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WÜRZBURG: Serie 70er Jahre: Les Humphries tanzte auf dem Flügel

WÜRZBURG

Serie 70er Jahre: Les Humphries tanzte auf dem Flügel

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    Viele Andenken: Peter Müller-Reichart hat im Büro Fotos mit Autogrammen von Stars, die in den 70ern aufgetreten sind.
    Viele Andenken: Peter Müller-Reichart hat im Büro Fotos mit Autogrammen von Stars, die in den 70ern aufgetreten sind. Foto: Foto: THERESA MÜLLER

    In den 70er Jahren gab es für größere Veranstaltungen nur eine Adresse: die Huttensäle in der Virchowstraße. Ganze Generationen von Würzburgern haben dort Kinderfasching und Faschingsredouten gefeiert, Konzerte miterlebt und sogar Fernsehaufzeichnungen verfolgt. Und natürlich auf pompösen Bällen getanzt. Am 24. März 1980 war Schluss. Heute verkauft dort ein Lebensmittelmarkt seine Produkte.

    Die Huttensäle waren in den 70er Jahren berühmt für ihre unglaublichen Dekorationen. Peter Müller-Reichart, Mitglied der Eigentümerfamilie, war damals junger Erwachsener in Ausbildung und hat das bunte Leben in den Sälen hautnah miterlebt. Viel Zeit für Party hatte er nicht, meistens musste er im Familienunternehmen von Mutter Anneliese mithelfen.

    Einmal ließ er es jedoch so richtig krachen. Als Gnom verkleidet kaufte er sich für einen Faschingsball ein Ticket und feierte die ganze Nacht. Er orderte fünf Flaschen Champagner, ein Getränk, das in Würzburg in den 70er Jahren in der Menge nicht in jeder Gastro zu haben war. „Ich wollte mal testen, wie das Personal reagiert“, sagt er heute. Drei waren im Sortiment. Zum Glück für ihn, denn von seinen Wehrdienstgehalt hätte er die 250 Mark für alle fünf nicht hinlegen können.

    Müller-Reichart lüftet das Geheimnis der prunkvollen Saal-Dekorationen, ein Aushängeschild der Huttensäle: „Meine Familie betrieb das Deutsche Theater in München. Und alle Dekorationen, die dort in der Landeshauptstadt nicht mehr benötigt wurden, kamen – frisch aufbereitet – nach Würzburg.“ Wenn die Faschingssession anstand und die Prunksitzungen des Elferrates gefeiert wurden, dauerte das Schmücken manchmal acht bis zehn Tage. An der Decke schwebten dann beispielsweise Baldachine, Fesselballone und venezianische Gondeln.

    Neben den Prunksitzungen gab es in den 70er Jahren auch die legendären Faschingsredouten, jeden Mittwoch, erinnert sich Müller-Reichart. Das waren Kostümbälle zu einem günstigen Eintritt. Bis zu 1500 Gäste kamen, um zu tanzen und damals spielten bekannte Würzburger Bands wie „Sweetwater“ oder „The Jets“, die noch heute ein Begriff sind. „Da ging es dann ums Tanzen, Flirten und Kennenlernen“, erinnert sich der Gastronom Müller–Reichart.

    Legendär war die Bar unter der Bühne, das waren mehrere kleine Räume, die auch mal für verschwiegene Treffen zwischen Männlein und Weiblein herhalten mussten. Eine bekannte Bedienung aus der Zeit war Betty Röhnert, die damals viel miterlebt hat. „Da fanden sich dann beim Aufräumen am nächsten Tag schon Unterwäschestücke als Überbleibsel der heißen Redoutennächte“, schmunzelt Müller-Reichart.

    In den Huttensälen als größtem Veranstaltungsort weit und breit feierten die Würzburger in den 70er Jahren große Bälle. Die Atmosphäre war damals anders als heute, sagt der Gastronom. Es waren rauschende Bälle, echte Tanzvergnügen eben.

