Der Schock sitzt tief. Angesichts der riesigen Holzhaufen und heftig zusammengestutzter Baumstämme, die demnächst auch noch fallen, will die Kritik aus der Bevölkerung an der Fällaktion von 40 bis 50 Jahre alten Pappeln nicht verstummen. Immerhin gibt es auch ganz persönliche Betroffenheiten. Unter den Kandidaten, die jetzt den Motorsägen zum Opfer fallen, sind auch Bäume, die vor 40 Jahren von Bürgern zur Begrünung der Mainwiesen gestiftet wurden.
„Betroffen“ äußerte sich jetzt Peter Schmidt, der im Rahmen einer Initiative der Stadt Anfang des Jahres 1972, als Klaus Zeitler als Oberbürgermeister regierte, zur Geburt seines ersten Sohnes den Baum Nummer 1 am Mainufer bei Kloster Himmelspforten spendete. In diesen Jahren galt Zeitler in der Bevölkerung als der „grüne Klaus“, weil er sich in Sachen Stadtgrün ziemlich fortschrittlich gezeigt hatte. In den späteren OB-Jahren Zeitlers wurde eine vorbildliche Infrarot-Kartierung des Baumbestandes verfasst.
Schmidt hatte mit seiner Familie die Stadt zwischenzeitlich verlassen, mit seiner Pappel aber Wurzeln hinterlassen. Vor einiger Zeit kam er mit seiner Frau zurück nach Würzburg, um hier den Lebensabend zu verbringen. Da traf ihn jetzt die Nachricht von der städtischen Holzaktion am Mainufer. Anhand von Bildern konnte er den Standort seines Baumes nachvollziehen. Er ist unter den „Todeskandidaten“. Der Baum wurde übrigens auch dokumentiert. Denn der damalige Pressechef des Rathauses Bruno Rottenbach hatte für den ersten Baum der Gemeinschaftsaktion der Stadt mit dem Verschönerungsverein zu einem Pressetermin ins Rathaus eingeladen.
Verärgert ist Peter Schmidt nicht. Im Gegenteil: Er möchte, um mit der Stadt weiter „verwurzelt“ zu bleiben, bei einer Neupflanzung über eine vergleichbare Baum-Scheck-Aktion dabei sein. In die Diskussion, ob die Fällaktion wirklich notwendig ist, möchte er sich nicht einmischen. Diese Auseinandersetzung wird aber weitergehen, weil heuer erst 50 von insgesamt 150 Pappeln gefällt werden sollen. Baumfreunde werden zu retten versuchen, was zu retten ist.
Ein kompetenter Vertreter jener, die glauben, dass die Stadt mit ihrer Radikalkur zu weit geht, ist Peter Nembach. Er ist Würzburger mit einem Fachbüro in der Sonnenstraße, studierter Forstwissenschaftler, hat sich auf die Beurteilung von Bäumen und die Baumpflege spezialisiert. Er erstellt bundesweit Baumgutachten und ist in Gremien tätig, in denen es auch um Rechtssicherheit für die Kommunen geht.
Nembach hat einen Kahlschlag „in dieser Heftigkeit noch nirgends erlebt“. Diesen mit Grünastabwurf speziell dieser Pappelart zu rechtfertigen, ist für ihn nicht haltbar. Bei einer Reihe anderer Baumarten, wie auch der Pyramidenpappel oder der Robinie, gebe es im Alter immer Holzabwurf. Es stimme auch nicht, dass in den Grünanlagen am Main ständig Äste abfallen. Er sprach von einer „Pappel-Hysterie“, die durch manche Städte geistere.
„Es ist nicht auszudenken, welche Vorwürfe die Stadt hätte einstecken müssen, wäre Frau oder Kind etwas passiert.“
Christian Weiß Pressesprecher der Stadt
Nembach räumt ein, dass ein Baum nie konfliktfrei ist. Das rechtfertige aber nicht einen solchen Kahlschlag. Der sei übertrieben. Das Alter der Pappeln allein berechtige nicht zum Abholzen, sagt Nembach. Die Bäume seien gesund. Ein Rückschnitt könne sie „verkehrssicher machen“. Nembach räumt ein, dass die Mainwiesen sehr intensiv von der Bevölkerung genutzt werden, was sehr hohe Anforderungen an die Sicherheit stellt. Deshalb sollten die Bäume mindestens ein Mal im Jahr kontrolliert werden.
Weil sich die Stadt auf die Rechtsposition der Sicherheit zurückziehe, erklärt Nembach, dass die Gerichte inzwischen in dieser Beziehung sehr viel baumfreundlicher geworden seien. Rest-Risiken würden immer mehr toleriert. Die Städte müssten vielmehr aufpassen, dass sie bei der Baumschutzverordnung nicht mit zweierlei Maß messen und dem Bürger etwas verbieten, was sie sich selber zugestehen.
Mit solchen Argumenten konfrontiert sehen die Verantwortlichen in der Stadtverwaltung nach wie vor keine andere Lösungsmöglichkeit als das Fällen der Bäume. Aus Sicherheitsgründen könne man in einer dermaßen von Publikum benutzten Zone nicht mehr anders handeln, erklärte Pressesprecher Christian Weiß. Die Stadt habe sich zu dieser Frage schon 2005 vom vereidigten Büro Roland Dengler in Lauf ein Gutachten eingeholt. Darin wurde der Stadt eindeutig nahe gelegt, dass sie „aufgrund der Menge an bislang stattgefundenen Astausbrüchen“ schon aus haftungstechnischen Gründen sehr rasch tätig werden muss. Einer dieser Äste war neben einer Frau mit Kinderwagen auf den Boden gekracht. „Es ist nicht auszudenken, welche Vorwürfe die Stadt hätte einstecken müssen, wäre Frau oder Kind etwas passiert“, so Weiß. Das Risiko am Graf-Luckner-Weiher war besonders hoch gewesen. Der Spenderbaum am Kloster Himmelspforten steht gefährlich nahe zu einem Kinderspielplatz.
Die Stadt führt derzeit ein Baumkataster über 40 000 Bäume, das permanent fortgeschrieben wird, so der Rathaussprecher. Rund 20 000 Bäume stehen unter ständiger Beobachtung und werden je nach Sicherheitsrisiko sogar mehrfach jährlich kontrolliert.