Der Run auf die Universität Würzburg reißt nicht ab. Über 28.000 Studierende sind zum Wintersemester 2015/16 eingeschrieben, so viele wie nie zuvor. Eine Zahl, die den Lehrbetrieb vor große Herausforderungen stellt. Gleichzeitig nimmt im Forschungssektor der Wettbewerb um die besten Köpfe und um die Millionen von Staat und Wirtschaft weiter zu. Jede Menge Aufgaben also, die vor Alfred Forchel liegen. Mit Semesterbeginn startete der 63-jährige Physik-Professor in seine zweite sechsjährige Amtszeit als Präsident der Julius-Maximilians-Universität.
Frage: Herr Professor Forchel, Ihre ersten sechs Jahre an der Spitze der Universität sind vorüber. Wo sehen Sie die Erfolge Ihrer Amtszeit, wo gibt es Defizite?
Alfred Forchel: Es hat Zeiten gegeben, da lag der Schwerpunkt der Förderung an der Universität klar auf den Lebens- und Naturwissenschaften. Das wollten wir ändern. Die Förderung der Geistes- und Gesellschaftswissenschaften gehört für eine Volluniversität gleichberechtigt dazu. Ich sehe uns da auf einem guten Weg, der aber noch lange nicht abgeschlossen ist. Selbstverständlich wollen wir die Leistungsfähigkeit der Uni bei Forschung und Lehre weiter steigern. Dies ist in verschiedenen Bereichen gelungen. Eine andere Aufgabe ist es, die Vernetzung mit der Region zu verbessern, mit der Stadt, dem Umland und der Wirtschaft.
Wo mangelt es bei der Vernetzung?
Forchel: Die Universität ist ein großer Bildungsbetrieb mit mehr als 28 000 Studierenden. Diese große Anzahl universitär ausgebildeter Menschen ist in Zeiten des Bevölkerungsrückgangs eine große Chance für die Region. Wir können niemanden festhalten, aber es ist wünschenswert, dass möglichst viele Absolventen hier in der Wirtschaft, an den Schulen und den Behörden unterkommen. Damit das gelingt, kooperieren wir mit zukünftigen Arbeitgebern so intensiv wie nie zuvor. Wir holen Unternehmen auf den Campus. Ein Beispiel ist die Messe „Study und Stay“ am 19. November, wo Firmen zeigen, was sie jungen Menschen bieten. Die Stände sind ausverkauft. Außerdem schaffen wir Zusatzangebote beispielsweise im Bereich Informatik oder Wirtschaftswissenschaften, um junge Leute, beispielsweise angehende Lehrer mit versperrter Berufsperspektive, für die Bedürfnisse von Betrieben zu qualifizieren. Diese Angebote sind sehr beliebt.
Genießt die Universität, immerhin Arbeitgeber für – inklusive Uni-Klinikum – 10 000 Menschen, genügend Wertschätzung in der Region?
Forchel: Ich sehe da eine Hol- und eine Bringschuld. Wir wollen mehr Angebote an die Region senden. Durch ein stärkeres Zusammenwirken mit der Stadt, der Region und der Wirtschaft lässt sich die Wertschätzung für die Universität weiter ausbauen. Dazu gehört auch, ganz aktuell, bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise zu helfen. Ein Uni-Gebäude am Hubland ist vorübergehend Asylbewerber-Unterkunft. Außerdem haben wir ein Sonderprogramm mit Deutsch-Intensivkursen für eine Gruppe studierfähiger und -williger Flüchtlinge entwickelt, um diesen den Weg an die Hochschule zu ebnen.
Explizit als regionale Universität verstehen Sie sich aber nicht?
Forchel: Nein. So haben wir uns nie verstanden, so werden wir uns auch nie verstehen. Es ist Auftrag einer jeden Universität, Wissen von weltweiter Bedeutung zu generieren. Unsere Grundlagenforschung ist für die gesamte Menschheit da. Was Röntgen vor 120 Jahren in Würzburg entdeckt hat, hat auch im hintersten Winkel der Südsee Bedeutung. Auch heute spielen viele Ergebnisse Würzburger Forscher weltweit eine Rolle.
Regelmäßig werden Rankings zur Qualität von Universitäten veröffentlicht. Manchmal wirken sie wie bloße Spielerei?
Forchel: Wir nehmen die Rankings sehr ernst. Sie spielen eine wichtige Rolle, etwa beim Einwerben von Drittmitteln. Zuletzt haben wir uns beim „Times Higher Education World University Ranking“ (THE) deutlich verbessert. Wir landen da weltweit auf Platz 185, im vergangenen Jahr lagen wir noch in der Ranggruppe 226-250. Das Shanghai-Ranking listet uns unter den 200 besten Universitäten der Welt und unter den 13 besten in Deutschland. In Bayern stehen nur die Münchner Universitäten besser da. Beim Leiden-Ranking, das die Publikationen, die mit Abstand am häufigsten zitiert werden, in Bezug zur Uni-Größe setzt, sind wir sogar die Nummer eins in Deutschland. Man darf die Statistiken sicher nicht überbewerten, aber Hinweise, in welche Richtung sich eine Fakultät oder die Universität entwickelt, geben sie sehr wohl.
