Mit der Bombardierung Würzburgs in den Abendstunden des 16. März 1945 war nicht nur die Stadt in Schutt und Asche gelegt, sondern es waren auch sämtliche öffentlichen Strukturen zerstört. Doch schon gut 14 Monate nach der dramatischen Bombennacht ging man in Würzburg daran, neue politische Strukturen zu schaffen. Vor genau 70 Jahren, am 26. Mai 1946, wurde der erste Würzburger Stadtrat der Nachkriegszeit gewählt.
39 157 Würzburger waren damals wahlberechtigt, 28 984 von ihnen gingen zur Wahl. Das erscheint aus heutiger Sicht sehr viel und in der Tat entsprach dies einer Wahlbeteiligung von 73,36 Prozent. Und dennoch monierte die Main-Post am 29. Mai die „geringe Wahlbeteiligung“ bei der ersten demokratischen Wahl nach zwölf Jahren Nazi-Diktatur.
Man könnte annehmen, die Würzburger seien „wahlmüde“ geworden, hieß es in einem Kommentar zur Wahl. Dem sei aber nicht so gewesen.
Denn es habe sich herausgestellt, dass von rund 10 000 Wahlberechtigten, die außerhalb Würzburgs evakuiert waren, nur knapp die Hälfte von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen konnten, weil sie lange Anfahrtswege in Kauf hätten nehmen müssen und daher bei wolkenbruchartigem Regen am Wahltag zu Hause geblieben seien. Dazu sei gekommen, dass viele Wahllokale auf dem Land bereits um 15 Uhr die Wahl beendeten, so dass einige vor verschlossenen Türen standen, als sie wählen wollten.
Berichten von Zeitzeugen zufolge verlief der Wahlkampf der vier angetretenen Parteien und Gruppierungen sehr scharf, nicht selten unsachlich und mit äußerster Heftigkeit. Trotzdem blieb am Wahltag alles ruhig und es gab keine Zwischenfälle. Alle vier Parteien beziehungsweise Wählergemeinschaften, die sich zur Wahl stellten, zogen in den ersten Nachkriegsstadtrat ein.
Das beste Ergebnis erzielte die Christlich-Soziale Union (CSU) mit 11 474 Stimmen, die damit 17 Sitze im Stadtparlament erhielt. Zweitstärkste Gruppierung wurde die erst kurz vorher gegründete Wahlgemeinschaft Wiederaufbau Würzburg (WWW), die mit 9246 Stimmen 13 Sitze im Stadtrat erhielt. Platz drei errangen die Sozialdemokraten (SPD) mit 5445 Stimmen, was für acht Sitze reichte. Die Kommunistische Partei erhielt 2105 Stimmen und damit drei Sitze im Stadtrat.
Der erste demokratisch gewählte Würzburger Stadtrat nach 13 Jahren Nazi-Herrschaft trat am 3. Juni 1946 zu seiner ersten Sitzung im Balkonzimmer des ehemaligen Josef-Goebbels-Hauses am Sanderrasen in Würzburg zusammen.
In der Stadtratssitzung am 6. Juni 1946 ging es dann um die Wahl eines neuen Oberbürgermeisters. Damals war nicht vorgesehen, dass das Stadtoberhaupt in einer allgemeinen Wahl von der Gesamtbevölkerung bestimmt werden soll.
Vorgeschlagen wurde zunächst Hans Löffler von der CSU-Fraktion, wie der Historiker und ehemalige langjährige Main-Post-Redakteur Roland Flade in seinem Buch „Hoffnung, die aus Trümmern wuchs“, schreibt. Der 74-jährige Löffler war bereits von 1921 bis 1933 Oberbürgermeister, ehe er von den Nazis abgesetzt wurde. Er lehnte die Annahme einer möglichen Wahl aber ab, da der CSU aufgrund einer Verfügung des amerikanischen Stadtkommandanten ein Betätigungsverbot auferlegt worden war. Der Grund dafür: Kurz zuvor war ein ehemaliges NSDAP-Mitglied zum Vorsitzenden der Partei in Würzburg gewählt worden.
