Es gibt Menschen, die auch im hohen Alter aus einem schier unendlichen Energiereservoir schöpfen. Fragt man sie nach der Quelle ihrer Kraft und positiver Ausstrahlung, verweisen diese Menschen gerne auf die Erfüllung, die sie in ihrem Tun noch finden. Erwin Hanft ist so ein Mensch. Vor wenigen Tagen wurde er 90 Jahre alt. Und bis heute ist er Vorstandsvorsitzender der Stiftung Offene Behindertenhilfe – ehrenamtlich.
„Im Prinzip“, sagt Nikolaus Peter Hasch als einer von zwei Stellvertretern, „ersetzt er einen hauptamtlichen Geschäftsführer.“ Fünf Heime für Behinderte hat Erwin Hanft, Mitbegründer der Stiftung im Jahr 1984, sozusagen als Gratis-Bauleiter errichtet, 134 Wohnplätze sind damit in Würzburg entstanden – in der Ruppertsgasse, im Unteren Weg, im Sterntalerweg (alle Heidingsfeld), in der Friedrichstraße. Erst im Frühjahr wurde das letzte „seiner“ Wohnheime bezogen, in der Dr.-Maria-Probst-Straße in der Zellerau, gegenüber dem DAV-Kletterzentrum.
Freude und Respekt
Auf vier Etagen leben hier 24 Bewohner mit Behinderung, sie arbeiten in den Mainfränkischen Werkstätten. Wenn Erwin Hanft – nicht ohne Stolz – durch die hellen, freundlichen Räume führt, sind Freude und Respekt greifbar: Er ist eine Instanz, wird gegrüßt, erhält Schulterklopfer von allen Seiten. „Behinderte“, das hat Hanft über die Jahre erlebt, „sind viel dankbarer als Nicht-Behinderte.“
Ist das sein Antrieb? Das Glück der anderen? Er würde es kaum zugeben. Das fordert die Bescheidenheit. Hanft ist gut damit gefahren. Und so meint er nur: „Es macht mir Spaß. Ich will ja nicht nur Kreuzworträtsel lösen.“ Hanft hat Kniffligeres zu erledigen. Als Bauherr für die Stiftung verhandelte er bis vor kurzem mit Architekten, überwachte den Baufortgang, monierte Baumängel, organisierte die Betriebsabläufe, machte die komplette Abrechnung. Einen Computer benötigte er dafür nicht. Stift und Papier reichen. „Seine Rechenkünste und seine Hartnäckigkeit sind regelrecht gefürchtet“, sagt Stellvertreter Hasch.
Nun ist Erwin Hanft 90 Jahre alt geworden und denkt doch tatsächlich über einen Abschied aus dem Amt nach. Er ist fit, dreimal pro Woche kann man ihn im Fitness-Studio antreffen. Doch ein sechstes Wohnheim wird er nicht mehr bauen, „das habe ich meiner Frau versprochen.“ Mit der 77-jährigen Marianne ist er in erster Ehe verheiratet. Sie haben einen Sohn – er ist Pilot wie einst der Vater – und eine behinderte Tochter. Durch sie kam Hanft einst zur Lebenshilfe, aus der später die Stiftung ausgegründet wurde. Selbst anzupacken statt auf andere zu warten – das war für den Jubilar immer ein wichtiger Grundsatz. „Die Generation von heute“, so seine Beobachtung, „ruft viel schneller nach dem Staat.“
Hanft hat früh gelernt, Verantwortung zu übernehmen. Aufgewachsen als eines von vier Geschwistern in Münnerstadt, besucht er dort das Gymnasium, macht nach dem Abitur den Pilotenschein und wird mit 19 Jahren in den Krieg geschickt. Im August 1944 wird er – mit 130 Fallschirmjägern an Bord – in Rumänien abgeschossen. Er muss notlanden, bringt die Maschine samt Besatzung aber heil auf den Boden. Fünf Jahre verbringt er in russischer Kriegsgefangenschaft und kehrt im September 1949 nach Münnerstadt heim.
Nach dem Volkswirtschaftsstudium an der Uni Würzburg fängt er 1953 bei der damaligen Landeswohnungsfürsorge und späteren Landeswohnungs- und Städtebaugesellschaft Bayern (LWS) an – zunächst als Sachbearbeiter, steigt jedoch schnell auf und leitet bis 1986 die LWS in Unterfranken. Von 1965 bis 1992 ist er auch Geschäftsführer der gemeinnützigen Wohnungsgesellschaft Franken.
Ehrenring der Stadt
Über seine berufliche Tätigkeit weiß er mit Bauprojekten umzugehen. Viele Ruinen in Würzburg hilft er nach der Zerstörung im März 1945 wieder aufzubauen. Auch dafür wird ihm die Stadt später den Ehrenring verleihen. Als Vater einer Tochter mit Behinderung nimmt er am 4. November 1972 an einer Mitgliederversammlung der Lebenshilfe Würzburg teil. Ein weichenstellendes Datum. Er erinnert sich: „Ich war doch nur als Zuhörer dort und habe gleich ein Amt bekommen.“ Hanft wird zum Schatzmeister gewählt. Man baut auf seinen wirtschaftlichen Sachverstand.
Bis 1993 bleibt er im Vorstand der Lebenshilfe. So lange – insgesamt 20 Jahre – ist er auch als ehrenamtlicher Geschäftsführer für die Mainfränkischen Werkstätten im Einsatz. Seine größte „Herzenssache“ aber ist die 1984 aus der Taufe gehobene Stiftung Offene Behindertenhilfe. Sie ist sein Kind und die finanzielle Voraussetzung für den Bau der fünf Wohnheime, die bis 2011 folgen. Das nunmehr jüngste in der Zellerau wird künftig an ein bemerkenswertes Lebenswerk erinnern: In Anerkennung seiner Verdienste hat die Stiftung Offene Behindertenhilfe dem Wohnheim den Namen „Haus Erwin Hanft“ gegeben.