Das Lied von der Glocke das Friedrich Schiller im Jahre 1799 veröffentlichte, einst in der Schule gelernt und längst vergessen, war gegenwärtig für rund 40 Eichelseer die sich auf Weg nach Passau machten, um dort in der Glockengießerei Perner den Guss ihrer neuen Glocken mitzuerleben.
Während der Busfahrt, die für die Teilnehmer mit einer kurzen Andacht mit Pfarrer Herbert Neeser (Ochsenfurt) begann, las Oberlehrer a.D. Gerhard Schwarz nicht nur dass bekannte Werk des deutschen Dichterfürsten vor, er berichtete auch von der Geschichte der Eichelseer Glocken.
Danach fielen bereits dem Ersten Weltkrieg (1914-1918) zwei Glocken zum Opfer. Eine weitere kleine, aus dem Jahre 1899 durch einen Umguss entstandene, Glocke blieb im Turm der St. Laurentius Kirche zurück. Im Jahre 1922 wurden zwei, aus Wolkshausen stammende Glocken angeschafft. Die läuteten gerade mal 20 Jahre lang, bevor sie im Zweiten Weltkrieg eingeschmolzen werden sollten. Sie landeten auf dem Hamburger „Glockenfriedhof“ und die Eichelseer hatten nicht dass Glück, dass sie ihr Geläut nach Kriegsende zurückbekommen haben.
Kaplan Otto Stolzenberger, der 1949 sein Wirken in dem kleinen Ort begonnen hat, ging mit großem Eifer daran, das Gotteshaus, das sich in einem desolaten Zustand befand, zu erneuern. Für die Eichelseer erschien es 1950 wie ein Glücksfall, dass die Pfarrgemeinde Herrieden bei Gunzenhausen ihr aus drei Glocken bestehendes Geläute zum Kauf anbot.
In Begleitung des Kirchenpflegers Kaspar Wehner fuhr der damalige Bürgermeister Ludwig Kinzinger nach Mittelfranken und machte den Kauf perfekt. Die Freude über den niedrigen Kaufpreis von 1350 DM schlug schon bald um in Enttäuschung über die minderwertige Qualität der zwei großen Glocken.
Das fachmännische Urteil brachte zutage, dass die aus Stahl- und Schrottteilen gegossenen Glocken klanglich von den kleineren Bronzeglocken sehr stark abfallen. Nachdem die Glocken 62 Jahre lang Freud und Leid der Bewohner im heutigen Ortsteil von Gaukönigshofen begleitet haben, setzte sich Kirchenpfleger Josef Weber für die Anschaffung neuer Glocken ein.
Der mit Spannung erwartete Guss „ihrer“ Glocken wurde zu einem Ereignis, das sich wohl jedem Fahrtteilnehmer im wahrsten Sinne des Wortes ins Gedächtnis eingebrannt hat. Zusammen mit der Glockensachverständigen der Diözese Würzburg, Katja Engert, drängten sich die Unterfranken mit zwei weiteren deutschen und je einer Besuchergruppe aus der Slowakei und Tschechien auf dem Hof der Glockengießerei Rudolf Perner.
Umgeben von Glocken in allen Größen bekamen die rund 140 Zuhörer von der Firmenmitarbeiterin Monika Stürze einen anschaulichen Einblick in die Vorarbeit die nötig ist für die Glockenfertigung: An einem Modell erklärte sie, wie feiner Lehm nach einem besonderen Rezept aus verschiedenen Lehmmehlen, Schamotten und Grafit in vielen Schichten dünn aufgetragen wird. Langsames Trocknen an der Luft ist wesentlich für die gute Oberfläche und genaue Abbildung der Ornamente.
Dieser feine Lehm wird mit starken Mantellehmschichten stabilisiert. Nach Wochen der Trocknung kann die so entstandene dreiteilige Form in ihre einzelnen Teile zerlegt werden. Die mittlere Form, die so genannte falsche Glocke, wird entfernt, Kern und Mantel wieder zusammengesetzt. Zwischen ihnen ist der Hohlraum für die Bronzeglocke entstanden. Diese hohle Glockenform wird nun in die Erde eingesetzt und der Glockenguss wird vorbereitet.