    „Da fanden sich schon mal Wäschestücke nach einer heißen Redoutennacht.“

    Peter Müller-Reichart über das Treiben in den Huttensälen

    Und bei Klingerball, Chrysanthemen-Ball, Innungsbällen spielten immer große Unterhaltungskapellen. „Das war schon großes Kino, wenn bei unserem Hausball Hugo Strasser für die Musik sorgte. Aber auch Max Greger, Ambros Seelos und Hazy Osterwald waren oft zu Gast in den Huttensälen.“ Wer Live-Konzerte in den 70er Jahren hörte wollte, für den gab es nur eine Adresse: Virchowstraße 2. Da spielten so einige harte Jungs, die von den älteren Würzburgern nicht so gerne gesehen wurden wie Deep Purple oder auch der Deutschrocker Udo Lindenberg. Aber viel eher wurden die Säle für Schlager- und Popkonzerte oder für Liedermacher gebucht. Eine Pinwand im Büro von Peter Müller-Reichart mit Fotos von damaligen Stars und Widmungen zeugt von dem bunten Showbusiness-Treiben in Würzburg. Da waren Gilbert Becaud, Reinhard Mey, Udo Jürgens, Insterburg & Co., Roger Whittaker und viele mehr. Sogar an Musicals wagte man sich als Veranstalter. Bei „Hair“, einem für die damalige Zeit äußerst freizügigen Musical mit Nackten auf der Bühne, roch es während der Proben im ganzen Haus nach Hasch, schmunzelt Müller-Reichart. Und als die Les Humphries Singers ein Konzert gaben sprang der Chef der Truppe auf den nagelneuen Flügel und tanzte darauf. Das Publikum fand es gut, Müller-Reicharts Mutter Anneliese weniger, musste das Musikinstrument doch hinterher auspoliert werden.

    Aufwändig war die Sendung „Ein Platz an der Sonne für Jung und Alt“, die 1974 live aus den Huttensälen kam. 14 Tage lang musste für die Deutsche Fernsehlotterie umgebaut werden für 90 Minuten Sendung.

    Es gab aber auch andere Nutzer, nicht nur das Showbusiness. So trafen sich regelmäßig die Bauern aus der Region zur Produktenbörse. Da saßen dann rund 50 Landwirte zusammen und handelten die Preise für das Getreide aus. Oder die Bockbierfeste, die ganz schnell wieder einschliefen genauso wie die Gäste, denn das Doppelbock-Bier der Würzburger Hofbräu war zu mächtig und stieg zu schnell in den Kopf, um für einen langen Abend in den Huttensälen zu taugen.

    „Wir hätten dann die zweitklassigen Veranstaltungen nehmen müssen.“

    Peter Müller-Reichart über das Ende durch den Bau des CCW

    Und dann war da noch die Sexmesse, die ein neutraler Veranstalter als solche nicht kennzeichnete und die Saalbetreiber gemeinsam mit der Stadt Würzburg gerade noch abbiegen konnten. „Das wäre damals in der Bischofsstadt nicht gut gegangen“, sagt Müller-Reichert heute.

    Auch die NPD Deutschland suchte mal die Huttensäle heim. „Es war nicht zu verhindern“, bedauert Müller-Reichart. Und dann ließ die Polizei, die Demonstrationen fürchtete, Stacheldraht rund um die Huttensäle ziehen, jede Menge Einsatzkräfte mit Wasserwerfern standen bereit, passiert ist nix, es blieb ruhig.

    Das Ende kam mit der Ankündigung der Stadt, auf dem ehemaligen Schlachthof-Gelände ein Congress Centrum bauen zu wollen für 2000 Besucher mit öffentlichen Mitteln. „Da fiel in der Familie die Entscheidung“, sagt Müller-Reichart. „Es war uns klar, dass dort neueste Technik verbaut wird. Da konnten wir als Familien-Unternehmen nicht bestehen. Wir hätten dann die zweiklassigen Veranstaltungen nehmen müssen.“ Und mit dem Ende am 24. März 1980 starb natürlich auch unter anderem der berühmte Chrysanthemenball. Und zum Abschied von dieser Ära mit einem großen Müller-Reichart-Hausball gab es Tränentüchlein für jeden Besucher.

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