Martin Dobat kann stolz sein auf seine Arbeit der letzten Jahrzehnte. Der Bankkaufmann, studierte Betriebswirt und Pädagoge mit Zusatzausbildung als Suchttherapeut hatte sich der Drogen-Prophylaxe verschrieben und gab oft den Anreiz für alkoholfreie Veranstaltungen. Das alkoholfreie Café „Milchladen“ in der Zellerau war dabei Dreh- und Angelpunkt, ein Stern am Würzburger Sozialhimmel, wo niemand genötigt wurde, über seine Drogenprobleme zu sprechen, dies aber ohne strafrechtliche Konsequenzen tun konnte. Ein Treff mit Hilfsangeboten für Süchtige. Hier wurden viele Ideen zur Suchtvorbeugung geboren.
Jetzt kommt kaum noch jemand in die Frankfurter Straße 20. Dobats Verein hat Mietschulden für das Café und eine Abmachung mit dem Vermieter, das Geld zu stunden. Am letzten Junitag, im 33. Jahr des Bestehens, wird er aufgeben, wenn bis dahin nicht ein Wunder geschieht, sagt er. Wie dieses Wunder aussehen könnte, lässt er offen. Der Verein, dessen Vorsitzender er ist, hat neun Mitglieder.
Dobat hatte zuletzt christliche Therapien für Süchtige angeboten. Mit Erfolg? Er ist bescheiden: „Ich habe dem einen oder anderen Linderung verschafft.“ Dobat hätte weitermachen können wie früher: neutral, ohne Gott ausdrücklich einzubeziehen. Das Café Milchladen war in seinen besten Zeiten so begehrt – mit leckeren Milchshakes, Kaffee und bei Bedarf fundierter Beratung –, dass Leute auf der Straße Schlange standen und nicht mehr hineinkamen. Dobats „Suchtvorbeugender und suchtberatender Verein Milchladen“ bekam Zuschüsse von der Stadt und hatte bald Klienten für die Suchttherapie.
Dobat gehört zu den Ideenschöpfern von alkoholfreien Veranstaltungen wie dem Stadtteilfest Grombühl und alkoholfreien Einrichtungen. Er erfand die „Vier Wochen ohne“, die immer wieder als Wettbewerb gegen Alkohol ausgetragen wurden, und schuf die Aktion „Mille Grazie“ für suchtvorbeugende Arbeit. Es liefen Silvesterpartys ohne Alkohol schon zu Zeiten, als in den Kneipen Rauchen und Trinken noch zusammengehörten und die Promillegrenze für Autofahrer noch höher lag.
Heute hängt über dem Eingang des Cafés ein Transparent mit der Aufschrift „Gott ist groß“ und in den Fenstern finden sich Bibeltexte. Dobat, der seine Ideen immer radikal umgesetzt hat, ist mit noch mehr Energie gottergeben. Seine Ehe wäre in die Brüche gegangen, wenn er nicht im Jahr 2000 zurück zu Gott gefunden hätte, berichtet er. Er sieht sich als Christ, ist aber nicht mehr evangelisch, sondern suchte zwischenzeitlich den Kontakt zur evangelischen Freikirche. Sein Christsein lebt er nach der Bibel. „Viele halten mich für einen Spinner oder sie vermuten eine Sekte“, sagt er. Einer Sekte gehöre er aber nicht an. Was andere von ihm halten, quittiert er mit einem Lächeln, das sanft anmutet.
Der Milchladen, einst als christliches Café gegründet, zeigt sich nun genau so: christlich, offen für alle und gerne für die, die Gespräche über Gott führen und beten oder ihre Sucht mit Gottes Hilfe überwinden wollen. Aber therapieren will Dobat hier nur noch im christlichen Sinne. Menschen, die damit nicht einverstanden sind, nimmt er als Klienten nicht an.
Dobat ist nicht arbeitslos; als Suchttherapeut ist er anerkannt, hält Vorträge. Er gibt Nichtraucherkurse ohne christlichen Touch, berät als Dozent bei öffentlichen Einrichtungen und Firmen. Er muss sich dort meist neutral verhalten; lieber wäre es ihm jedoch, er dürfte auf Gottes Hilfe aufmerksam machen. Denn letztlich könne nur Gott helfen. Privat sei er „der glücklichste Ehemann der Welt“. Er ist verheiratet, hat vier Kinder. Er erarbeitet den Unterhalt für seine Familie, allerdings: „Wir müssen im Moment sparen.“
Der 54-Jährige hatte schon als Dreijähriger die Kindergruppe des Blauen Kreuzes besucht, in dem sich auch seine Eltern engagierten, Bibelstunden anboten. Schon als Knirps habe er viele Jesusgeschichten gekannt. Durch das Blaue Kreuz lernte er Opfer von Alkohol und Gewalt kennen. Und: „Ich war viel in Kinderheimen“. Einer der beiden Brüder war behindert: für die Eltern eine Bürde, die sie manchmal nur noch tragen konnten, wenn sie die Kinder zwischendurch abgaben.
Der gläubige Dobat sieht die kommenden Wochen mit Spannung: „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht“, zitiert er Johannes 12, 24. Es gehe nicht darum, dass er, Dobat, etwas auf die Beine stelle, sondern dass Gott den Weg weist. „Denn lebendig ist das Wort Gottes, kraftvoll und schärfer als jedes zweischneidige Schwert.“ (Heb. 4, 12). Dobat weiß, dass der Milchladen jetzt vielleicht untergeht. „Ich schäme mich, dass ich die Miete nicht bezahle.“ Aber tief im Herzen glaubt er, dass „nach dem Sterbeprozess etwas Neues“ erwächst.
Der Milchladen in der Frankfurter Straße 20 ist zurzeit jeweils Freitag und Samstag von 19 bis 22 Uhr geöffnet.