Das im Mittelalter zusammen mit dem Staatsschatz im Randersackerer Turm auf der Festung Marienberg, dann seit mehr als 250 Jahren in der Residenz, in unmittelbarer Nähe des landesherrlichen Machtzentrums untergebrachte Archiv der Würzburger Fürstbischöfe, seit dem 19. Jahrhundert der bayerischen Regierung des Untermainkreises, heute Regierung von Unterfranken, ist eine der traditionsreichsten zentralen Einrichtungen der Stadt Würzburg.
Exklusiv und einmalig verwahrt es alle für die Geschichte des Hochstifts Würzburg, seiner Städte und Dörfer, seiner Klöster und Kirchen, seiner wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und administrativen Einrichtungen relevanten Unterlagen wie Urkunden, Akten, Amtsbücher, Karten, Fotos, digitale Informationen von den Anfängen, das heißt seit über 1000 Jahren, bis heute.
Die Stadt Würzburg und Mainfranken verfügen hier über ein einzigartiges Haus der mainfränkischen Geschichte, ein für die Identität der heutigen Gesellschaft unerlässliches Erbe, das für jeden interessierten Bürger ein zentraler Informationsspeicher und ein vielseitiges Kompetenzzentrum darstellt. Ein Verlust für die Stadt als Oberzentrum wäre fatal, da mit langfristigen Folgen zu rechnen ist, zumal das Staatsarchiv auch zahlreiche Quellen verwahrt, welche für die Geschichte der Stadt Würzburg von gravierender Bedeutung sind.
Welches sind die Argumente für einen Umzug?
Die bayerische Staatsregierung wünscht, dass ländliche Regionen Unterfrankens auf Kosten der Ballungszentren gestärkt werden! Hierzu muss man wissen, dass das Staatsarchiv zur Zeit über 13 Personalstellen verfügt. Wie soll eine Verlagerung von 13 Arbeitsplätzen Kitzingen und seine Region stärken? Zum einen ist nicht davon auszugehen, dass die Bediensteten des Staatsarchivs Würzburg nach Kitzingen ziehen werden, um dort oder im Umland neue Häuser zu bauen. Infolge ungünstiger Verkehrsanbindung werden sie vielmehr mit dem Auto fahren! Zum anderen werden sie in Kitzingen wohl unter der Woche zu Mittag essen, größere Einkäufe indes wie gewohnt in Würzburg tätigen.
Der Ausbau des Mainfränkischen Museums auf der Festung zu einem Landesmuseum, die von Herrn Staatsminister Söder propagierte und sicher allgemein begrüßte „große Lösung“, erfordere den Auszug der dort befindlichen Archivmagazine!
Dieses Argument erscheint im ersten Augenblick nachvollziehbar und zwingend, aber auch hier muss man wissen, dass zum jetzigen Zeitpunkt hinsichtlich der künftigen Nutzung der Festung Marienberg lediglich eine Machbarkeitsstudie des Staatlichen Bauamts Würzburg mit acht Varianten vorliegt. Bei diesen acht Varianten geht nur eine einzige von einem Wegzug des Staatsarchivs aus dem Festungsareal aus, denn die räumliche Situation auf der Burg ist durchaus nicht beengt.
Weiter ist zu fragen, wieso das Staatsarchiv, wenn es die Magazinräume auf der Festung freigibt, dann zwangsläufig den Standort Würzburg aufgeben soll? Vielmehr erscheint es auch hier sinnvoll, dass bei der Konzeption und Durchführung regelmäßiger Wechselausstellungen, die für ein Regionalmuseum unabdingbar sind, die reichen Bestände des Staatsarchivs vor Ort zur Verfügung stehen. Ohne engen Kontakt zwischen Staatsarchiv und Museum sowie einen kontinuierlichen fachlichen Austausch wird das nicht gehen.
Zu bedenken ist weiter, dass der Freistaat Bayern in diesem Archiv über wertvollste Unterlagen verfügt, die ihm gar nicht gehören. So befinden sich hier zahlreiche als Deposita, das heißt als Leihgaben verwahrte Familienarchive bedeutender fränkischer Adelsfamilien, wie der Grafen von Schönborn, der Freiherrn von Thüngen, von Bibra, von Wolfskeel oder die Archivaliensammlungen des Historischen Vereins, heute Freunde Mainfränkischer Kunst und Geschichte. Werden die jeweiligen Archivbesitzer, so beispielsweise der Chef des Hauses Schönborn, damit einverstanden sein, dass die Archive ihrer Familien nicht mehr im traditionellen Regierungssitz, sondern künftig in einer ehemaligen Kaserne auf dem Land untergebracht sind? Es ist also ein Abzug bedeutender Adelsarchive zu befürchten.
