Südlich von Ochsenfurt, zwischen Aub und Gollhofen, liegt die kleine Ortschaft Lipprichhausen. Im Roman der Marie Wegrainer heißt sie Queckbrunn. In einem Holztrog, auf Kartoffelsäcken, will sie als Neugeborenes gelegen haben. Der „Lebensroman einer Arbeiterfrau“ ist eine autobiografische Geschichte. Nichts darin ist erfunden, aber alles hinter anderen Namen verklausuliert. Marie Wegrainer ist Maria Frank, geborene Bach, die Mutter des Schriftstellers Leonhard Frank. Am 13. März 1852 kam sie als Kind der Müllerstochter Anna Maria Bach im Armenhaus zur Welt.
Maria wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf, arbeitete als Dienstmädchen, kam nach Würzburg, heiratete den Schreinergesellen Johann Frank, bekam Kinder – als viertes den später als Schriftsteller bekannt gewordenen Leonhard. Dieser beschrieb seine Mutter folgendermaßen: „…eine schöne Frau, dünn, mit großen Feueraugen, liebte ihren Mann und war ihm so himmelhoch überlegen, dass er es in seinem ganzen Leben niemals bemerkte.“ Marias Leben wurde von Armut und Arbeit geprägt. Ihr Sohn beschrieb es so: „Der Längsbalken des Kreuzes, das die tapfere Mutter während ihres ganzen Lebens auf dem Rücken schleppte, war lang.“
Auch das Leben Leonhards schien nicht wesentlich anders zu verlaufen als das seiner Mutter, künstlerisch begabt begann er nach abgebrochener Schlosserlehre und verschiedenen Hilfsarbeiten ein Studium an der Münchner Akademie der Bildenden Künste, brach aber auch dieses ab und ging nach Berlin. Er wollte Schriftsteller werden.
Ein Paket aus Würzburg
Als er seiner Mutter aus seinen Manuskripten vorlas, kam diese auf die Idee, selbst einen Roman zu schreiben, um mit den Einnahmen daraus den Sohn zu unterstützen. Sie schrieb ihm: „Ich habe mich entschlossen, auch einen Roman zu schreiben, um Euch vor Wintersnot zu schützen.“ Er glaubte nicht daran und war dann erstaunt, als Wochen später ein Paket aus Würzburg kam, das 15 blaue Schulhefte, jedes Blatt auf beiden Seiten dich beschrieben, enthielt. „Sie hatte den Roman heimlich geschrieben, tagsüber am Kochherd, solange der Vater außer Haus auf Arbeit gewesen war. Er dürfe es nicht wissen und nie erfahren“, schrieb Leonhard Frank später in seinem autobiografischen Roman „Links wo das Herz ist“.
Authentische Schilderung
Der Sohn schickte das Manuskript seiner Mutter an den Münchener Delphin-Verlag, wo er tatsächlich veröffentlicht wurde, im gleichen Jahr (1914), als auch Leonhard Franks erster Roman „Die Räuberbande“ erschien, für den er den Fontane-Preis erhielt. Maria erhielt als Honorar 1800 Mark, die sie verschwieg und heimlich in den Haushalt fließen ließ, weil der Sohn, inzwischen selbst erfolgreich mit seinem ersten Roman, die Unterstützung der Mutter nicht mehr benötigte. Der Vater sollte davon nie erfahren und auch der Sohn lüftete das Pseudonym erst im Jahr 1951 in seiner Autobiografie. Wie die Mutter selbst benutzte Frank für sich und seine Familie andere Namen.
Am 20. Oktober 1924 starb Maria Bach im Alter von 69 Jahren. Das Haus im Mainviertel, in dem sie bis 1883 gelebt hat und in dem Leonhard Frank geboren wurde, existiert nicht mehr. Eine Gedenktafel an der Zeller Straße erinnert aber noch an ihn. Der Roman von Marie Wegrainer wurde 1979 noch einmal neu aufgelegt, ist aber nur noch antiquarisch zu bekommen.
Ihr Sohn selbst hielt ihn für eine dichterische Leistung, will nichts geändert haben außer ein paar tausend Kommas, die er hinzugefügt hatte, „(…) aber jede Seite war gegliedert durch Absätze, wie sie sich im Flusse der Erzählung von selbst ergeben hatten.“
Von Literaturkritikern wird der Roman als authentische Schilderung der Lebensumstände von Dienstleuten des späten 19. Jahrhunderts gelobt. Er ist aber nicht nur mit sozialkritischen Augen zu lesen. Er lässt sich auch als eine Geschichte begreifen, die es wert ist, erzählt zu werden.
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