Daraufhin schlug der Vorsitzende der WWW-Fraktion Otto Stein vor, Rechtsanwalt Michael Meisner aus seiner Fraktion zum OB zu wählen. Meisner, ein angesehener Jurist, später Mitherausgeber der Main-Post und Mitbegründer der WWW, wurde vom Stadtrat mit 31 von 39 Stimmen gewählt, obwohl er gar nicht offiziell kandidierte. Er erbat sich für die Annahme der Wahl eine Woche Bedenkzeit. Er nahm die Wahl an unter der Bedingung, dass er Landrat bleiben dürfe, wozu er kurz vorher gewählt worden war. Als er nach 52 Tagen aufgrund einer neuen Bestimmung vor die Entscheidung gestellt, einen der beiden Posten aufzugeben, verzichtete er auf das OB-Amt, so Flade.
Schließlich wurde Löffler im August 1946 noch einmal Oberbürgermeister. Er legte sein Amt aus Altersgründen am 30. Juni 1948 nieder. Am 29. Oktober 1948 wählte der Stadtrat den 36-jährigen Karl Grünewald als Nachfolger Löfflers. Er wurde jedoch ein Vierteljahr später suspendiert, als er im Spruchkammerverfahren als Nazi-Mitläufer eingestuft wurde. Wieder gab es ein mehrmonatiges Vakuum an der Stadtspitze, ehe am 1. Juli 1949 der parteilose Franz Stadelmayer vom Stadtrat zum OB gewählt wurde. Bei der ersten allgemeinen Wahl 1952 wurde er von den Würzburgern im Amt bestätigt.
Der erste gewählte Stadtrat nach dem Zweiten Weltkrieg
Dies waren die Mitglieder des ersten für die Dauer von zwei Jahren gewählten Stadtrats nach dem Zweiten Weltkrieg:
SPD (Sozialdemokraten): der frühere Bürgermeister Georg Sittig, Kassenleiter Hans Brandmann, Buchdrucker Philipp Fasel, Werkdirektor Josef Kern, Prof. Wilhelm Bauer, Steinmetz Philipp Beck, Fürsorgeamtsleiter Eugen Eberle und Hausfrau Gerda Vey.
CSU (Christlich-Soziale Union): Oberbürgermeister a.D. Hans Löffler, Brauereidirektor Viktor Dengler, Schreinermeister Johann Kaczikowski, Bankdirektor Franz Brand, Architekt Eugen Altenhöfer, Regierungsangestellter Erwin Ammann, Generalvertreter Bethold Silbersack, Witwe Margarete Rüttger, Arbeitseinsatzleiter Ernst Barasch, Medizinstudent Hans Riedmiller, Kellermeister Philipp Bauer, Kaufmann Heinrich Hösch, stellvertretender Filialleiter Friedrich Nees, Landwirt Karl Münch, Kaufmann Adam Rüger, Angestellter Karl Rottman und Obersekretär Friedrich Heckenberger.
KPD (Kommunistische Partei): Leiter des Gesundheitsamtes Kurt Kellner, Schneidermeister Fritz hirt und Leiter des Wohnungsamtes Heinrich Müller.
WWW (Wahlgemeinschaft Wiederaufbau Würzburg): Landrat Michael Meisner, Fabrikant Otto Stein, Bauunternehmer Josef Meixner, Geschäftsinhaberin Elisabeth Brückner, Universitätsdozent Roland Hampe, Architekt Hermann Kreis, Postamtmann Eduard Kuhn, Spenglermeister Simon Volk, Eisendreher Heinrich Bischoff, Baumaterialienhändler Hermann Weigl, Speditionskaufmann Eduard Schäflein, Installationsmeister Georg Gruber jr. und Holzgroßhändler Fritz Kohl.