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150 Jahre Fränkischer Sängerbund: Am Anfang war Walther von der Vogelweide

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150 Jahre Fränkischer Sängerbund: Am Anfang war Walther von der Vogelweide

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    Chorgesang als gesellschaftliches Großereignis: Über 5000 Sänger nahmen 1904 am X. Fränkischen Sängerbundesfest teil und huldigten auch dem Würzburger Männerchorkomponisten Valentin Becker.
    Chorgesang als gesellschaftliches Großereignis: Über 5000 Sänger nahmen 1904 am X. Fränkischen Sängerbundesfest teil und huldigten auch dem Würzburger Männerchorkomponisten Valentin Becker. Foto: Fotos (2): Stefan Römmelt

    Friedhelm Brusniak hat keinen Zweifel: „Würzburg hat für die Entwicklung des deutschen Chorgesangs eine ganz wichtige Rolle gespielt.“ Gerade hat der Inhaber des Lehrstuhls für Musikpädagogik an der Uni Würzburg eine Ausstellung zu „150 Jahre Deutscher Chorverband“ konzipiert, im Foyer der Frankfurter Paulskirche war sie zum Festakt des Verbandes unter dem Titel „Vom Freiheitskampf zur Freizeitgestaltung“ zu sehen. Und dass Würzburg an prominenter Stelle in der von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und mehreren Tausend Sängern aus Deutschland, Venezuela und China besuchten Jubiläumsschau vertreten war, liegt nicht nur daran, dass Brusniak hier lehrt.

    Die Geschichte des Chorgesangs und die Domstadt? „Ich denke da an das Erste Allgemeine Deutsche Sängerfest, das hier vom 4. bis 6. August 1845 stattgefunden hat“, sagt der Musikwissenschaftler und präsentiert einen zeitgenössischen Festbericht mit zwei Abbildungen. Sie zeigen das Tor zum Festgelände, das der im Lusamgärtchen begrabene Minnesänger Walther von der Vogelweide und der in Würzburg geborene Komponist Abbé Vogler flankieren, und die Front der aus Holz errichteten, mehrere Tausend Sänger fassenden Festhalle. „1508 Sänger aus ganz Deutschland kamen nach Würzburg, um hier in einer großen Festhalle im Hutten'schen Garten vor den Toren der Stadt gemeinsam zu singen und die musikalischen Beiträge der anderen Chöre mitzuverfolgen.“

    Ein Grund: die zentrale Lage der Stadt. Viele Besucher reisten mit dem Schiff auf dem Main an und wurden von den Würzburgern begeistert begrüßt. Als Festdirigent war Felix Mendelssohn Bartholdy vorgesehen, damals der populärste deutsche Chorkomponist. Doch als der Vertreter des Organisationskomitees den Musiker in Frankfurt aufsuchen wollte, stand Mendelssohn Bartholdy wegen einer schweren Krankheit nicht zur Verfügung. „So wurden die Aufführungen unter anderem von dem bekannten Männerchorkomponisten Valentin Becker dirigiert“, erzählt Brusniak. „Der Komponist des Frankenlieds war Stadtkämmerer in Würzburg.“ Entscheidend für das Gelingen sei die Kommunikation im Vorfeld des Fests gewesen. „Ganz wichtig für die Vorbereitung der Sängerfeste war auch die Erfindung der Lithografie“, sagt Brusniak. „Ohne diese preisgünstige und vergleichsweise unkomplizierte Reproduktionsmöglichkeit wäre eine effiziente Vorbereitung der Sängerfeste nicht möglich gewesen.“

    Das Würzburger Sängerfest von 1845 bewegte sich in einem starken Spannungsfeld: „Auf der einen Seite stand das taktische Erfordernis, sich an den monarchischen Partikularismus des bayerischen Staates anzupassen, und auf der anderen Seite das Bedürfnis, die oppositionellen Ziele der Nationalbewegung offensiv zu bekräftigen.“ Während die begeisterte Begrüßung der vom dänischen Nationalismus unter Druck gesetzten Teilnehmer aus Schleswig-Holstein die politische Dimension des „Nationalfests“ ausdrückte, befriedigten die monumentalen Festchöre das „artistische“ und das „moralische“ Bedürfnis der Sänger. „Eigentlich bietet das Jahr 2012 die perfekte Gelegenheit, hier an diesen chorhistorischen „Erinnerungsort“ mit einer Gedenktafel zu erinnern“, sagt der Musikpädagoge. „Das Würzburger Sängerfest war nämlich eine wichtige Station auf dem Weg zur Gründung des Deutschen Sängerbundes 1862 in Coburg.“

    Und auch in der Geschichte des ebenfalls 1862 gegründeten Fränkischen Sängerbundes nimmt Würzburg nicht nur wegen Valentin Becker einen besonderen Platz ein. Zum Forschungsteam Brusniaks gehört der junge Musikwissenschaftler Alexander Arlt, der als Archivar das Dokumentations- und Forschungszentrum des Deutschen Chorwesens in Feuchtwangen betreut. Arlt zeigt mehrere Ansichtskarten aus dem 20. Jahrhundert. Die „neuen Flugschriften“, wie Brusniak sie nennt, erinnern auch an längst vergangene Feste des Sängerbundes. So an das Zehnte Fränkische Sängerbundesfest, das vom 23. bis 25. Juli 1904 in Würzburg stattfand. Welche Bedeutung dem Treffen der Sänger von offizieller Seite beigemessen wurde, zeigt die Übernahme des „Protektorats“, also der Schirmherrschaft, durch Prinz Rupprecht von Bayern.

