"Die Fahrscheine bitte.“ Freitagabend, 17.29 Uhr, Straßenbahnlinie 5. Menschen mit Aktentaschen und Einkaufstüten, Senioren und Jugendliche heben die Köpfe und suchen nach ihren Geldbeuteln. Zwei Mädchen, lange dunkle Haare die eine, lange blonde die andere, schauen sich erschrocken an. Ein Junge mit Kopfhörern springt von seinem Sitz.
Schwarzfahren ist Volkssport. Rund eine Million Schwarzfahrer sind jeden Tag in Deutschland im Öffentlichen Personen Nahverkehr (ÖPNV) unterwegs. Nach Schätzungen des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) entgehen den Unternehmen dadurch jährlich bis zu 250 Millionen Euro. Die Würzburger Straßenbahn (WSB) gibt den jährlich durch Schwarzfahrer verursachten Schaden mit rund 800 000 Euro an.
In der Linie 5 steigen am Sanderring sechs Kontrolleure an sechs Türen in die Bahn. Thomas Müller (alle Namen geändert) werden Einzelfahrscheine, Monatskarten und Semestertickets gezeigt. Hinter seinem Rücken drückt der aufgesprungene Junge mit den Kopfhörern schnell einen Fahrschein in den Entwerter. Die beiden Mädchen stürmen in die entgegengesetzte Richtung davon.
Zwei bis drei Prozent der kontrollierten Fahrgäste in Bus und Bahn sind laut Würzburger Straßenbahn GmbH (WSB) ohne gültigen Fahrschein unterwegs. Damit liegt der ÖPNV in Würzburg im Bereich von dem der Städte München (3,0 Prozent), Augsburg (2,5 Prozent) und Düsseldorf (2,0 Prozent). Die meisten Schwarzfahrer gibt es laut der Wirtschaftswoche in Berlin, Bonn und Duisburg, wo rund vier Prozent der Nachverkehrskunden nicht bezahlen.
Thomas Müller zückt sein mobiles Datenerfassungsgerät. Ein schwarzes Kästchen, in das er Namen und Adresse der jungen Frau eingibt, die vergebens Hand-, Einkaufs- und Jackentasche durchwühlt hat. „Hab's wohl vergessen“, murmelt sie leise. 1,25 Euro hätte sie die Kurzstrecke gekostet. 40 Euro muss sie jetzt zahlen. Ab dem kommenden Jahr werden es 60 Euro sein. Den Anstieg des „erhöhten Beförderungsendgelt“ hat der Bundestag kürzlich beschlossen, damit die Verkehrsbetriebe ihre steigenden Kosten für die Kontrollen auszugleichen können.
Während Müller die Daten noch tippt, rennen die beiden Mädchen zur nächsten Tür. Mit einem Sprung sind sie auf der Treppe und versuchen durch die gerade schließende Tür zu wischen. Ein Arm schiebt sich dazwischen. Denn hier steht Kontrolleur Schneider. „Wir wollen hier 'raus“, sagt die Blonde trotzig. „Mal langsam“, sagt Schneider.
Vier bis fünf Mitarbeiter der Servicegruppe sind durchschnittlich jeden Tag in Würzburg unterwegs. Sie kontrollieren hauptsächlich in Bahnen, stichprobenartig auch in Bussen. Im Gegensatz zu anderen Städten sind sie in Würzburg nicht in Zivil, sondern in Uniform unterwegs.
„Wir wollen mit unserer Präsenz signalisieren, dass es sich lohnt einen Fahrschein zu kaufen“, erklärt Müller. Möglichst viele Schwarzfahrer zu ertappen, sei nicht das primäre Ziel. Im Gegenteil: „Wenn wir niemanden erwischen, haben wir unsere Arbeit gut gemacht,“ meint der WSB-Mitarbeiter, der seit 2008 Kontrolleur ist.
In der vollen Linie 5 sieht es um 17.35 Uhr nicht so gut aus: 13 fahrscheinlose Fahrgäste werden erwischt. „Ich hatte nur einen 50-Euro-Schein und der Fahrkarten-Automat hat nicht gewechselt“, sagt ein junger Mann und zieht einen verknitterten 50-Euro-Schein aus der Tasche seiner ausgewaschenen Jeansjacke. Der Kontrolleur schaut ihm in die Augen. Die Umstehenden schauen neugierig zu.
„Steigen Sie bitte aus und lassen Sie wechseln, dann fahren Sie mit Fahrschein weiter,“ sagt Müller zu dem jungen Mann. Wie alle seine Kollegen geht er offen und freundlich auf die Fahrgäste zu. Stellt er die Rechnung für ein erhöhtes Beförderungsentgelt aus, dann tut er das diskret.
