„Deutsche Volksgenossen! Mittwoch, den 19. Nov., abends 8 Uhr soll im Würzburger Stadttheater das Moskauer jüdische Theater Habima auftreten. Protestiert mit uns gegen diese Kulturschande!“ Diese Sätze waren der Aufmacher eines – nicht genehmigten - Flugblattes der Nationalsozialisten, das sie am Morgen des 19. November 1930 in der gesamten Würzburger Innenstadt, vor allem aber an der Universität, verteilten. Am Abend stand im Stadttheater das Stück „Dibbuk“ der aus Moskau kommenden jüdischen Theatergruppe „Habima“ auf dem Programm, das bereits bei vorigen Aufführungen in anderen Städten großen Anklang gefunden hatte.
Was am Abend folgte, sollte später als eines der dunkelsten Kapitel in die Würzburger Vorkriegsgeschichte eingehen.
Antisemitische Parolen
Bereits um 19.30 Uhr hatten sich mehrere hundert Personen vor dem Theater versammelt, die lautstark antisemitische Parolen wie „Deutschland erwache, Juda verrecke“ skandierten. Als die ersten Theatergäste ankamen, wurden sie laut beschimpft und hatten Probleme, überhaupt ins Gebäude zu gelangen, da die gewalttätigen Antisemiten dies ebenfalls versuchten. Nur mit Mühe konnten sie von der Polizei davon abgehalten werden. Danach warfen die Demonstranten mit Stöcken und Steinen gegen die Fenster des Theaters, wobei auch Polizisten verletzt wurden.
Erst nachdem die Polizei Verstärkung erhalten hatte, konnte das Theaterstück verspätet starten und die Demonstranten konnten vom Vorplatz des Theaters zurückgedrängt werden. Auch danach wurden die Polizisten weiter angegriffen. Durch Schaulustige wuchs die Menge vor dem Theater auf über 1000 Menschen an. Auch die Pöbeleien hielten an; so wurde Oberbürgermeister Hans Löffler, der am Theater erschien, als „Judenbürgermeister“ beschimpft.
Nach dem Ende des Theaterstücks gegen 23.30 Uhr waren zwar die Straßen um das Theater abgeriegelt; Theaterzuschauer, die durch diese Straßen nach Hause gehen wollten, wurden dort allerdings erneut von Randalierenden körperlich angegriffen und als „Saujuden“ beschimpft. Mehrere Besucher wurden von einer besonders gewalttätigen Gruppe Antisemiten mit Schlägen ins Gesicht und Tritten teilweise schwer verletzt. Die Gewalttätigkeiten dauerten noch bis in die tiefe Nacht hinein an.
Vorwürfe im Stadtrat
Der Würzburger Stadtrat befasste sich am folgenden Tag mit den Ausschreitungen am Stadttheater. Teilweise wurden Vorwürfe laut, die Polizei habe versagt. Auch die Würzburger Ortsgruppe des „Central-Vereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“ klagte über einen unzureichenden polizeilichen Schutz. Bei ihm hatten sich zwölf Bürger gemeldet, die Opfer gewalttätiger Angriffe geworden waren. In den verschiedenen Würzburger Zeitungen erschienen mehrere empörte Berichte über den „Nazi-Skandal am Würzburger Stadttheater“. Ein Blatt sprach gar vom „Bankrott der Ordnung in Würzburg“.
Als am 3. Februar 1931 der Gerichtsprozess vor dem Landgericht Würzburg begann, wurde wegen des großen öffentlichen Interesses das Justizgebäude von einem großen Polizeiaufgebot gesichert. Insgesamt waren elf Verdächtige wegen Landfriedensbruchs angeklagt. Zur Verhandlung waren außerdem insgesamt 51 Zeugen (darunter auch der Oberbürgermeister) geladen, weshalb diese auf fünf Tage angesetzt war.
Während des Prozesses stellte sich heraus, dass es dem Gericht teilweise nicht mehr möglich war, die nächtlichen Vorfälle vor dem Stadttheater zuverlässig nachzuvollziehen. Der Staatsanwalt zeigte zudem in seinem Plädoyer Verständnis für die Demonstranten und forderte mildernde Umstände: Das„Motiv der Zusammenrottungen“ sei „ursprünglich kein unehrenhaftes, nämlich der Protest gegen das Auftreten der ausländischen Spielertruppe“. Auch der Vorsitzende Richter fragte in seiner Urteilsbegründung, ob in Anbetracht der schlechten wirtschaftlichen Lage in Deutschland ein Gastspiel einer ausländischen Theatergruppe nicht besser unterblieben wäre.
Dementsprechend fiel auch das Urteil eher mild aus: Zwei Angeklagte wurden aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Fünf Angeklagte erhielten überwiegend wegen „groben Unfugs“ Geldstrafen von 50 bzw. 100 Mark. Nur vier Angeklagte wurden schließlich wegen Landfriedensbruchs zu Haftstrafen zwischen einem und vier Monaten verurteilt.
Während die Würzburger Lokalpresse deutlich härtere Urteile und vor allem eine Anklage der nationalsozialistischen Drahtzieher forderte, sprach die nationalsozialistische Presse von einem „Skandalprozess“ und drohte Vergeltung an: Man wolle sich „auch dieses Urteil recht gut merken“.
Am 30. Januar 1933, keine zwei Jahre später, wurde Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt.
Zu den Autoren: Fabian und Oliver Mehling (13 und 15 Jahre) wohnen in Höchberg und besuchen das Deutschhaus-Gymnasium. Im Schuljahr 2010/2011 nahmen die Brüder gemeinsam am Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten zum Thema „Ärgernis, Aufsehen, Empörung: Skandale in der Geschichte“ teil. Für ihre in der Freizeit erstellte Arbeit zum Habima-Skandal wurden sie als Bayerische Landessieger ausgezeichnet. Auf Bundesebene erhielten sie einen zweiten Preis. Bei der Bundespreisverleihung am 18. November durch Bundespräsident Christian Wulff in Berlin war das Deutschhaus-Gymnasium als erfolgreichste Schule Bayerns dabei.