Heute ist Buß- und Bettag. Einst ein gesetzlicher Feiertag der evangelischen Christen, der 1994 zugunsten der Pflegeversicherung abgeschafft wurde. In der Kirchengemeinschaft eine noch heute höchst umstrittene Entscheidung. In jedem Fall aber Grund genug, an diesem immer noch religiösen Feiertag auf die 70er Jahre der evangelischen Christen in der Stadt zu schauen; aktuell sind es rund 30 000. Gerade das Jahrzehnt der „Siebziger“ war in der Kirchengeschichte dieser Stadt durchaus turbulent.
Das Zweite Vatikanische Konzil von 1962 bis 1965 mit dem Auftrag pastoraler und ökumenischer Erneuerung hatte nun endlich Fuß gefasst. Es war bis in die Kirchengemeinden vorgedrungen, die nun im ökumenischen Sinne wiederum Lösungen finden sollten, wie die damals noch sehr verkrusteten Wege zwischen den beiden christlichen Großkirchen begehbarer werden könnten. Und es war zweifellos die Evangelische Kirche, die sich offener zeigte, während die katholische Kirche zögerte, ewige Dogmen aufzuweichen.
Amtseinführung als Kraftakt
In Würzburg wurde mit Paul Rieger ab 1972 ein sehr agiler neuer Dekan ins Amt gebracht, der vorher lange die bekannte Evangelische Akademie in Tutzing leitete. Zu dieser Zeit, als Würzburg immer noch als grundsätzlich katholisch galt, war eine solche Amtseinführung immer noch ein echter Kraftakt. Da versuchte die Evangelische Kirche schon deutlich zu machen, wie stark ihre Gemeinschaft ist. Der Hauptsitz des Kirchenkreises Würzburg mit dem Oberkirchenrat ist nach wie vor im mittelfränkischen Ansbach. Von dort, wo die katholischen Christen in der Minderheit sind, war zu dem Ereignis deshalb auch die geballte damalige politische Prominenz einschließlich des Regierungspräsidenten Karl Burkardt aus Mittelfranken angereist.
Die ökumenische Aufbruchstimmung an der Basis der Christen war in diesem Jahrzehnt absolut nicht mehr zu übersehen. Es wurde offener diskutiert und am Theologischen Abend alljährlich in der Dekanatskirche St. Stephan waren die katholischen Kirchenvertreter gerne gesehen Gäste. In der Öffentlichkeit gab es durchaus einen Eindruck der Verbrüderung. Der entstand aber zunächst nur auf der untersten Ebene, in den Kirchengemeinden. Blickte man hinter die Kulissen, gab es nach wie vor einen starren Focus auf Hierarchien in den Kirchen.
Bei offiziellen Anlässen wie Einweihungen, wo der Segen beider Kirchen gewünscht war, oder auch bei Empfängen gab es immer das interne Problem wer „auf der anderen Seite“ der Partner ist. Einen echten Bischof wie ihn die katholische Kirche hat, oder ein Domkapitel, konnte die Evangelische Kirche nie entgegensetzen, weshalb die Katholische Kirche dem Dekan gerne einen Geistlichen aus der „unteren Etage“ schickte, sie hat ja auch noch Stadtdekane.
Auch der Dekan des evangelischen Kirchenkreises, der immerhin Mittel- und Unterfranken umfasst, war damals offiziell nicht die Ebene des Würzburger Bischofs. Nicht zuletzt daraus entstand aus dem früheren Kirchenkreis Ansbach der Kirchenkreis Ansbach-Würzburg. Um die Bedeutung Würzburgs zu unterstreichen, wurde hier ein – meist ungenutztes – Büro für den Kreisdekan eingerichtet. Und für den früheren Oberkirchenrat, der einem solchen Kirchenkreis vorsteht, wurde später von evangelischer Seite die Bezeichnung „Regionalbischof“ eingeführt, um gefühlsmäßig eine Ebene herzustellen. Ein Problem, das es sicher auch anderswo in Bayern gab.
Das erscheint wie religiöse Kinkerlitzchen. Doch die Landeskirche legte stets viel Wert darauf, in der „Diaspora“ präsent zu sein. Nach 1963 gab es schon im März 1977 eine weitere Synode der Evangelische Landeskirche in Würzburg. Erstmals in einem Gotteshaus, nämlich in der barocken Dekanatskirche St. Stephan. Geeignete Tagungsräume für eine solche Größenordnung gab es damals in Würzburg wohl noch nicht. Die nächste Landessynode war dann 2003 im damals noch kircheneigenen „Luisengarten“.
1977 ging es in der Synode um das Hauptthema „Kirche und Arbeiterschaft“, damals unter dem amtierenden Landesbischof Johannes Hanselmann. Schaut man sich die Themen dieser Landessynode an, entsteht spontan der Eindruck, es habe sich in den letzten 35 Jahren gar nichts verändert. Die Lage für die Arbeitnehmer hat sich nur viel mehr verschärft.
Der damalige Präsident der Bundesanstalt für Arbeit Josef Stingl nannte eine Million Arbeitslose, damals natürlich nur für den Westen Deutschlands; Ältere und Jugendliche seien besonders betroffen. Es hat zu dieser Zeit schon das ungelöste Problem der Kernenergie und der Folgen gegeben und Landesbischof Hanselmann sagte in Würzburg, „letztendlich verantwortbare Aussagen“ seien dazu kaum möglich. Es hat Aufrufe zu Vernunft und Verzicht gegeben.
Da kam die Angst von links
Die Siebziger waren auch die Zeit des „Radikalenerlasses“ . Da warnte Bischof Hanselmann auf der Synode davor, Panik zu machen und Angst zu schüren. In der Zeit kam die Angst allerdings von links mit den Baader-Meinhof-Terroristen, heute kommt die Angst von rechts. Er sagte 1977, die Ängste der Jungen seien der Ausdruck eines ganz bestimmten Lebensgefühls, das man nicht von Arbeitslosigkeit, von der Nichtzuteilung von Studienplätzen oder fehlenden Berufsmöglichkeiten nach Abschluss der akademischen Ausbildung trennen könne.
Abgesehen von Interna aus der Synode, wo es um komplizierte Regelungen über das Leben von Pfarrern geht, hätten die Themen der damaligen Synode durchaus auch auf einem Programm einer Synode der letzten Woche in Würzburg stehen könne.
Auf Dekan Paul Rieger folgte für die gesamten 80er Jahre Professor Martin Elze, der bis 1999 noch als Professor für evangelische Theologie an der Universität in Würzburg tätig war. Rieger wurde nach seiner Würzburger Zeit Direktor des evangelischen Presseverbands in München.