Am Reuterplatz in Heidingsfeld steigen die Kontrolleure aus und wechseln die Bahn. „Fahrkartenkontrolle. Die Fahrscheine bitte.“ Dieses Mal springt keiner auf. Und bis zum Sanderring wird nur ein Ticket geschrieben: Für ein Fahrrad ohne Fahrschein. Ein Mann, vielleicht Mitte 40, legt einen Ausbildungsausweis vor, der schon seit zwei Jahren abgelaufen ist. Weil er sich nicht ausweisen kann, muss die Polizei kommen und die Personalien aufnehmen.
Rund 65 000 Menschen hat die WSB 2013 kontrolliert. Etwa zwei Prozent davon wurden ohne Fahrschein erwischt. „Wenn die Zahl an Schwarzfahrern kurzfristig steigt, erhöhen wir die Kontrolldichte“, erklärt WVV-Pressesprecher Manuel Schön. Erfolgreich sei die 2008 eingeführte Vorne-Einstiegsregel im Bus: „Dass dem Fahrer die Karte gezeigt werden muss, erhöht die Hemmschwelle zu betrügen“, sagt der WVV-Sprecher.
Dass die Hemmschwelle nicht bei jedem gesunken ist, entdecken die Kontrolleure immer wieder. Zum Beispiel Tesafilmstreifen, die über das Stempelfeld der Streifenkarte geklebt werden. Oder Leute, die zweimal am gleichen Tag ohne Ticket erwischt werden. Auch die sozialen Medien dienen zum Betrügen. Werden zum Beispiel vor Schulbeginn aussteigende Schüler an der Haltestelle kontrolliert, kommen bald immer weniger per Straba und immer mehr laufen: Sie wurden über Facebook gewarnt.
Jetzt warten die Kontrolleure am Hauptbahnhof und erzählen von ihren Erfahrungen. „Man wird schon immer wieder mal blöd angemacht,“ sagt Schneider. „Manchmal schon, wenn man einfach an der Haltestelle steht.“ Der zunehmend raue Ton ist auch der Grund dafür, warum die WSB-Mitarbeiter ihren Namen nicht in der Zeitung lesen wollen.
Aber es gibt auch Positives: Zum Beispiel der Mann, der jetzt mit Hund an der Leine und Bierflasche in der Hand auf die uniformierte Truppe zu kommt. „Hey, wollte nur zeigen, dass ich ganz legal bin“, sagt der Punker und hält einen Fahrschein hoch. Am frühen Abend war er ohne Fahrschein in der Zellerau erwischt worden, die Rückfahrt hat er bezahlt.
Rund 52 000 Euro hätte die WSB 2013 von erwischten Schwarzfahrern kassieren müssen. Da viele nicht zahlen, werden häufig Inkassounternehmen beauftragt. Dennoch bekommt die WSB nur von rund 60 Prozent der Erwischten das Geld. Vom Rest ist nichts zu holen.
In der nächsten Straba versuchen erneut zwei Schwarzfahrer vor der Kontrolle zu fliehen. Mittlerweile sind aber auch zwei Polizeibeamte im Wagen und im Weg. Schnell wird den beiden klar, dass sie keine Chance haben und holen ihre Personalausweise raus. „Wir kennen uns doch“ , murmelt der Kontrolleur, als er anfängt die Daten einzugeben.
Wer mehrmals hintereinander erwischt wird, dem droht eine Anzeige. Nach Paragraph 265a Strafgesetzbuch wird das Benutzen eines Verkehrsmittels in der Absicht, das Entgelt nicht zu entrichten, mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. 458 solcher Fälle hat die Polizei 2013 im Stadtgebiet bearbeitet. Allerdings waren rund 400 davon Schwarzfahrer bei der Bundesbahn.
Inzwischen ist es 20.30 Uhr, und in der Straba riecht es deutlich nach Rum. Immer mehr Jugendliche steigen mit Schnaps- und Bierflaschen ein. „Je später der Abend, desto größer die Aggressionsbereitschaft“, erklärt WSB-Mann Müller. Die Anwesenheit von Polizeibeamten sei dann hilfreich. Doch jetzt ist alles friedlich: Die Kinder zeigen ihre Schülerkarten und nehmen brav die Füße vom Sitz. Auch der Junge in der ausgewaschenen Jeansjacke ist wieder da. Strahlend zeigt er seinen Fahrschein, den er sich mit inzwischen gewechselten Geld gekauft hat.