Der bisherige Standort des Staatsarchivs in Würzburg zeichnet sich durch eine reibungslose Verkehrsanbindung sowie enge Vernetzung mit der Würzburger historischen Forschungslandschaft aus: Institut für Geschichte der Universität Würzburg, Institut für Kunstgeschichte, Universitätsbibliothek, Archiv und Bibliothek des Bistums Würzburg, Stadtarchiv und Universitätsarchiv. Die kurzen Wege im Oberzentrum Würzburg sind für die zahlreichen Benutzer – im Jahre 2014 wurden 2777 Besuchertage gezählt - zeitsparend.
Weiter muss man wissen, dass die Bestände des Staatsarchivs von überregionaler, d. h. bundesweiter und teilweise europäischer Bedeutung sind. Dieses verwahrt ja nicht nur riesige Urkunden- und Aktenbestände, eine exklusive Sammlung von fränkischen Karten und Plänen, sondern auch das äußerst wertvolle Mainzer Regierungsarchiv (der Erzbischof von Mainz war Vertreter des Kaisers im Reich), Unterlagen des reichsweit bedeutenden Klosters Lorsch, der Abtei Fulda sowie nicht zuletzt seltene Gestapo-Akten, Unterlagen von Gerichten, Staatsanwaltschaften und Notariaten, Akten von Schulen, Kurverwaltungen und Finanzbehörden. Mit seinen Beständen im Umfang von 24 km ist es somit entscheidend für die Attraktivität des Archivstandortes Würzburg. Bei einem Abzug werden Benutzer aus den benachbarten Bundesländern, beispielsweise der Universität Mainz, langwierige Anfahrtswege auf sich nehmen müssen. Es werden ein erheblicher Rückgang der Besucherzahlen und eine empfindliche Beeinträchtigung der historischen wissenschaftlichen Forschung in Würzburg und Mainfranken zu erwarten sein. Als warnendes Exempel mag der Umzug des Staatsarchivs Wertheim ins abgelegen Bronnbach dienen, wo dieses heute leider kaum noch frequentiert wird.
Als neuer Standort des Staatsarchivs steht ein ehemaliges Kasernengebäude in Kitzingen aus dem Jahre 1936, das 1981 „generalsaniert“ wurde, zur Diskussion. Entgegen öffentlicher Behauptung gibt es nach Aussage des Behördenleiters kein befürwortendes Gutachten des Staatlichen Bauamtes. Voraussetzung sind nämlich eine völlige Entkernung beziehungsweise ein Abriss und ein Neubau. Überdies ist das Gelände nicht in Staatsbesitz, es müsste erst erworben oder angemietet werden.
Ein letzter Punkt sei erwähnt. Politische Entscheidungsträger gehen davon aus, dass der Standort eines öffentlichen Archivs nicht mehr entscheidend sei, da eine Benutzung zunehmend durch das Internet erfolge. Erfreulicherweise treibt die Bayerische Archivverwaltung konsequent und erfolgreich die Digitalisierung voran, doch werden primär die Findmittel, also der Zugang zu den Beständen online gestellt. Bei über acht Millionen im Staatsarchiv Würzburg verwahrten Archivalieneinheiten ist eine Bereitstellung von digitalisierten Dokumenten insgesamt nicht finanzierbar, zur Zeit bewegt sie sich im Promillebereich. Die persönliche Auswertung der archivischen Quellen im Lesesaal des Staatsarchivs wird daher auch im 21. Jahrhundert der Regelfall sein.
Was ist die Lösung? Eine innerstädtische Verlagerung des Staatsarchivs ins Areal des Hublands in Nachbarschaft zur Universitätsbibliothek, zum Historischem und zum Kunsthistorischem Institut, zum Universitätsarchiv – ein Vorschlag, den Oberbürgermeister Christian Schuchardt bereits 2014 in sein Wahlprogramm aufgenommen hatte. Der Abzug dieser fachlich sehr bedeutenden, personell jedoch kleinen staatlichen Dienststelle wird Kitzingen kaum nutzen, der Stadt Würzburg als geschichtsträchtigem Standort und den Interessen der wissenschaftlichen Forschung jedoch nachhaltig schaden.
Dr. Ulrich Wagner
Der Historiker, Jahrgang 1948, war bis Ende vergangenen Jahres Leitender Archivdirektor am Stadtarchiv Würzburg. Als Nachfolger von Dr. Heinrich Dunkhase und Herausgeber mehrerer Publikationsreihen hat Ulrich Wagner die Erforschung der Würzburger Stadtgeschichte nachhaltig gefördert. Noch als Leiter des Stadtarchivs Heidelberg tätig, war Wagner 1983 – auf der Rückreise vom Archivtag – erstmals im Würzburger Stadtarchiv gewesen. Er war nicht nur von den Beständen äußerst angetan, sondern auch vom Gebäude, den Greisinghäusern, in der Neubaustraße. Zum Stadtjubiläum 2004 gab Wagner eine dreibändige Stadtgeschichte heraus.
Das Interesse an der Veröffentlichung war immens, die ersten beiden Bänden sind vergriffen. Seine Projekte im Ruhestand: Erforschung des Bauernkrieg in Würzburg und Mainfranken sowie ein Urkundenbuch.