Stellen sie sich vor, Sie wären der Chef eines Musiktheaters, mit Schwerpunkt Kammeroper. Sie haben keinen festen Spielort, kein festes Ensemble und kein festes Einkommen. Stellen Sie sich weiter vor, Sie müssten allein ihre Stücke aussuchen, Sänger auswählen und Proben betreuen – und natürlich müssten Sie auch das finanzielle Risiko tragen, sollte einmal eine Inszenierung in die Hose gehen. Wäre das etwas für Sie? Halt, wir sind noch nicht am Ende. Obendrein stemmen Sie auch noch allein einen Radiosender für klassische Musik. Jeden Tag müssen Sie drei Stunden Programm mit Leben füllen. Aber ja, auch am Sonntag. Und auch in den Ferien. Ein bisschen viel Arbeit?
Blagoy Apostolov aus Schwanfeld würde da noch nicht einmal mit der Wimper zucken. Als Intendant der Bayerischen Kammeroper Radio Opera mit dazugehörigem Radiosender wacht er jeden Tag mit dem Risiko im Nacken auf und schläft mit ihm spät in der Nacht, nach getaner Arbeit, wieder ein. Nur, dass er und das Risiko sich blendend verstehen.
Mit seinen 73 Jahren erlaubt sich Apostolov keinen Stillstand. Wenn er nicht gerade von Schwanfeld aus sein Programm auf „Radio Opera“ moderiert, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, ihn irgendwo in Italien, in Frankreich oder in der Schweiz anzutreffen, wo er sich mit Intendanten-Kollegen trifft, mit Geschäftspartnern Verhandlungen führt oder neue Pläne schmiedet. In der Szene ist er ein bekanntes Gesicht. Sein Engagement für die schönen Künste ist nicht nur zu seinen 150 000 Radiohörern und zu seinem Kammeroper-Publikum durchgedrungen. Am Revers seines Jacketts prangen einträchtig nebeneinander das schwarz-rot-goldene Zeichen für das Bundesverdienstkreuz und das hellblaue Rad des Bayerischen Verdienstordens.
Wäre Apostolov nicht schon immer ein Freigeist mit einer ordentlichen Portion Mut gewesen, wäre alles wahrscheinlich ganz anders gekommen. In seiner bulgarischen Heimatstadt Sofia konnte er zwar Sprachwissenschaften und Romanistik studieren und in seiner Freizeit seinem großen Hobby, dem Gesang, nachgehen, aber er fühlte sich durch das kommunistische Regime eingeengt. Die einzige Chance, sich aus den „Ketten zu befreien“, sah er in einem freien Beruf.
Apostolov gewann einen Wettbewerb und bekam ein Stipendium für eine Gesangsausbildung in Italien. Eine Karriere wäre dort allerdings unwahrscheinlich gewesen. Zu viele Sänger traten sich dort schon gegenseitig auf die Füße. Dann bekam er den Tipp, nach Deutschland zu gehen. Im fränkischen Würzburg würde man jemanden suchen.
Er kam, sang vor und blieb. Als lyrischer Bariton engagierte ihn 1975 das damalige Stadttheater Würzburg. Aber mit 35 würde er kein Opernstar mehr werden. Wenn schon nicht selbst Karriere als Sänger machen, dann wenigstens ein eigenes Theater haben und Talenten die Chance geben, sich zu zeigen, sagte sich Apostolov.
„Die Leute hielten mich für verrückt“, erinnert sich Apostolov heute. Der damalige Bayerische Generalintendant August Everding drückte es etwas netter aus: „Elan haben Sie. Ich wünsche Ihnen eine dicke Haut.“ Dieser gab ihm den Tipp, es doch in Franken zu versuchen.
Apostolov gründete 1982 die Bayerische Kammeroper Veitshöchheim. Er erkämpfte sich Zuschüsse vom Bezirk Unterfranken, vom Landkreis Würzburg und vom Freistaat Bayern – und ließ sich auf einen heißen Deal ein: Er sagte zu, für alle Minusbeträge der Kammeroper selbst aufzukommen. Im Gegensatz dazu durfte er sein eigener Boss sein. „So konnte ich wenigstens nicht zu Verlusten kommen, die von anderen verschuldet sind.“
Für Apostolov begann eine harte, aber fruchtbare Zeit. Pro Jahr bereitete er eine Kammeroper vor, mit Profis und Mitarbeitern auf Honorarbasis. Später wurden es mehrere Stücke pro Jahr. Drei Jahre nach Gründung der Kammeroper kam das Radiomachen dazu.
Für die Kammeroper-Vorstellungen mietete er sich in den Mainfrankensälen in Veitshöchheim ein, in den kleinen Gartensälen und selbst im Schlossgarten. Dazu organisierte er Gastspiele, zum Beispiel in Würzburg. Immer im Auftrag der Kunst. Immer bemüht, auch kaum bekannte Musik zu fördern. „Damals gab es noch Geld“, seufzt Apostolov. „Die Leute haben noch das Unbekannte angenommen.“ Dann wurden die Zuschüsse immer knapper. 2012 zog Apostolov die Reißleine. „Entweder der Etat erhöht sich drastisch, oder ich trete aus“, sagte er zum damaligen Rechtsträger der Kammeroper, der Gemeinde Veitshöchheim. Der Etat erhöhte sich nicht. Apostolov machte mit dem Radio weiter, aber hörte mit den Inszenierungen auf. „Ich hätte mein Haus verkaufen müssen, um den Spielbetrieb aufrecht erhalten zu können“, sagt er heute. „Das macht niemand. Ich auch nicht.“
Aber an aufgeben dachte er nicht. Die Inszenierungen kommen schon wieder, davon ist er fest überzeugt. „Ich habe es nicht eilig. Ich habe vor, 100 Jahre alt zu werden und zu arbeiten.“ Aus der Bayerischen Kammeroper Veitshöchheim wurde die Bayerische Kammeroper Radio Opera.
Derzeit arbeitet Apostolov an einer Koproduktion für eine Inszenierung in Zürich. Gespräche für weitere Inszenierungen sind am Laufen. Und ein Buch über die Geschichte der Oper und ihrer Regie ist in der Mache. Blagoy Apostolovs Job ist nichts für Leute mit schwachen Nerven. Sein Geheimnis: Er steckt sich Ziele und glaubt fest an sie. „Den Kopf in den Wolken, die Füße auf dem Boden – nicht schlecht, wenn man das schafft“, sagt er und lächelt zufrieden in sich hinein.