Unter Ihrem Vorgänger ist Würzburg bei der sogenannten Exzellenzinitiative gescheitert, wo es um eine großzügigere Förderung von Forschungsprojekten durch den Bund ging. 2017 steht die nächste Runde an. Ist die Uni dabei?
Forchel: Ein Wort zum Scheitern in der Vergangenheit. Zu sehr müssen wir uns nicht grämen. Immerhin haben wir 2002 das Rudolf-Virchow-Zentrum für Experimentelle Biomedizin von der Deutschen Forschungsgemeinschaft als Exzellenzzentrum zuerkannt bekommen. 2005/06 folgte die Graduiertenschule der Lebenswissenschaften aus der Exzellenzinitiative. Die kommende Exzellenzinitiative ist ein ganz wichtiges Ziel. Da muss sich jede Universität mit Forschungsanspruch drauf vorbereiten. Wir werden versuchen, Förderanträge für sogenannte Cluster, das sind Forschungsverbünde, in den Lebens- und Naturwissenschaften durchzubringen. Durch diese Förderung sollen weit ausstrahlende Forschungsarbeiten ermöglicht werden, die wir ohne zusätzliche Mittel nicht durchführen können. Auch im Bereich der Geisteswissenschaften bereiten wir gegenwärtig Verbundanträge vor, die als Basis für Anträge in der Exzellenzinitiative gedacht sind.
Immer wieder heißt es, um noch erfolgreicher zu sein, bräuchte Würzburg mehr außeruniversitäre Forschungseinrichtungen.
Forchel: Die Politik hat das zum Glück erkannt und nun tut sich etwas. Noch in diesem Jahr wird die Max-Planck-Forschungsgruppe für Systemimmunologie die Arbeit aufnehmen. Da gibt es eine enge Vernetzung mit dem Virchow-Zentrum. Derzeit läuft zudem die Begutachtung für das geplante Helmholtz-Institut für Infektionsforschung. Wir brauchen solche Einrichtungen, um renommierte Forscher am Standort Würzburg zu halten oder neu für ihn zu gewinnen.
Wir reden hier über Projekte in der Chemie, der Physik oder der Medizin. Es geht dabei um Millionen. Können Sie verstehen, wenn die Geisteswissenschaften sich da untergebuttert fühlen?
Forchel: Beim Vergleich der Summen schon, aber insgesamt gibt es dafür keinen Grund. In den experimentellen Natur- und Lebenswissenschaften sind aufwändige Apparaturen erforderlich, um neue Erkenntnisse zu gewinnen, in die fließen die Millionen. In den Geisteswissenschaften wird großartige Arbeit geleistet, und zwar meistens ohne millionenschweren Mitteleinsatz. Ein aktuelles Großprojekt sind die Forschungen über Claudius Ptolemäus.
Wissenschaftler in München und Würzburg untersuchen den Einfluss seiner Werke auf die Kultur des zweiten Jahrhunderts. Die Union der deutschen Akademien der Wissenschaften fördert das Projekt.
Wie abhängig ist die Uni von sogenannten Drittmitteln? Kritiker sagen, teilweise bestimme die Wirtschaft, wie und wo geforscht wird?
Forchel: Unser Jahresetat umfasst – ohne Uni-Klinikum – knapp 300 Millionen Euro. Gemeinsam mit dem Klinikum haben wir im vergangenen Jahr 105 Millionen Euro Drittmittel eingeworben. 75 bis 80 Prozent davon kommen von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, vom Bund und von der EU. Dabei sind Projekte der Grundlagenforschung, zum Beispiel zum Internet der Zukunft oder zur Medizintechnik, die für die Wirtschaft von hohem Interesse sind. Ich glaube aber nicht, dass man Sorge haben muss, dass die Wirtschaft die Forschung steuert. Es kommt schon mal vor, dass ein Unternehmen die Uni um Aufnahmen mit einem speziellen Elektronenmikroskop bittet. Das ist aber keine wirkliche Forschung, eher eine Dienstleistung.
Die Universität war in der Vergangenheit angeblich auch an Rüstungsforschung beteiligt, finanziert durch die US-Regierung. Stimmt das?
Forchel: Forschungsgruppen der Universität – darunter auch meine eigene – waren an Projekten beteiligt, die von der US-Regierung finanziert wurden. Dabei handelt es sich um Projekte der Grundlagenforschung, nicht der Rüstungsforschung. Das können Sie schon daran ablesen, dass die Ergebnisse ohne Restriktionen frei publiziert wurden, zum Teil in höchstrangigen internationalen Journalen wie „Science“ und „Nature“.
In der breiten Öffentlichkeit wird die Universität vor allem auch durch ihre Bauprojekte sichtbar. Kommen Sie da gut voran?
