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WÜRZBURG: Ist Aids bald Geschichte?

WÜRZBURG

Ist Aids bald Geschichte?

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    Etwa 1,2 Millionen Menschen auf dieser Welt sterben noch immer jedes Jahr an den Folgen von HIV. Dies könnte führenden Organisationen der globalen HIV-Prävention zufolge verhindert werden, würden Infizierte sofort nach der Diagnose Medikamente erhalten. Wie nahe das Ende von Aids tatsächlich ist, darüber sprechen anlässlich des Welt-Aids-Tages am 1. Dezember Michael Koch, Leiter der unterfränkischen Aids-Beratungsstelle, und Dieter Wenderlein, HIV-Experte der Gemeinschaft Sant'Egidio.

    Frage: Würden alle HIV-Infizierte sofort nach der Diagnose Zugang zu HIV-Medikamenten haben, könnten Millionen Menschenleben gerettet werden, heißt es in der „Vancouver-Erklärung“ vom Sommer dieses Jahres. Als wie realistisch schätzen Sie es denn ein, dass dies gelingt?

    Dieter Wenderlein: Rein von der medizinischen Seite wäre ein Ende von Aids mit den vorhandenen Instrumenten in den nächsten Jahren möglich. Allerdings wird es natürlich nicht so sein, dass sofort überall auf der Welt alle Menschen, die HIV-positiv sind, unverzüglich nach der Diagnose mit einer Therapie beginnen können. Da ist noch viel zu tun.

    Ob eine neue Ära im Kampf gegen Aids eingeleitet werden kann, hängt entscheidend von den Anstrengungen internationaler Geldgeber und Regierungen ab. Laut UNAIDS-Schätzungen sind bis 2030 jährlich weitere acht bis zwölf Milliarden US-Dollar erforderlich. Meinen Sie, dieses Geld wird fließen?

    Wenderlein: Leider sieht man den politischen Willen augenblicklich nicht. Wer diese Zahl hört, erschrickt auch erst einmal. Aber man muss sich vor Augen halten, was alles für Griechenland gemacht wurde oder auch, was, Gott sie Dank, derzeit für die Flüchtlinge getan wird. Und was kostet ein Tag Krieg in Syrien! Auch für humanitäre Hilfen im Kampf gegen Aids sollten genug Ressourcen da sein. Vor allem muss man bedenken, dass wir ja schon Milliarden in den Kampf gegen Aids investiert haben. Diesen Weg jetzt nicht weiterzugehen, das wäre katastrophal. Zumal sich Investitionen zur Verhinderung von HIV und Aids volkswirtschaftlich immens rechnen.

    Wie gut ist denn die Behandlung von HIV aktuell in Unterfranken? Wird die Therapie vertragen? Was bekommen Sie in Ihrer Beratungsstelle mit?

    Michael Koch: Es gibt heute sehr gute und vielfältige Behandlungsmöglichkeiten. So kann genau das Medikament gewählt werden, das zu einem Patienten passt. Da hat sich in den letzten Jahren wirklich enorm viel geändert. Heute wartet man auch nicht mehr ab, sondern beginnt sehr früh mit der Therapie. Dadurch werden negative Auswirkungen der Infektion verhindert. Durch das Absinken der Viruslast wird außerdem das Risiko minimiert, dass andere Menschen infiziert werden. Allerdings darf dies nicht dazu führen, dass ein Druck auf HIV-Positive ausgeübt wird, sofort nach der Diagnose mit der Therapie beginnen zu müssen.

    Wenderlein: Dem stimme ich zu. Niemand darf zum Test oder zur Therapie gezwungen werden. Die persönliche Freiheit muss gewährleistet bleiben – in Unterfranken ebenso wie in Afrika.

    Inwieweit eröffnet die Vancouver-Erklärung neue Chancen auch für Menschen in Deutschland und Unterfranken?

