Fest zusammen mit einem amerikanischen General im Heißluftballon startete. „Der Wind ging gen Osten und so mussten sie notlanden, bevor es über die Zonengrenze ging, das wäre sonst ein Ding gewesen“, sagt er. Das „Ami go home“ sei erst in den 70ern aufgekommen. „Aber in den 60ern herrschte noch Dankbarkeit gegenüber den Amerikanern.“
Die Berührungsängste waren nicht einmal 20 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges deutlich geringer, als sie es später mit dem amerikanischen Engagement in Vietnam wurden. 1960 war ein gigantisches Geschütz namens „Atom-Anni“ einer der Höhepunkte der Feierlichkeiten, berichtete der Chronist, „Anni“ war ein 28-Zentimeter-Langrohrgeschütz auf einer fast 30 Meter langen Lafette, das seine fünfeinhalb Zentner schweren Atomgranaten rund 30 Kilometer weit schießen konnte.
Auch die „Honest-John“-Raketen genossen damals die Aufmerksamkeit der Würzburger und der Presse, obwohl oder gerade weil auch sie mit nuklearen Sprengköpfen ausgerüstet werden konnten. Dezent verschwiegen hat der Chronist jener Zeit zur Sicherheit die Reichweite dieser Raketen: gerade mal etwas über 18 Kilometer konnten diese Raketen ihre atomare Fracht mit bis zu zehn Kilotonnen TNT Sprengkraft nur tragen.
Wären damals die die Streitkräfte des Warschauer Paktes genau so in der Bundesrepublik einmarschiert wie 1968 im Prager Frühling in ihr sozialistisches Bruderland Tschechoslowakei, von Giebelstadt wären gerade einmal Kitzingen oder die Leighton-Barracks selbst in Reichweite der Atomsprengköpfe gewesen. Den Würzburgern war's aber egal. Sie kamen, sahen und staunten.
Im Laufe der Jahre rückte trotz klassischer Konzerte im Residenz-Garten, gemeinsamer Tennis- oder Bowling-Turniere und zahlreicher anderer gemeinsamer Veranstaltungen immer mehr der Volksfest-Charakter in den Mittelpunkt des Geschehens. Ice-Cream, Rock'n'Roll und Burger lockten einfach mehr als Panzer und Raketen.
Aus Waffenschau wurde Volksfest
Welchen Stellenwert die Freundschaftswoche in der Bevölkerung damals genoss, zeigt die Eröffnung 1966, zu der gut 3000 Neugierige in den Veitshöchheimer Hofgarten strömten. 1969 war Schluss mit dem herumklettern auf Panzern und Raketen, „erstmals ohne Waffenschau“, schrieb der Chronist, blieb eine Erklärung aber schuldig. Aus der Zurschaustellung militärischer Macht war ein Volksfest geworden und 1970 – so ändern sich ganz schnell die Zeiten - hieß es in der Zeitung über die Eröffnung: „Wären die Ehrengäste nicht gewesen, wäre die Kulisse bei der Eröffnung doch zu dürftig gewesen“; nichts war es mehr mit 3000 Schaulustigen.
Bis zum Jahr 2006 wurde auf der Skyline mit Eis und Burgern gefeiert, mit Ausnahme der Jahre 2002 bis 2005 nach dem ersten Golfkrieg. Nachdem im Januar 2009 die Amerikanischen Truppen in Würzburg endgültig ihre Fahne eingeholt haben, wird das Deutsch-Amerikanische Freundschaftsfest dennoch für immer ein Stück Stadtgeschichte bleiben – mit vielen schönen Erinnerungen.
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