    „Zwei Publikationen, der „Führer durch das Zehnte Fränkische Sängerbundesfest“ und die „Fest-Schrift zum X. Fränkischen Sängerbundesfest“, zählen für uns zu den historisch wichtigen Quellen“, bemerkt Brusniak und blättert in der 176 Seiten zählenden „Fest-Schrift“. Neben einem vom damaligen Kreisarchivar Sebastian Göbel verfassten „kulturhistorischen Städtebild“ führt der Band die sechs an der Organisation beteiligten Würzburger „Bundesvereine“ mit insgesamt rund 2000 Mitgliedern auf. „Sängerfeste waren damals ein Massenphänomen, in den Dimensionen vielleicht vergleichbar mit den Fußballspielen heute.“

    Schon vor dem Großereignis von 1904 nutzten die miteinander konkurrierenden Würzburger Gesangvereine das Medium der Ansichtskarte, um präsent zu sein: Die 1897 zum 50. Stiftungsfest gedruckte Postkarte des Sängervereins zeigt nicht nur die Stadt vom Steinberg, sondern auch Würzburgs alte und neue Sehenswürdigkeiten. Auch das 50. Jubiläum des Würzburger Liederkranzes im Jahr 1899 wurde auf einer Postkarte verewigt: Zu sehen sind die „klassische“ Würzburg-Ansicht mit Main und Festungsblick und auch zwei damals beliebte Zentren der Geselligkeit: der bereits 1845 als Veranstaltungsort gewählte Hutten'sche Garten und der auf halbem Weg nach Höchberg gelegene Felsenkeller am Fuße des Nikolausbergs.

    „Ernsthafter“ gibt sich die Jubiläumskarte der Würzburger Liedertafel zum 60. Stiftungsfest am 13.und 14. Dezember 1902. Während die zum Standardrepertoire gehörige, von Weinreben umrankte Festungsansicht vom Main aus relativ klein ausfiel, dominiert eine Probe der Liedertafel im Jugendstilrahmen den linken Teil, und zwei Porträts flankieren die Lyra, das Symbol der Gesangvereine. Zwei Jahre später verewigten sieben Postkarten das von rund 5650 Sängern besuchte Zehnte Fränkische Sängerbundesfest Juli 1904. Das Großereignis gipfelte in einem Festzug und der Enthüllung des Valentin-Becker-Denkmals am Ringpark. „Eines der glanzvollsten Bundesfeste“, sagt Brusniak.

    Auf die musikalische Vergangenheit der Domstadt blickte eine Postkarte zurück, auf der Minnesänger Walther von der Vogelweide im Begriff ist, von einer weiß gekleideten Ehrenjungfrau einen labenden Trunk aus goldenem Becher entgegenzunehmen. Die romanischen Säulen des Portals erinnern an den Kreuzgang des Lusamgärtchens, und im Hintergrund grüßt die Festung. Die einstige Residenz der Fürstbischöfe auf dem Marienberg dominiert mit der breit dahin gelagerten Alten Mainbrücke auch eine Ansichtskarte, die mit einem Siegel den Anschein einer historischen Urkunde zu erwecken sucht.

    Den geselligen Charakter des Sängerbundesfestes hebt eine andere Grußkarte hervor: Zwischen dem Frankoniabrunnen vor der Residenz und dem Kiliansbrunnen vor dem Bahnhof sind das Käppele und das Haus der Burschenschaft Germania zu sehen. Aus einem Bocksbeutel grüßen freundlich ein farbentragender Verbindungsstudent mit Schirmmütze und dessen Schwarm, umgeben von Römer, Korkenzieher und einem Weinträubel. Darüber läuten zwei der sprichwörtlichen „Würzburger Glöckli“ „ihr süßes Geläut“, wie es im Volkslied heißt. Ohne weiblichen Anhang kommt eine Grußkarte aus, die einen Blick in die festlich beflaggte Domstraße und auf den Dom als Zielpunkt wirft. Dynamisch geht auf den Betrachter eine Gruppe von drei Sängern mit Hut und Fliege zu. Einer gibt gerade ein Lied zum Besten und legt dabei seinem Kameraden die Hand über die Schulter. Die Drei sind in bester Laune. Das gilt auch für den Sänger, der im Hintergrund fröhlich seinen Hut schwenkt.

    Das Motiv des Hutschwenkens findet man auch auf einer Karte mit dem festlichen Einzug der Sänger im geschmückten Würzburg und dem Auftritt eines Chors bei einem Festkonzert. Die beiden Szenen bilden den Hintergrund für die geflügelte Personifikation des Gesangs mit Lorbeerkranz und Lyra. Zu den Füßen der Allegorie liest man das „Sängermotto“. „Edel und bieder sei'n Herz und Lieder“. „Biederkeit“ strahlt auch eine Postkarte aus, die ein Männerquartett vor der Fahne des Sängerbundes beim Singen zeigt. Begeistert bemerkt Brusniak: „Ich finde die mediale Inszenierung des Sängerbundesfestes mit all seinen Facetten einfach spannend und für die kulturwissenschaftliche Forschung insgesamt wichtig.“

    Die Jubiläumsmatinee beginnt am Sonntag, 22. Juli, 11 Uhr im Rosenbachpark. Eintritt frei.

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