Herrschten in Passau schon im Freien sommerliche Temperaturen, war das noch angenehm gegen das, was die Besucher in der Werkshalle erwartete: Der große Ofen, der unablässig befeuert wird, strömte eine unwahrscheinliche Hitze aus. Zusammen mit dem Staub, der in der Luft liegt, wird das Atmen schwer und die Bewunderung für die Männer, die dort arbeiten, steigt immer mehr an. Dicht gedrängt stehen die Besucher vor dem massiven Flammofen. In dem wird das aus Kupfer und Zinn bestehende Gussmaterial auf eine Temperatur von 1200 Grad Celsius erhitzt. Von dem Ofen ausgehend sind Gusskanäle zu den einzelnen Glockenformen gelegt.
Von den Flammen rötlich angestrahlt, rühren die Männer in ihrer silbernen Hitzeschutzkleidung mit einem Fichtenstamm in der „Glockenspeise“, während andere noch dabei sind, die Kanäle zu reinigen. Plötzlich hört das geschäftige Treiben auf, das Gebläse ist abgeschaltet und Stille liegt in der Werkshalle: Der Guss beginnt.
Die Mitarbeiter versammeln sich in der Mitte vor dem Ofen, nehmen ihre Helme mit den großen Visieren ab und Glockengießermeister Rudolf Perner begrüßt die Besucher. Der Hinweis des Firmenchefs, dass die Zuschauer zurücktreten sollen, läuft ins Leere: Wie eine Mauer steht die hintere Reihe der Menschen, denen inzwischen der Schweiß ebenso in Strömen runter fließt wie den Arbeitern.
Es ist ein berührender Moment, in dem zunächst ein deutscher evangelischer Pfarrer gefolgt von dem slowakischen Geistlichen und dessen tschechischen Amtskollegen ihre Gebete sprechen, bevor Pfarrer Klaus König das Vaterunser beginnt. Dass die Eichelseer anschließend „Oh, himmlische Frau Königin“ anstimmen, lässt die Arbeiter erstaunt die Köpfe heben. Und dann hat das Warten auf das große Ereignis ein Ende.
Unter den neun Formen, die gefüllt werden sollen, sind zwei der Glocken, die in Kürze in Eichelsee läuten werden. Mit gemessenen Schritten geht ein Mitarbeiter auf den Ofen zu, um das Spundloch zu öffnen. Nach einigen dumpfen Schlägen schießt das brodelnde Metall wie glühende Lava durch die angelegten Kanäle und füllt nacheinander die in der Erde vergrabene Formen. Nach und nach werden die Schieber der einzelnen Gänge geöffnet und die rot glühende Masse in die Formen gelenkt.
Während die letzte Form noch voll läuft, werden die bereits gefüllten mit Kohle abgedeckt, die auf den Öffnungen weiterglüht. Nach rund einer Stunde ist der Guss für die Arbeiter erfolgreich abgeschlossen und für die Zuschauer endete der eindrucksvolle Blick in die Arbeitswelt einer uralten Handwerkskunst. Während zwei der drei neuen Glocken erst Tage später aus den nur langsam erkaltenden Formen aus der Erde geholt werden, konnten die Eichelseer die kleinste ihres neuen Geläutes bereits besichtigen.
„Dass sich Herz und Auge weide, an dem wohl gelungenen Bild“ heißt es in Friedrich Schillers Lied von der Glocke. So wohl gelungen und glänzend wie sie da steht, löst die kleine „Josefs-Glocke“ nicht nur Freude bei Josef Weber aus.
Auch Katja Engert, Gaukönigshofens Bürgermeister Bernhard Rhein und Gerhard Schwarz freuen sich über das Exemplar, das zusammen mit ihren „Schwestern“ am Sonntag, 15. Juli, um 10 Uhr, durch Generalvikar Dr. Karl Hillenbrand in Eichelsee geweiht werden wird.
Glockengießerei
Die Ursprünge der Glockengießerei liegen in Asien, wo die ersten Glocken aus Bronzelegierungen gegossen wurden. Die Jahrtausende alte Technik, hat sich bis in die heutige Zeit erhalten. In den Anfängen wurden Glocken durch Wandergießer zunächst bei den Kirchen und Klöstern gegossen, für die sie bestimmt waren. Die Dreiflüssestadt Passau ist seit mindestens 1144 Glockengießerstadt. In ungebrochener Tradition waren in Passau immer Glockengießer ansässig. Seit dem Jahr 1947 gießt Perner, von seinem Stammsitz in Pilsen und Budweis kommend, in Passau die Glocken. TEXT: HAG