Forchel: Insgesamt ja, aus unserer Sicht könnte es aber gerne noch schneller gehen. Es handelt sich halt immer gleich um Investitionen in mehrstelliger Millionenhöhe, die der Freistaat im Haushalt unterbringen muss. Allein bei der Chemie werden, über zwei Jahrzehnte verteilt, 200 Millionen Euro verbaut, um die Institutsgebäude aus den 70er Jahren zu modernisieren. Da sind wir hoffentlich bald am Ziel. Aber die Physik ist auch nicht viel jünger.
Ein weiteres Beispiel: Der historische Bau des Instituts für Anatomie eignet sich zwar hervorragend als „Tatort“-Kulisse, aber auch hier wird es neue Räumlichkeiten geben, die moderner Forschung und Lehre noch besser gerecht werden.
Und wie sieht es auf dem Gelände der früheren US-Kaserne aus?
Forchel: Da tut sich einiges. Zuletzt haben wir die Mensateria eingeweiht, ein Gebäude für die Graduiertenschule „Lebenswissenschaften“ ist in Planung. Gerne würden wir auf dem Gelände auch den Neubau des Philosophiegebäudes verwirklichen. Der steht schon seit mehr als 20 Jahren im Plan. Ich könnte weitere Beispiele nennen, der Bedarf ist groß.
Haben Sie einen Lieblingsort an der Uni?
Forchel (denkt lange nach): Der neue Lichthof im Hauptgebäude am Sanderring ist sehr gelungen, er strahlt in hellem Weiß. Mit den Info-Vitrinen und -Tafeln präsentiert er sich als zeitgemäßes Zentrum der Universität.
Und einen Lieblingsort in der Region?
Forchel: Ich bin gern zu Hause. Ansonsten mag ich die Kleinstädte und Dörfer im Umland, vor allem am Main. Iphofen oder Marktbreit zeige ich gerne auch ausländischen Gästen der Universität. Ich bin ein Botschafter des Frankenweins geworden.
Wie oft vermisst der Uni-Präsident Forchel den Physiker Forchel?
Forchel: Gar nicht. Das Präsidentenamt ist abwechslungsreich, ich kann mit meinen Mitarbeitern viel bewegen für den Wissenschaftsstandort Würzburg. Die Mischung der Aufgaben ist das Schöne, ich arbeite gern, auch wenn es deutlich mehr als 40 Stunden in der Woche sind.
Die Leitung der Universität Würzburg: zwei neue Vizepräsidenten
Alfred Forchel ist seit Oktober 2009 Präsident der Julius-Maximilians-Universität. Der 63-Jährige ist in Stuttgart geboren. Dort hat er Physik studiert, promoviert und habilitiert. 1990 wurde er nach Würzburg auf den Lehrstuhl für Technische Physik berufen. Forchel gilt als einer der Väter des Studiengangs Nanostrukturtechnik, des ersten ingenieurwissenschaftlichen Studiengangs an der Uni Würzburg. Seit 2011 ist er Ehrendoktor der Universität Wroclaw (Breslau).
Mit Beginn des Wintersemesters gehören der Unileitung zwei neue Vizepräsidenten an. Der Universitätsrat hat den Informatiker Phuoc Tran-Gia und den Mediziner Hermann Einsele zu Nachfolgern von Eckhard Pache und Martin Lohse gewählt. In ihren Ämtern bestätigt wurden die Vizepräsidenten Wolfgang Riedel, Andrea Szczesny und Barbara Sponholz. Germanist Riedel (63) ist in der Unileitung für Studium und Lehre, Lehrerbildung und Lehramtsstudiengänge zuständig. Wirtschaftswissenschaftlerin Szczesny (48) übernimmt Aufgaben zum Qualitätsmanagement und zur Organisationsentwicklung. Geografin Sponholz (55) kümmert sich ebenfalls um Lehrerbildung, um Gleichstellungsfragen sowie um die Kooperation mit der Region. Außerdem gehört Kanzler Uwe Klug (56) der Unileitung an.
Puoc Tran-Gia (62) wurde in Vietnam geboren. Er studierte Elektrotechnik an den Universitäten Stuttgart und Siegen. Nach dem Abschluss 1977 war er zunächst bei Alcatel als Software-Ingenieur tätig, dann im Forschungslabor von IBM. Später habilitierte er an der Uni Stuttgart, bevor er 1988 nach Würzburg berufen wurde. Dort hat er den Lehrstuhl für Kommunikationsnetze inne. In der Unileitung ist Tran-Gia für Internationalisierung, Alumni, Informationstechnologie und Öffentlichkeitsarbeit zuständig.
Hermann Einsele (57) wurde in Stuttgart geboren. Er studierte Medizin in Tübingen, Manchester und London. 1984 erlangte er die Approbation, seit 1991 ist er Facharzt für Innere Medizin, seit 1996 auch für Hämatologie/Onkologie. Zunächst am Uniklinikum Tübingen tätig, bekam er 2004 den Ruf nach Würzburg. Seit Dezember 2004 ist er Direktor der Medizinischen Klinik und Poliklinik II. Seine Schwerpunkte in der Unileitung sind die Forschung und die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Micz/ Fotos: Uni