Immer deutlicher werden gerade am 16. März, dem Tag der Zerstörung Würzburgs im Zweiten Weltkrieg, die Hinweise auf neue Formen der Gedenk- und Erinnerungskultur in der Stadt. Dies zeigte sich bei den Redebeiträgen einer vorabendlichen Gedenkstunde im Rathaus, noch viel deutlicher aber als anschließend in der Augustinerkirche des traumatischsten Tages in der Würzburger Stadtgeschichte, so Oberbürgermeister Georg Rosenthal, gedacht wurde.
In seiner Ansprache im Rathaus stellte der OB einen Zusammenhang zwischen dem 9. November 1938, als ein Mob die jüdische Synagoge in der Domerschulstraße zerstörte, und dem 16. März 1945, dem Tag des Bombenangriffs, der Würzburg fast völlig zerstörte, her. Beides seien Folgen des Aggressionswahns der Nationalsozialisten: „Der Krieg ging von Deutschland aus, bevor er nach Deutschland zurück kam“, so Rosenthal.
Heute gelte es aus diesen Erkenntnissen die Lehren und Konsequenzen zu ziehen: Rassismus, Antisemitismus und die Diskriminierung von Minderheiten zu ächten und zu bekämpfen.
Rotraud Ries, die Leiterin des Johanna-Stahl-Zentrums für jüdische Geschichte in Unterfranken, die ist, machte sich Gedanken über das unterschiedliche kollektive Gedenken an den 16. März. So sei das Gedenken an die Opfer der Shoa anfangs auf die kleine jüdische Gemeinde beschränkt gewesen. Indessen sei seitens der Würzburger Bürgerschaft ein Zusammenhang zwischen jüdischen und nichtjüdischen Opfern nicht hergestellt worden. Während die Stadt um fünf Prozent ihrer Bevölkerung trauerte, seien in der jüdischen Gemeinde kaum noch Menschen übrig gewesen, die ihrer Opfer hätten gedenken können. Erst David schuster, der damalige Vorsitzende der jüdischen Gemeinde, habe dann die Verkrustungen zwischen Juden und Nichtjuden aufgebrochen und ein Klima der gegenseitigen Toleranz geschaffen.
Aus der Sicht von Ries hat die Stadt Würzburg 1945 ihr Fundament verloren. Der 16. März 1945 habe deshalb auch heute noch so eine große Bedeutung, weil er einem neuen Gründungsmythos gleiche. Diesen müsse man durch neue Formen des Gedenkens überwinden, um an frühere historische Wurzeln anknüpfen zu können. Man müsse den Blick wieder öffnen und sowohl die reiche Geschichte vor 1933 als auch die Zukunft einbeziehen. Die jüdische Gemeinde habe das Trauma der Shoa besser überwunden, weil sie ihr Selbstverständnis nicht nur aus den zwölf Jahren ihrer Verfolgung und Vernichtung zieht.
Eine ganz neue und ungewohnte Form der Gedenkkultur bot anschließend der Berliner Vokal- und Performancekünstler Christian Wolz bei der Gedenkveranstaltung in der Augustinerkirche. Rund 500 Besucher wagten eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Gefühlshaushalt. „Emotion 15“ war eine Kombination von Komposition und Improvisation, die Verbindung eigener entwickelter Vokaltechniken mit klassischen Musikstilen in 15 Sequenzen. Wolz inszenierte eine einstündige Meditation, die ganz tief in die eigene Psyche führen konnte oder zu Ungeduld und vorzeitigem Verlassen des Gotteshauses. Einige Besucher warteten denn auch nicht das Ende ab. Der Großteil aber lauschte versunken den Botschaften des Künstlers - stets dicht verwoben mit dem elektroakustischen Klangteppich.
Den Schlussakkord in dieser Nacht bildeten – dann wieder ganz traditionell – die Kirchenglocken der Stadt. In das Mahnläuten, das so lange dauerte wie vor 67 Jahren die Bombardierung Würzburgs, stimmte auch der Dom mit ein, dessen Glockenspiel aufgrund der Sanierung derzeit sonst schweigt.