    Koch: In der Erklärung heißt es, dass sich 90 Prozent aller Menschen mit HIV einem Test unterziehen müssten, um ein Ende von Aids zu erreichen. So weit sind wir aber selbst in Deutschland und Unterfranken noch lange nicht. Darum überlegen auch wir seit vielen Jahren, was wir tun könnten, um Menschen, die ein Risiko eingegangen sind, zu bewegen, sich testen zu lassen.

    Warum ist die Angst vor der Diagnose HIV noch immer so groß?

    Koch: HIV hat eigenartigerweise noch immer ein hohes Stigmatisierungspotenzial. Und die Angst der Betroffenen ist auch tatsächlich sehr groß, stigmatisiert zu werden. Es gibt nach wie vor diskriminierende Verhaltensweisen. Selbst in Familien. So habe ich immer wieder mit Eltern zu tun, die es als ganz schrecklich empfinden, dass beispielsweise ihr Sohn HIV-positiv ist.

    Wann rechnen Sie mit dem Ende von Aids in Unterfranken?

    Koch: Noch haben wir jedes Jahr mehrere Klienten, die an Aids erkranken, ein bis zwei sterben sogar. Ich glaube nicht, dass wir in den nächsten fünf Jahren in Unterfranken das Ende von Aids erleben werden. Wir müssen nach wie vor für Risiken sensibilisieren und wir müssen weiterhin Mut machen, mit HIV Gesicht zu zeigen. Denn es gibt keinen Grund, sich zu verstecken.

    Wie können Sie die Forderungen der Vancouver-Erklärung vor Ort unterstützen?

    Wenderlein: Wir laden Politiker ein und treten an sie heran mit dem Appell, jetzt in dieser aktuell heißen Phase im Kampf gegen Aids die Entwicklungshilfegelder nicht zu reduzieren, sondern sie im Gegenteil zu erhöhen. Wir verdeutlichen ihnen im Gespräch, dass ein Ende von Aids tatsächlich realistisch ist.

    Koch: Am Welt-Aids-Tag am 1. Dezember wird es einen Gottesdienst in Würzburg geben, bei dem wir ebenfalls deutlich machen, dass wir in Europa, die wir Geld haben, Verantwortung für Menschen übernehmen müssen, die nicht unsere finanziellen Möglichkeiten haben.

    Aber es braucht wahrscheinlich auch Geld aus der Zivilgesellschaft.

    Wenderlein: Ja, wir appellieren an die Bürger, nicht nachzulassen, für den Kampf gegen Aids zu spenden. Auch wir von Sant?Egidio leben von Spenden. Wir spüren eine Tendenz, dass Spender nach neuen Themen suchen. Ernährung, Landwirtschaft in Afrika, Klimawandel und Fluchtursachen stehen im Fokus. Natürlich muss man sich auch um diese Themen kümmern. Doch sie dürfen nicht in Konkurrenz zum Kampf gegen Aids sowie ganz allgemein zum Kampf gegen Tropenkrankheiten treten. Derzeit ist laut UNAIDS für wenige Jahre ein Zeitfenster im Kampf gegen Aids offen. Lassen wir dieses Zeitfenster verstreichen, droht die Gefahr, dass die Epidemie unter anderem aufgrund von Resistenzen und steigenden Neuinfektionen zurückkommt.

    Wenderlein & Koch

    Dieter Wenderlein (49), Krankenhausapotheker, ist von der Universitätsklinik Würzburg für das Programm DREAM (Drug Resource Enhancement against AIDS and Malnutrition) zur Bekämpfung von Aids in Afrika freigestellt. Über das Programm der Gemeinschaft Sant?Egidio werden inzwischen über 60 000 HIV-Patienten medizinisch versorgt. Michael Koch (58), Psychologe, leitet seit 2008 die Aids-Beratung Unterfranken der Caritas.

    Rund 300 mit HIV infizierte Menschen aus der gesamten Region nehmen jedes Jahr das psychosoziale Beratungsangebot der Einrichtung wahr. Text und Fotos: pat Christ

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